Keine Rehabilitierung für Ossietzky

■ Der Bundesgerichtshof lehnt aus formalen Gründen eine Wiederaufnahme des Hochverrats-Prozesses von 1931 gegen den Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky ab

Berlin (dpa/taz) – Die Tochter des Friedensnobelpreisträgers Carl von Ossietzky ist vor dem Bundesgerichtshof mit ihrem Versuch gescheitert, ihren Vater rechtlich vollständig zu rehabilitieren. Der 3. Strafsenat des BGH lehnte in letzter Instanz den Antrag auf eine Wiederaufnahme des Verfahrens ab, in dem Ossietzky 1931 wegen Verrats militärischer Geheimnisse verurteilt worden war. In seinem gestern in Karlsruhe veröffentlichten Beschluß wies das Gericht die Beschwerde der Tochter gegen eine entsprechende Entscheidung des Kammergerichts Berlin vom August 1991 zurück.

Ossietzky, einer der wichtigsten Publizisten der Weimarer Republik, war am 23. November 1931 vom Obersten Gericht zu anderthalb Jahren Haft verurteilt worden. Er hatte 1929 in der von ihm gegründeten Weltbühne den Artikel „Windiges aus der deutschen Luftfahrt“ von Walter Kreiser veröffentlicht. Darin berichtete Kreiser, daß die Geheime Reichswehr unter Verletzung des Versailler Friedensvertrages sowohl eine Erprobungsabteilung für das Jagdflugzeug Albatros als auch eine Küstenflugabteilung der Lufthansa auf dem Flugplatz Johannisthal-Adlershof eingerichtet hatte. Das Gericht wertete die Veröffentlichung seinerzeit als Geheimnisverrat, der „die Interessen des Reiches verletzt“ habe.

Der Bremer Historiker und Anwalt Ingo Müller, der zusammen mit dem Berliner Richter Eckhart Rottka die mühevollen Recherchen zum Wiederaufnahmeantrag der Tochter Rosalinda von Ossietzky-Palm leistete, bezeichnete die damalige Beweisführung des Gerichtes als absurd und revisionsbedürftig. Er legte 1991 dem Berliner Kammergericht zwei Gutachten vor, die belegen sollten, daß nicht die Veröffentlichung der Weltbühne, sondern die vertragswidrige Aufrüstung der Reichswehr die Sicherheitsinteressen des Deutschen Reiches verletzt habe. Darüber hinaus sei die Aufrüstung des Reiches auch kein Geheimnis gewesen.

Ossietzky, der immer nachdrücklich vor den erstarkenden Nationalsozialisten gewarnt hatte, konnte 1933 nach 255 Tagen zwar vorzeitig die Haft verlassen, er wurde aber nur kurze Zeit später von den Nationalsozialisten in einem Konzentrationslager interniert und schwer mißhandelt. Während seiner Inhaftierung erhielt er 1935 den Friedensnobelpreis. Im Mai 1938 starb von Ossietzky im Alter von 46 Jahren an den Folgen der KZ-Haft.

Der Bundesgerichtshof berief sich in seinem gestrigen Beschluß– das schriftliche Urteil steht noch aus – ausschließlich auf formale Gründe. Grundlage der Entscheidung seien ausschließlich die verfahrensrechtlichen Vorschriften über die Wiederaufnahme eines durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens. Weder fehlerhafte Rechtsanwendung noch eine Veränderung der rechtlichen Bewertung des Sachverhaltes seien für sich allein ein Wiederaufnahmegrund.

Für eine Wiederaufnahme müsse der Sachverhalt unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des damaligen Gerichts beurteilt werden. Daher könne die Frage, ob durch die Veröffentlichung die Sicherheit des Reiches gefährdet war, „nicht unter Berücksichtigung der weiteren geschichtlichen Entwicklung entschieden werden“. wg