Platznot kennen sie nur zur Weihnachtszeit – die Häuser Gottes in der Bundesrepublik. Für den Rest des Jahres herrscht Leere. Die Kirche ist unmodern, autoritär und steif. Trotzdem: Ihre Klingelbeutel sind reichlich gefüllt. Von Bascha Mika

Ihr Kinderlein kommet doch all

Sehr geehrter Herr Bischof!

Nun ist es Weihnachten, die Gotteshäuser sind voll, und Sie sind im Streß. Doch wenden Sie, nur eine Zehntel Kerze lang, Ihren Blick fort von der göttlichen Krippe mit der Heiligen Familie und hin zum kirchlichen Stall – der Herberge aller Gläubigen.

Auch Ihnen, verehrter Herr Bischof, dürfte nicht entgangen sein, daß Ihr evangelisches Haus nicht mehr das erste am Platz ist. Täuschen Sie sich bloß nicht über den Andrang zur Hochsaison.

Bieten Sie Ihren Gästen vielleicht zu wenig? Die Kirche ist „weltfremd, konservativ, langweilig, intolerant und steif“. Nein, dieses vernichtende Urteil würde ich mir nie anmaßen. Das kommt von den Leuten, die Ihrem Gehege den Rücken gekehrt haben. Und das sind, wie wir wissen, nicht wenig. Die neuesten Zahlen müßten Sie doch alarmieren! Allein im letzten Jahr schrumpfte die evangelische Herde um knapp 150.000. Auch Ihre katholischen Brüder leiden mit 100.000 Austritten pro Jahr schweren Mangel. Gut, noch weiden Sie rund 30 Millionen protestantische Schafe. Doch in den letzten dreißig Jahren verloren Sie allein in den alten Ländern mehr als drei Millionen, stellen nur noch vierzig statt ehedem fünfzigeinhalb Prozent der Bevölkerung. Irgendwann wird Ihnen der Rest zu wenig Mist machen.

Der Trend, Herr Bischof, spricht gegen Sie. Seit 1970 ist der Zugang durch Kindlein, die getauft werden, durchweg geringer als der Abgang von Alten, die es nach der letzten Ölung hinwegrafft. Vielleicht sollten Sie diesbezüglich mal mit dem „Höchsten Gremium“ verhandeln: daß erst dann ein Kirchenmitglied in den Himmel auffährt – respektive zum Schmoren in die Hölle hinabgestoßen wird –, wenn jemand Neues seinen Platz in der Kirchenbank einnimmt.

Noch geraten Sie nicht in Aufregung. Noch sammelt sich in Ihrem Klingelbeutel ein erkleckliches Scherflein: Rund 13 Milliarden Silberlinge für Sie und die katholische Kirche. Wenn es nur um den Mammon ginge, brauchten Sie sich eigentlich keine Sorgen zu machen. Dank wundersamer Geldvermehrung stieg das Kirchensteueraufkommen bisher sogar weiter. Unterm Strich nahmen die Kirchen durch die steigenden Gehälter der Gläubigen immer noch mehr ein, als sie durch die Abtrünnigen einbüßten. Doch auch Sie, Herr Bischof, wissen genau, die fetten Jahre sind vorbei.

Auch die ungläubigen Steuerzahler fangen an zu rechnen, neiden Ihnen die Steuerprivilegien und den Steuereinzug durch den Staat. Drei Milliarden pro Jahr gehen dem Staatssäckel allein dadurch verloren, daß die Kirchensteuern unbeschränkt abzugsfähige Sonderausgaben sind und die Einkommensteuer mindern.

Dafür aber, hör' ich Sie wettern, unterhalte die Kirche doch jede Menge Sozialeinrichtungen: Kindergärten, Altenheime, Krankenhäuser, entlaste somit den Staat und seine Bürger. Die Abschaffung der Kirchensteuer führe, so predigt der Verband kirchlicher Mitarbeiter, in die „soziale Katatrophe“. Doch hat nicht schon Jesus die Pharisäer wegen Heuchelei gegeißelt?

