"Die 68er sind die Ossis von morgen"

■ Der Überlebenskampf für kleine Verlage wird härter/Der Hamburger Verleger Peter Lohmann, Chef vom Verlag am galgenberg über die Ursachen und Folgen der aktuellen Krise des Literaturmarkts

INTERVIEW

»Die 68er sind die Ossis von morgen« Der Überlebenskampf für kleine Verlage wird härter/Der Hamburger Verleger

Peter Lohmann, Chef vom Verlag am Galgenberg über die Ursachen und Folgen der aktuellen Krise des Literaturmarkts

Es geht auch ohne großartige Kapitalrücklagen, geheimnisvolle Sponsoren oder millionenschwere Lizenzgeschäfte. Allerdings: Finanziell stand der Hamburger Verlag am Galgenberg in den sieben Jahren seines Bestehens auch nicht gerade blendend da. Trotz auflagenstarker Titel und Autorinnen und Autoren wie Doris Gercke, Almudena Grandes und Klaus-Peter Wolf, um nur einige zu nennen, wirtschaftet das kleine Verlagsteam sozusagen erfolgreich in der Dauerkrise. Darüber hinaus ist die vieldiskutierte bundesdeutsche Verlagskrise auch an dem Unternehmen in der Langen Reihe nicht ganz spurlos vorübergegangen.

Jetzt steht den sieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verlags, der 1985 aus dem „Buntbuch Verlag“ hervorging, der nunmehr dritte Umzug bevor: Im November gaben Galgenberg- Verleger Peter Lohmann und sein Hamburger Kollege Hans-Helmut Röhring (Rasch & Röhring) ihre Kooperation in Form einer Büro- und Vertriebsgemeinschaft bekannt. Ein Gespräch mit Peter Lohmann über die Situation der kleinen Verlage, Ursachen und Folgen der 'Krise', Hoffnungen und Chancen.

Gibt es Faktoren, die Ursache für die Krise gerade der kleinen Verlage sind?

Natürlich spielt die allgemeine wirtschaftliche Situation in diesem Land eine Rolle. Die hohen Zinsen zum Beispiel erschlagen uns. Der andere Punkt zeigt sich, wenn man den Vergleich mit '68 zieht. 1968 hatten wir eine geistig rege Auseinandersetzung, es gab Offenheit, Lust an Information und es wurde mit vielen Leuten über Bücher diskutiert. Und in solchen Zeiten des geistigen Aufschwungs florieren Verlage. Im Moment befinden wir uns in einer Zeit geistiger Lähmung und in solchen Zeiten sterben Verlage. Das ist die Hauptursache, neben der ganzen Kommerzialisierung des Geschäftes und der Entwicklung des Buchhandels.

Gibt es vielleicht einfach nur zu viele Verlage, so daß man gar im Sinne eines Literatur-Darwinismus sagen könnte, die allgemeine Verlagskrise ist eine Chance für die, die sie überleben?

Es wäre vielleicht gut, wenn das so wäre. Ich glaube das leider nicht. Zu viele Verlage gibt es nur dann, wenn das Interesse an Büchern sehr gering ist. Heute fragt doch keiner mehr, ob die ehemals linken Verlage etwas im Programm haben, was ihn interessieren könnte. Früher hat man auf die Verlagsnamen geachtet, und nach Rotbuch und Wagenbuch geguckt. Heute achtet niemand mehr darauf, heute ist der Verlagsname Schall und Rauch.

Dieser Prozeß scheint ja im Moment nicht nur euch Probleme zu bereiten.

Das ist eine europäische Situation. Unser Autor Pierre Bourgeade hat uns gerade berichtet, daß in Frankreich im letzten Jahr eine ganze Reihe von kleinen Verlagen zugemacht hat. Und wenn man die Kollegen hört, dann ist immer von einer sehr schwierigen wirtschaftlichen Situation die Rede. Aber man kann auch zwischen den Zeilen lesen. Und dahinter steckt der Exitus. Der Galgenberg Verlag ist in dieser Hinsicht krisengeprüft, weil wir in der Krise groß geworden sind. Galgenberg ist ein Straßenkind und solche Kinder können sich in schlechten Zeiten besser bewegen. Aber es geht allen kleinen Verlagen so, und da gibt es wohl keine Ausnahme. Wenn sie nur das wirtschaftliche Kriterium zu Rate ziehen, ob sie weitermachen oder nicht, dann könnten alle zumachen.

Mit welchen Kriterien kann man dann also noch weitermachen?

Ich bin sicher, daß es immer kleine unabhängige Verlage mit kleinen Programmen geben wird. In der Form allerdings, so professionell wie möglich und so merkantil und kapitalistisch wie möglich, haben die Verlage jetzt keine Chance. Aber sowie wir in eine geistige Debatte kommen, wird es auch wieder eine stärkere Auseinandersetzung mit Literatur geben. Wenn das Klima allerdings so dumpf bleibt, dann wird es für uns alle sehr problematisch werden. Denn wenn Unterhaltung die einzige Chance ist, dann sind einfach die anderen besser.

