Erstmals direkte Parlamentswahl in Taiwan

■ Hohe Verluste für die Regierungspartei, die jedoch absolute Mehrheit behält

Taipeh (dpa/AP/taz) – Kaum anzunehmen, daß die Nachricht bei der Führung des „Mutterlandes“ auf große Freude gestoßen ist: Bei den ersten allgemeinen Parlamentswahlen in Taiwan hat die regierende „Kuomintang“ (Nationalpartei) erhebliche Stimmenverluste erlitten. Seit über vierzig Jahren war die Kuomintang, die sich seit der Niederlage im chinesischen Bürgerkrieg 1949 auf die Insel zurückgezogen hatte, Lieblingsfeind und verläßlicher Partner der Pekinger KP. Beide beharrten darauf, die rechtmäßige Regierung Gesamtchinas zu sein und nur vorübergehend, bis zur angestrebten Wiedervereinigung, nicht das ganze Land effektiv unter Kontrolle zu haben.

Zwar behielt die Kuomintang mit 53 Prozent – 96 von 161 Sitzen – die absolute Mehrheit, das waren jedoch 18 Prozent weniger als zuvor. Begeisterung hingegen herrschte bei der oppositionellen Demokratischen Fortschrittspartei (DPP). Damit steigerte sie sich von 24 auf 30 Prozent und verfügt über 50 Sitze. Die kleine Partei der chinesischen Sozialdemokraten gewann ein Mandat. 14 unabhängige Kandidaten kamen ins Parlament. Bei der letzten Wahl vor drei Jahren war allerdings nur knapp die Hälfte des Parlaments neu besetzt worden. Viele der gealterten nationalistischen Abgeordneten hatten ihre Mandate seit ihrer Wahl auf dem Festland 1947 innegehabt, ehe sie im vergangenen Jahr zurücktraten.

Politische Beobachter bezeichnete die Abstimmung als den Höhepunkt der bisherigen politischen Reformen, die 1987 mit der Aufhebung des Kriegsrechts eingesetzt hatten. Über neun Millionen von 13,4 Millionen stimmberechtigten Bürgern gaben am Samstag ihre Stimme ab.

Etwa 100 ausländische Politiker, Wissenschaftler und Journalisten hatten die Wahl beobachtet. Viele von ihnen erklärten, Taiwans friedlicher Übergang zur uneingeschränkten Demokratie könne als Beispiel für das chinesische Festland dienen. Aber bei aller Vorbildfunktion, die Taiwan als Modell eines erfolgreichen kapitalistischen Entwicklungsweges in den Augen der Wirtschaftsreformer in Peking hat – politische Strukturreform ist dort nicht beabsichtigt.

Die 1987 zugelassene Demokratische Fortschrittspartei (DPP) hat 40.000 Mitglieder, verglichen mit 200.000 Mitgliedern der Kuomintang. Die DPP erhielt bei der Wahl vor allem Unterstützung von Arbeitern und Bauern, die der Regierungspartei Korruption vorwerfen. Insgesamt hatten sich 348 Kandidaten um die 125 direkt zu vergebenden Mandate beworben. Weitere 36 Sitze werden unter den Parteien entsprechend ihres Stimmanteils aufgeteilt.

Es waren die ersten Wahlen, bei denen sich die Kandidaten legal dafür aussprechen durften, daß Taiwan seinen Anspruch auf Festland-China aufgeben und sich zu einem eigenständigen Staat erklären sollte.

Die China vorgelagerte Insel Taiwan mit einer Bevölkerung von 20 Millionen Menschen zählt mit dem dritthöchsten Pro-Kopf-Einkommen – 8.700 US-Dollar pro Jahr – zu den stärksten Volkswirtschaften in Asien. Außerdem hält das Land die weltgrößten Devisenreserven in Höhe von 83,9 Milliarden Dollar. li