„Asylrecht verdient seinen Namen nicht"

■ Noch nicht realisiert: Das neue Asylrecht. Gespräch mit Rechtsanwalt Albert Timmer

Albert Timmer gehört zu den Bremer Rechtsanwälten, die seit Jahren AsylbewerberInnen vertreten.

taz: Seit Juli gibt es ein neues Gesetz zur Beschleunigung von Asylverfahren. Wie hat sich das auf Ihre Arbeit ausgewirkt?

Albert Timmer: Es gibt neue Verfahrensvorschriften, z.B. die Rechtsmittelfristen sind kürzer geworden. Ich habe aber noch nicht festgestellt, daß es zu einer Beschleunigung der Verfahren insgesamt geführt hat.

Was haben Sie bei Ihren Fällen dadurch mehr oder schneller zu leisten?

Wenn heute jemand mit einem offensichtlich abgelehnten Asylantrag zu mir kommt, dann habe ich oft nur noch drei Tage Zeit, um Rechtsmittel einzulegen: eine Klage einzureichen, einen Antrag auf aufschiebende Wirkung zu stellen. Und ich muß die Klage innerhalb dieser Frist auch vollständig begründen. Bei den vielen Fällen in Asyl- und Ausländerrecht in meiner Praxis kann ich solch ein Mandat nicht mehr annehmen.

Faktisch ist es dann in solchen Fällen kaum noch möglich, Rechtsmittel effektiv einzulegen — weil die Flüchtlinge in einem derart komplizierten Verfahren dazu selbst nicht in der Lage sind.

Kann der Flüchtling seine Fluchtgründe nirgends mehr loswerden?

Doch, bei einer Anhörung im Bundesamt, dies will ich auch nicht bezweifeln. Aber alles andere drumherum: zum Beispiel Auflagen, die Flüchtlingen gesetzt werden, innerhalb einer Frist Unterlagen vorzulegen. Häufig kommen die Flüchtlinge ja aus Situationen, in denen sie existentiell bedroht waren. Und nun sollen die Anhörungen möglichst schon am Tag der Einreise stattfinden, es findet aber keine Vorbereitung auf das Verfahren statt, die ihrer Situation gerecht wird. Auch der Fortgang des Verfahrens nach der Entscheidung des Bundesamtes ist problematisch: Ein Flüchtling ist nicht in der Lage, eine Klage zu erheben oder gar einen Eilantrag zu stellen. Sie sind auf spezialisierte Anwälte angewiesen. Die kosten wiederum Geld, das sie nicht haben. Und dann wird auch noch die Sozialhilfe reduziert. Hier in Bremen bekommen sie ja häufig nur noch 50, 60 Mark Taschengeld — und sonst nur noch Vollverpflegung. Ich habe schon Fälle hier im Büro gehabt mit abgelehnten Asylanträgen, die innerhalb der Frist von zwei Wochen unmöglich das Geld für den Kostenvorschuß zusammenbekamen.

Wieviele Fälle haben Sie ablehnen müssen?

Ich muß jeden Tag Flüchtlinge zurückschicken. Manche Flüchtlinge klappern die Anwälte regelrecht ab, um als Mandant angenommen zu werden. Jetzt könnte man sagen, daß dies die offensichtlich aussichtslosen Fälle sind. Dazu möchte ich nur eins sagen: Es gab im letzten Jahr zahlreiche Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts, die bei der Überprüfung der offensichtlich Unbegründetheit von Asylanträgen zugunsten von Flüchtlingen ausfielen. Mittlerweile scheint das Bundesamt ein bißchen vorsichtiger geworden zu sein.

Haben Sie von der Personalaufstockung im Verwaltungsgericht mit je sechs Richter-und Verwaltungsstellen eine Beschleunigung erlebt?

Ich gehe davon aus, daß mit Einrichtung der neuen Kammer die Verfahren beschleunigt bearbeitet werden. Aber wenn uns Anwälten Verschleppen vorgeworfen wird, dann muß man auch folgendes Beispiel zur Kenntnis nehmen: Wir haben hier im Büro einen Dolmetscher beschäftigt, der seit 12 Jahren in Deutschland ist, der zweimal als asylberechtigt anerkannt wurde und jedes Mal hat der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten Rechtsmittel eingelegt. Das Verfahren ist seit 12 Jahren anhängig.

Was wird sich durch den neuesten Asylbeschluß ändern?

Durch die Versuche, jedem Flüchtling hier das Asylrecht zu verweigern, der durch die sogenannten sicheren Drittländer einreist, könnte Deutschland seine Bedeutung als Zufluchtland für viele politisch Verfolgte verlieren. Ob ein Asylrecht, das nicht mehr in Anspruch genommen werden kann, seinen Namen noch verdient, bezweifle ich.

Es gab so viele Änderungen in den letzten Jahren, daß dies zu einer großen Desorientierung bei allen beteiligten Behörden, Verwaltungsgerichten und Anwälten führte. Und wer Verwaltungen kennt, der weiß, daß es eine Zeit braucht, bis Beschlüsse umgesetzt werden. Wenn jemand wirklich beschleunigen will, muß er eine beschlossene Beschleunigung auch umsetzen. Das ist in den letzten anderthalb Jahren mit keinem Beschluß geschehen.

Was stört Sie derzeit besonders?

Im Grundgesetz heißt es, die Würde des Menschen ist unantastbar. Das Bundesverfassungsgericht hat zu diesem Artikel 1 immer wieder geschrieben: Menschen, egal ob Ausländer oder Deutsche, dürfen in dieser Gesellschaft nicht Objekte von staatlichem Handeln werden, sonst ist der Grundsatz der Menschenwürde nicht mehr gewahrt. Wenn ich diesen Grundsatz auf Asylverfahren und den Umgang mit Flüchtlingen übertrage, auf den Zwang zur Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften, damit verbundene Sanktionsandrohungen, auf die Einschränkung der Handlungsfreiheit dieser Menschen, dann werden sie wirklich zu Objekten staatlichen Handelns.

Ganz klar wird auch gegen Verfassungsrechte verstoßen mit dieser Absicht, die Sozialhilfe für alle Flüchtlinge grundsätzlich um 25 Prozent zu reduzieren. Die Sozialhilfe soll ein menschenwürdiges Dasein in dieser Gesellschaft ermöglichen. Ist die Menschenwürde von Flüchtlingen plötzlich 25 Prozent weniger wert? Das ist für mich nichts anderes als Rassismus. Birgitt Rambalski