Hat sich das Interesse der Literaturkritik ähnlich „verlagert“?

Das ist der einzige Bereich, in dem es antizyklisch läuft. Im Feuilleton sind heute die Leute, mit denen wir früher zusammen auf der Straße gestanden haben. Da ist das Interesse größer. Darin liegt auch ein vehementer Widerspruch: Wir sind ein Verlag, der absolut gut besprochen wird und nur deswegen überhaupt noch in der Lage ist zu existieren. Doch das Interesse der Medien hat sich auch verschoben. Heute verkauft man eher Themen, das ist das, was aufmerksam macht. Es geht weniger darum, ob der Autor wegen seiner besonderen sprachlichen Eigenheiten gelobt wird, sondern mehr darum, ob er das Thema gut verkauft.

Wie schwierig ist es denn, in diesem Sinne noch gute Autoren zu finden?

Die geistige Lähmung, von der ich spreche, drückt sich auch in den

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0Manuskripten aus, die wir zugeschickt bekommen. Darüber hinaus fehlt in Deutschland das jüdische Element in der Literatur, das ist von 1933 bis 1945 zerstört worden, und seitdem ist die deutsche Literatur einfach schlechter. Und dann fehlt uns immer noch die neue deutsche Literatur. Wenn man sich die Bestsellerlisten, zum Beispiel im 'Spiegel' ansieht, dann stehen dort zu 80 Prozent ausländische Autoren. Das ist ja auch interessant in Zusammenhang mit der Ausländerfrage. Wenn man sich vorstellt, Deutschland würde auf seine Ausländer verzichten, keine ausländischen Bücher, Musik und Theater mehr haben, in was für einem Muff wir leben würden.

Wie wird denn das politische Sachbuch, das in eurem Programm eine Tradition hatte oder noch hat, künftig vertreten sein?

Das politische Sachbuch gibt es nicht mehr, weil der Leser es nicht mehr verlangt. Ein prominenter Sachbuchbuchschreiber geht nicht zu uns. Der Fernsehjournalist, der über politische Themen schreibt, geht auch nicht zu uns. Und der, der was zu sagen hat, wird nicht gelesen. Das einzige was bei uns im Sachbuchbereich überlebt hat, ist die Randgruppenproblematik, Themen wie Prostitution und Alkoholismus zum Beispiel. Solche Themen können wir auch einigermaßen gut verkaufen.

Gibt es überhaupt die Chance, für

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0den Bereich der Literatur in stärkerem Maße Sponsoren zu gewinnen?

Ich glaube, daß es möglich ist, in diesem Bereich etwas zu machen. Neulich habe ich von sogenannten Junioren gelesen, das sind diese neuen Jungmanager. Und wenn so einer kommt und nebenbei noch Interesse an Literatur hat und ein ganz heller Kopf ist, dem kann so etwas gelingen. Ich selber kann aber nur sehr schwer überzeugend auftreten, wenn ich zu Esso laufe, oder zu Shell oder Marlboro. Zumal Literatur als Marketingprodukt auch schwierig zu verkaufen ist.

Würde Sponsoring denn die Literatur aufwerten?

Voraussetzung ist natürlich, daß man entsprechende, eben auch deutsche Literatur hat, die man veröffentlichen kann. Aber es muß auch einfach dazu kommen, daß in der Gesellschaft begriffen wird, daß Literatur gerade in solchen Zeiten wie heute absolut der Kulturförderung bedarf. Und wenn das über die staatliche Seite nicht möglich ist, müssen die Industrie oder die Konzerne, die sehr viel Geld für Kampagnen ausgeben, begreifen, daß man Literatur fördern muß. Das wäre doch nur positiv.

Heißt das, der Verleger von morgen könnte oder müßte sogar ganz anders aussehen?

Wenn wir jetzt von Verlagssterben sprechen, dann ist das kein unmittelbarer Beweis dafür, daß es nicht mehr möglich ist, Literatur zu

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6produzieren. Das wäre ja eine schreckliche Vision. Es ist dann nur der Typus Verlag, der stirbt, weil er auf eine ganz andere Zeit angelegt worden ist. Während Verlage, die sich heute gründen, vielleicht genau den Typus finden, mit dem man heute als kleiner Unternehmerverlag existieren kann.

Das wäre ja doch bitter, mit allem unterzugehen...

Es sieht so aus, als wenn all die Errungenschaften nach 1968, wie zum Beispiel das Entstehen von Verlagen, sozusagen auf dem Müllhaufen der Geschichte landen sollen. Das ist ein Ossi-Gefühl. Die 68er sind die Ossis von morgen.

Die Fragen stellte Mechthild Bausch