Stasi hörte in der U-Boot-Affäre mit

Die Funkaufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit lauschte kräftig in den Kieler Kulissen/ Auch Barschel war frühzeitig im Bild/ Zahlreiche Akten sind heute verschwunden  ■ Aus Bonn Thomas Scheuer

Ende November 1986 schlugen in Kiel die Wellen hoch. Am 26. jenes Monats hatten die Kieler Nachrichten berichtet, daß die Firmen Howaldtswerke Deutsche Werft AG (HDW) und Ingenieurkontor Lübeck (IKL) Konstruktionspläne für den Bau von vier U-Booten ohne die erforderliche Genehmigung nach Südafrika geliefert hatten. Einer der spektakulärsten Rüstungsexport-Skandale der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte kam ins Rollen.

Alarm löste die U-Boot-Meldung auch in der HauptabteilungIII des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in Ostberlin aus. Die Stasi-Funkaufklärung verstärkte sofort ihre Aktivitäten zwischen Nord- und Ostseeküste mit Schwerpunkt Kiel. Rund um die Uhr wurden Telefonate und Telexverkehr, teilweise von zwei Spionageschiffen aus, abgefangen und ausgewertet.

Ihren Niederschlag fand die Tätigkeit der Stasi-Lauscher unter anderem in einem „Dossier zu der Person Ahlers, Klaus“ unter dem Aktenzeichen G/41397/15/12/86/02. Klaus Ahlers war bis Dezember 1986 Vorstandsvorsitzender der HDW und federführend an dem umstrittenen U-Boot-Deal beteiligt gewesen. Wegen seiner „operativ interessanten Verbindungen“ in Politik und Rüstungsszene war die Funkaufklärung des MfS seit Jahren bei dem Manager „auf dem Draht“. Das Dossier G/41397/15/12/86/02 vom Dezember 1986, im April 1987 durch einen Zusatzbericht ergänzt, bestätigt einen Verdacht, der von den Beteiligten seinerzeit vehement zurückgewiesen und auch von einem Untersuchungsausschuß des Bundestages nie geklärt wurde: daß „Schweigegelder“ flossen, um die Hintergründe der Affäre unter der Decke zu halten. Und auch, daß der damalige schleswig-holsteinische Ministerpräsident Uwe Barschel in Wahrheit früher und mehr über den U-Boot-Deal Bescheid gewußt haben muß, als er damals – noch ohne Ehrenwort – öffentlich beteuerte.

Laut dem Stasi-Report wurde das Ausscheiden des Topmanagers Klaus Ahlers bei HDW nach dem Auffliegen der U-Boot-Affäre „Ende November 1986 endgültig auf einer Vorstandssitzung der Salzgitter AG beschlossen. Offensichtlich ist Ahlers bereit“, notierten Mielkes Mannen weiter, „die Verantwortung für den illegalen Verkauf der U-Boot- Konstruktionsunterlagen an Südafrika sowie daraus resultierende eventuelle Sanktionen allein auf sich zu nehmen und damit das Management sowohl der HDW als auch der Salzgitter AG zu entlasten.“ Im Gegenzug hätten sich Ernst Pieper, damals HDW-Aufsichtsratschef, und Günter Saßmannshausen, seinerzeit Vorsitzender des Aufsichtsrates der HDW-Mutter Salzgitter AG, „bei einer internen Beratung (...) zu einer sehr großzügigen Regelung des Ausscheidens von Ahlers und zur Unterstützung bei seiner weiteren Karriere bereit erklärt“.

Vorausgesetzt, die Stasi-Spitzel notierten richtig mit, widerlegt ihr Bericht die damalige Version der Konzernspitze, wonach niemals „Schweigegelder“ bezahlt wurden. Dagegen bestätigt er die Vermutung der Minderheit von SPD und Grünen im Bonner U-Boot-Untersuchungsausschuß, es habe auf höchster Konzernebene Gemauschel und finanzielle Absprachen gegeben, um, wie der SPD-Abgeordnete Norbert Gansel noch heute glaubt, „die rechtliche Ahndung der Affäre zu erschweren“. Tatsächlich verliefen alle Ermittlungen im Sande.

Auch das Ingenieurkontor Lübeck gab sich gegenüber dem Mitwisser Ahlers offenbar nicht gerade knausrig: IKL-Chef Lutz Nohse, notierten die MfS-Horcher, „beeinflußte den Ahlers dahingehend, das IKL in seinen Außerungen nicht zu erwähnen. Nohse sicherte dem Ahlers, sollte dieser sich an die Absprache halten, eine finanzielle Zuwendung sowie die Unterstützung (...) in allen Fragen zu.“

Ebenfalls „Ende November 1986“, so die Stasi-Chronisten, wurde „auf einer Beratung zwischen Ahlers, Barschel und Pieper die weitere Vorgehensweise bei der Behandlung der U-Boot-Affäre abgestimmt“. Uwe Barschel hat beteuert, von dem U-Boot- Deal erstmals am 25. November 1986 durch einen Journalisten erfahren zu haben. Warum aber mußte dann ausgerechnet Uwe Barschel bereits „Ende November 1986“ (der Stasi-Report nennt kein genaues Datum) mit Pieper und Ahlers die „weitere Vorgehensweise“ in der Affäre beratschlagen? Warum sollte sich Barschel ausgerechnet im Vorfeld des wichtigen 87er-Landtagswahlkampfes in eine hochbrisante Affäre einmischen, mit der er nichts zu tun hatte? Kraft Amtes war Barschel für HDW nicht zuständig; die Kieler Landesregierung wurde in deren Aufsichtsrat von Finanz- Staatssekretär Carl-Hermann Schleifer vertreten.

Aus dem hier zitierten Stasi- Dossier geht hervor, daß so gut wie alle an der U-Boot-Affäre beteiligten Manager und Politiker vom MfS „erfaßt“ waren. Penibel wurden ihre geschäftlichen wie persönlichen Verbindungen ausgeforscht. Im Falle von Klaus Ahlers reicht die Liebe zum Detail bis hin zur Nennung des familieninternen Spitznamen und der Kontonummer einer Tante, für die Ahlers Aktiengeschäfe tätigte.

Mindestens ebenso intensiv hat die Stasi sicherlich auch den im Herbst 1987 unter mysteriösen Umständen in einem Genfer Hotel umgekommenen CDU-Spitzenpolitiker Uwe Barschel aufgeklärt. Nicht nur, als die U-Boot-Affäre aufschäumte, sondern erst recht, als er ein Jahr später im Rampenlicht seines „eigenen“ Skandals stand und stolperte. Doch das nach der Vereinigung in der Normannenstraße sichergestellte Material über den Kieler Sumpf steht in einem auffallend grassen Mißverhältnis zu dem nachweisbaren Sammeleifer des MfS. Es müssen in den letzten Tagen der DDR massenhaft Dokumente vernichtet oder beiseite geschafft worden sein. Auch westdeutsche Sicherheitsbehörden sollen Stasi-Dokumente noch vor der Vereinigung mit Hilfe von Überläufern eingesackt haben.

In den verschwundenen Papieren fänden sich womöglich Angaben zu einem anderen fragwürdigen U-Boot-Geschäft der HDW: Noch zu Zeiten des Schahs schloß die Werft einen Vertrag mit dem Iran über U-Boote ab. Nach dem Sturz des Schahs und der Machtübernahme der Ajatollahs wurde der Auftrag offiziell storniert. Doch Anzahlungen der Iraner in Höhe von rund 250 Millionen Mark sollen seltsamerweise nie zurückbezahlt, sondern auf teils nur schwer durchschaubare Weise „verrechnet“ worden sein.