Engel haben keine Flügel

Gesichter der Großstadt: Engelforscher Egon Wenberg über Engellehren und die schwierigen Beziehungen zwischen Engeln und Menschen  ■ Von Corinna Raupach

Egon Wenberg, 80, pensionierter evangelischer Pfarrer, beschäftigt sich schon seit 40 Jahren intensiv mit den himmlischen Heerscharen. Wenberg wurde 1912 in Schöneberg geboren und machte eine Buchhändlerlehre bei Rowohlt. Nach dem Krieg studierte er evangelische Theologie an der Humboldt-Universität und verdiente sich sein Studium, indem er theologische Bücher aus den Trümmern ausgrub. Er war dann elf Jahre lang Pfarrer in Berlin und anschließend 25 Jahre in Baden. Seit seiner Pensionierung lebt er wieder in Berlin. Für Engel interessierte er sich schon immer und studiert sie intensiv seit 20 Jahren. Ergebnis seiner Forschungsarbeit ist eine Studie, die mittlerweile 158 Komplexe, in Form von Frage und Antwort, zum Thema Engel beinhaltet.

taz: Herr Wenberg, alle Welt redet um diese Jahreszeit von Engeln, überall sind sie in bildlicher oder sogar plastischer Form präsent. Wer sind eigentlich Engel?

Egon Wenberg: Engel sind Boten Gottes, sie sind die Mittler zwischen Gott und den Menschen. Es gibt Engel, die schon bei der Schöpfung des Menschen dabeiwaren und seinen Weg als Homo sapiens begleitet haben. Auch bei der Schöpfung des Universums waren Engel beteiligt. Und das Neue Testament redet ja von sieben Schöpfungsgeistern. Ich glaube, daß es falsch ist, daß Gott alles allein gemacht und geschaffen hat. Überall, wo der Mensch meint, mit Gott in Kontakt zu treten, hat er es mit seinen Engeln und nur in diesen mit Gott zu tun. Gott selbst ist so majestätisch, daß er nur in seinen Boten zugänglich ist.

Was tun Engel, haben sie spezielle Aufgaben?

Sie haben viele Aufgaben: Schutz und Führung der Menschen, Hilfe in Auseinandersetzungen zwischen Gut und Böse, Sterbegeleit. Sie geben Impulse und Inspirationen. Sie haben auch sonst viel Arbeit, sie singen nicht nur Halleluja. Sie haben Zeiten der Ruhe und der Meditation sowie Zeiten des Lobes Gottes. Aber sie haben auch viel Arbeit und vielerlei Tätigkeiten, von denen wir nichts wissen.

Woher wissen Sie das?

Das Entscheidende sind Glaube und Erfahrung. Ich habe schon immer an Engel geglaubt, er ist immer mehr gewachsen, und jetzt bin ich dessen absolut gewiß. Gesehen oder gehört habe ich noch keinen von ihnen, das ist auch ganz unmöglich. Aber in bestimmten Zusammenhängen spüre ich ihre Gegenwart als unwahrscheinlichen Frieden, der höher ist als alle Vernunft, als tiefste Geborgenheit, als große, helle Freude.

Wie kann man dann etwas über das Aussehen von Engeln wissen?

Das wissen wir aus den alttestamentarischen Aussagen. Jesaja zum Beispiel oder Hesekiel sagen unabhängig voneinander genau dasselbe wie auch einige Heilige der katholischen Kirche, die sie gesehen haben wie Franziskus von Assisi. Wenn man einen Engel sieht, so sieht man eine große Lichtquelle voller Kraft, Energie und Leuchten. Engel haben niemals Menschengestalt und auch keine Flügel. Die brauchen sie auch gar nicht, sie haben ja Lichtgeschwindigkeit. Sie haben aber ein Gewand aus Schwingen. Das sind unwahrscheinlich glitzernde Schwingen, meistens sechs und jeweils zu zweit angeordnet.

Kann jeder die Anwesenheit von lichten Wesen wahrnehmen?

Um die Gegenwart von Engeln zu spüren, muß man nicht unbedingt glauben, aber man muß eine innere Aufgeschlossenheit diesen Erfahrungen gegenüber besitzen. Man muß die Tür öffnen, dann bekommt man einen liebevollen Rückenwind. Ich habe Jahre gebraucht, um diese Dinge vorzubereiten. Wir können von uns aus keine Kommunikation mit ihnen aufbauen. Es gab einige Heilige, die mit Engeln gesprochen haben. Aber das ist normalerweise nicht möglich. Wenn man sich aber für Engel öffnet, wird einem auf einer anderen Ebene der Zuspruch zuteil, denn man braucht.

Sind das dann die Schutzengel?

Es gibt Schutzengel und Führungsengel. Jeder Mensch, der anfängt, sich um Glaube, Liebe und Erkenntnis zu bemühen, der bekommt den Schutz eines Engels. Ein reifer gewordener Mensch erhält auch einen Führungsengel, der sich darum bemüht, ihn zum Schönen und Guten zu führen. Es hat aber nicht jeder seinen persönlichen Engel für sich. Es muß ja nicht ständig ein Engel bei mir sein, bei den tausend banalen Dingen des Alltags brauche ich ihn nicht. Aber sobald ich ihn brauche, ist er im Bruchteil von Sekunden da. Engel handeln auch an nicht gläubigen Menschen. Um besonders schwierige Menschen müssen sich manchmal auch mehrere Engel bemühen.

Glauben Sie, daß die Engel es heutzutage besonders schwer haben?

Ja, denn die Menschen sind ihnen gegenüber nicht sehr aufgeschlossen. Durch das sehr materielle Weltbild haben sie keine Antenne mehr für transzendente Dinge. Die Engel leiden auch darunter, daß man nichts mehr von ihnen wissen will.