Durchs Dröhnland
: Einer wie du und ich

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Vor ein paar Tagen saß ich im Kino, und bevor der Werbeblock begann, hörte ich hinter mir jemanden über Hüsker Dü schwadronieren. Als ich mich umdrehte, erspähte ich einen überaus bärtigen Mittdreißiger, und schlagartig wurde mir klar, daß ich auch inzwischen nicht mehr der Jüngste bin. Der Bart bemühte sich im folgenden, seiner Begleiterin Bob Mould als die bessere Hälfte der besten weißen Rockband der achtziger Jahre zu verkaufen. Ich, als glühendes Mitglied der Grant-Hart-Fraktion, wäre beinahe eingeschritten. Denn rückwärtsschauend stellt sich heraus, daß fast alle Songs, die man noch in Erinnerung hat, von Hart sind. Das liegt schlicht daran, daß Hart die besseren Melodien schrieb und von den elementaren Dingen des Lebens sang. Aus demselben Grund ist es schick vorzugeben, Mould besser zu finden, denn er war immer wütender, komplizierter, politisch korrekter, anspruchsvoller. Dafür hat er eben nie einen Song wie „Pink Turns Blue“ geschrieben. Folglich paßt also nichts besser zum Weihnachtsfest als ein Grant-Hart-Konzert. Wenn das Geschenkpapier ausgeraschelt hat, kann man das Fest der Liebe mit dem McCartney der 80er beschließen. Hart ist einer, dem die überschwenglichen Melodien verschwenderisch zufliegen, einer, der seine Talente verantwortungslos verschwendet hat. Kein Moralapostel wie Mould, sondern einer wie du und ich. Ein kleiner, dicker Tanzbär mit nur einem Fehler: daß er für seine Band Nova Mob das Schlagzeug mit der Gitarre vertauscht hat, ließ einen einmalig melodiösen Schlagzeugstil in der Versenkung verschwinden. Das ist schade, aber halt nicht zu ändern.

Am 24.12. um 23 Uhr auf der Insel, Alt-Treptow 6, Treptow

Rock-Institutionen in Deutschland (s.a. BAP, Westernhagen u.ä.) hatten, schon bevor sie berühmt wurden, etwas Angestaubtes und Überholtes. Es geht auch anders: Noise Annoys rekrutierten sich 1988 aus halbwegs bekannten Namen der Hamburger Punkszene und führten fort, was sie als Ramonez77 oder Torpedo Moskau begonnen hatten. Hier wird die Punktradition nicht aufgearbeitet, sondern einfach gnadenlos nachgespielt. Buzzcocks, Undertones, Bad Religion, natürlich Ramonez, vielleicht sogar Gary Glitter, alles was gut und billig war, kann man bei Noise Annoys heraushören. Versiert und in gesundem Tempo, zum Mitsingen und Wohlfühlen, zum Abtrainieren nach dem Gänsebraten. Die als Vorgruppe fungierenden Sheep On A Tree mußten zuletzt ihren Schlagzeuger an die ebenfalls aus Hamburg stammenden Noise Annoys abgeben, was ihrem eher epischen Punkrock aber hoffentlich nicht schadet. Etwas kleinteiliger als die herkömmliche punkrockende Unterhaltungsmusik.

Am 25.12. um 22 Uhr im K.O.B., Potsdamer Straße 157, Schöneberg

Gießen fiel zuletzt nur durch die Boxhamsters auf, die aufgrund ihres überraschenden überregionalen Erfolges gleich ein Label gründeten und fortan Freunden zur Veröffentlichung verhalfen. Die Firma nennt sich Bad Moon, dürfte Gießens einzige sein und hat ein entsprechend divergierendes Programm. Auch das Label-Paket, das jetzt auf Tour ist, lebt vor allem von der Unterschiedlichkeit. Dabei sind die Industrie- und HandelSKAmmer, kurz I.H.SKA, mit flottem, gitarrenlastigem Off-Beat, die weiße Punkhoffnung Bad Communication und Skinny Norris mit Hardcore, der nicht allzu hart ist. Kein Abend für Menschen mit Scheuklappen.

Am 26.12. um 22 Uhr im K.O.B.

Die langatmig dahintröpfelnden, des öfteren in den Kitsch lappende Musik von Death In June wäre nicht weiter der Erwähnung wert, wäre da nicht die Ästhetik, mit der sich das Projekt um den verwirrten DouglasP. umgibt: Weltkrieg-Zwo-Bilder, SS-Totenkopf und -Rune. Im Gegensatz aber zu Laibach, wo eine ambivalente Nutzung der Nazi-Ästhetik zu deren Erinnerung und Aufarbeitung dient, versucht DouglasP., dieselben Symbole für eine Bebilderung der eigenen obskuren Philosophie zu nutzen. DouglasP. bezeichnet sich selbst als „praktizierenden Magier“, aber distanziert sich eindeutig von der englischen National Front. Das Image von Death in June als Okkult-Nazis mag nicht der Realität entsprechen, es bleibt aber die Frage, wes Geistes Kind man sein muß, wenn man in solchen Zeiten nicht auf die Verwendung faschistischer Symbole verzichten kann.

Am 30.12. auf der Insel

Die letzte Platte von A.O.K. hieß „Hardcore Cabaret“ und das war sie auch. Blödeste Coverversionen mit noch blöderen Textabwandlungen („Schwarzbrot soll mein Mädel sein“), Stimmenimitationen der einschlägigen Promis und die Weigerung, die Instrumente richtig zu beherrschen. Sicherlich nicht jedermanns Humor, aber in der düster-ernsten deutschen Metal-Szene eine kleiner Lichtblick. Requiem kommen aus Frankfurt/Main, nehmen sich ernst und spielen einen bösartig soliden Metal, der unnötigerweise mit allerlei Mätzchen verziert ist, wo doch die gemein und extrem langsam sägenden Gitarren pur viel besser kommen. Zwar noch ein gutes Stück von der Klasse von St.Vitus entfernt, aber auf dem besten Wege.

Am 30.12. um 21 Uhr im Huxley's Jr., Hasenheide 108-114, Kreuzberg

Vielleicht das beste, was die Stadt im Moment zu bieten hat, wenn auch ursprünglich aus Australien. Und da sie sowieso jeder liebt, soll nur darauf hingewiesen werden, daß Sweets Of Sin mit ihrem völlig unglaublichen Waldhorn-Klarinette-Geige-Groove den Neujahrstag verschönern.

Am 1.1. im Roten Salon der Volksbühne, Rosa-Luxemburg- Platz, Mitte Thomas Winkler