Ein Hauch der alten Solidarnosc

■ Der Streik im schlesischen Revier soll den Verfall der Löhne aufhalten. Die Schließung hochdefizitärer Gruben wird nicht verhindert.

Ein Hauch der alten Solidarność

Regierung und Solidarność haben ihre Verhandlungen am Dienstag morgen nach einer langen Nachtsitzung lediglich mit einigen „Vorvereinbarungen“ beendet. Nun droht Polen eine Ausweitung der Streikwelle von Schlesien auf andere Landesteile. Die Regierung erklärte sich bereit, den Koksereien ihre Steuerschulden zu stunden, so daß diese den Gruben ausstehende Schulden abzahlen können. Von den mittlerweile auch streikenden Eisenbahnern werden nur noch verderbliche und gefährliche Güter transportiert. Alle Kohlelieferungen nach außerhalb Schlesiens wurden ausgesetzt. Der Personenverkehr verläuft dagegen normal.

Dem Streik im oberschlesischen Industrierevier hat sich inzwischen auch die niederschlesische Eisenbahnersektion von Solidarność angeschlossen und einen sogenannten „schrittweisen Streik“ ausgerufen, bei dem in gewissen Abständen nur einzelne Stationen bestreikt werden, so daß der Verkehr nur verzögert wird, aber nicht zum Erliegen kommt. An der Streikwelle beteiligen sich alle polnischen Gewerkschaftszentralen. Appelle von Präsident Walesa und Premierministerin Suchocka, die Streiks einzustellen, stießen bisher auf taube Ohren. Nur die ohnehin bereits in Liquidation befindliche Waldenburger Grube „Nowa Ruda“ setzte ihren Streik aus. Streikbereitschaft wurde dagegen für das 40.000 Arbeiter beschäftigende Lubiner Kupferkombinat, die gesamte Region Lodz und die Braunkohlegruben bei Konin ausgerufen.

Urabstimmungen laufen zur Zeit noch in der Hüttenindustrie und in den Braunkohlegruben. Das Streikkomitee der Warschauer Ursus-Traktorenwerke hat die Gewerkschaft Solidarność unterdessen zum Generalstreik aufgefordert. Nach Ansicht der Streikbefürworter, die damit auch einen Regierungswechsel herbeiführen wollen, sollte dieser allerdings erst am 5. Januar ausgerufen werden. Eine Vorentscheidung darüber könnte bei der Sitzung der Landeskommission der Solidarność fallen, die am Dienstag in Kattowitz noch bis über den Redaktionsschluß hinaus beriet. Regierungsvertreter weisen darauf hin, daß die Auseinandersetzung um die Neustrukturierung der polnischen Energiewirtschaft unvermeidlich sei, und nennt das Beispiel Großbritanniens. Längst nicht alle polnischen Kohlegruben seien im Export ohne Subventionen konkurrenzfähig, während zugleich die Binnennachfrage wegen des Wegfalls der Energiesubventionen zurückgehe.

So fördert die „Boleslaw-Smialy-Grube“ für nur 14,56 US-Dollar pro Tonne, die Grube „Viktoria“ dagegen für 89,19 US-Dollar. Der Kohlepreis auf dem Weltmarkt bewegt sich zwischen 40 und 60 Dollar. Südafrika fördert inzwischen für (einschließlich Transportkosten nach Europa) 26 bis 33 Dollar pro Tonne, Australien hat ähnlich geringe Kosten, die USA machen Polen mit Preisen von 46 bis 58 Dollar Konkurrenz. Schon heute würde es sich für die nördlichen Landesteile Polens lohnen, Kohle über Rotterdam statt aus Schlesien zu beziehen.

Polen hat seine Jahresförderung von 190 Millionen Tonnen im Jahr auf 140 Millionen heruntergefahren. Trotzdem wurde keine einzige Grube geschlossen, was die Stückkosten weiter in die Höhe trieb. Nach dem Willen der Regierung sollen nun die Gruben mit den höchsten Förderkosten geschlossen werden, die bisherigen Subventionen in soziale Begleitmaßnahmen und Arbeitsbeschaffungsprogramme umverteilt werden.

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