An die Amtskirchen als reine Wohltäter kann man nur glauben. Sie führen Ihre Kindergärten und Krankenhäuser im Namen Gottes und des Geschäfts: einen kräftigen Anteil der Trägerschaft übernimmt immer der Staat. Auch diakonische und karitative Organisationen arbeiten alle mit weltlichen Zuschüssen. Höchstens ein Viertel ihrer Steuern gibt Mutter Kirche für ihre armen, alten und kranken Kinder aus. 70 Prozent steckt sie – die katholische 60 – in das Überleben der Institution: um die Gemeinden zu fianzieren, Pfarrer, kirchliche Mitarbeiter und die aufgeblähte Verwaltung zu bezahlen.

Die Kirche, Herr Bischof, ist Menschenwerk ohne Ewigkeitsgarantie. Sprach nicht Dietrich Bonhoeffer vom „Für-den-anderen- Dasein“? Wenn sich die Institution weiterhin mehr Sorgen um ihren eigenen Fortbestand als um das Wohl der Menschen macht, wenn sie den freiwilligen Beitrag ihrer Anhänger durch den Kontext zur „Steuer“ in die Nähe der Zwangsabgabe rückt, kann ich Ihnen meine Sympathie für die Kirchenkritiker nicht verhehlen.

Aber lassen Sie uns nicht weiter vom schnöden Mammon reden, sondern vom Manna für die Seele. Denn sie darbt. Der große Kühlschrank Kosmos läßt sie frieren, selbst die Wohlstandsgesellschaft vermag ihren Hunger nach Sinn und existentieller Wahrheit nicht zu stillen. Religiöse Erfahrung scheint notwenig. Das meinen jedenfalls nach einer Umfrage 44 Prozent aller Schweizer Psychotherapeuten. Punktsieg für Sie, Herr Bischof! Nach der Entzauberung der Welt steigt die Sehnsucht nach spiritueller Verzauberung.

Doch ist Ihre Zeit als Zaubermeister, Herr Bischof, nicht schon vorbei? In der geschlossenen Anstalt Kirche, jammern die Bedürftigen, ist von religiöser Erfahrung wenig zu spüren. Statt dessen ackern Esoterik- und Selbsterfahrungsjünger erfolgreich auf dem seelischen Brachland. Die christliche Heilslehre hat den Schlüssel zur Seele verlegt, ihr Monopol ist gebrochen.

Vielleicht, sehr verehrter Herr Bischof, haben Sie die Dialektik von Rationalem und Irrationalem, von Aufklärung und Mythos doch nicht ganz verstanden. „Erkenntnis hat kein anderes Licht, als das von der Erlösung her auf die Welt scheint“, können Sie bei Adorno nachlesen. Sie aber kommen mit vernünftelndem Gestus daher und erzwingen fraglosen Glauben. Ihre Theologie ist doch auch nur Abstraktion statt sinnliche Religion. Die haben Sie im Zuge der Aufklärung vollends verloren. Da soll sich ein Mensch wohlfühlen!

Aber das wollen Sie ja gar nicht. In Ihrem Standardwerk TRE, der „Theologischen-Real- Enzyklopädie“, ist der Begriff „Glück“ nicht zu finden. Dabei steht die Selbstverwirklichung als individuelles Glücksstreben im Sinnkosmos junger Leute ganz oben. Vor allem junge Erwachsene mit höherem Bildungsniveau ziehen es vor, sich selbst ein Licht anzuzünden, statt sich von der Lampe Gottes erleuchten zu lassen. Mit autoritär vermitteltem Kleinkinderglauben – wortwörtlich die böse Schlange und die Jungfrauengeburt zu predigen statt von Bildern und Symbolen zu sprechen – ist im heutigen Wertesystem nichts mehr zu holen.

Was wollen Sie dagegen tun? Ihr Image aufpolieren und sich wie die großen Unternehmen mit professionellen Werbestrategien zu Markte tragen? Pläne und Pilotprojekte dazu gibt es in vielen evangelischen Landeskirchen und auch bei den Katholen. Lassen Sie den Unsinn! Institutionelles Eigeninteresse theologisch zu verschleiern gefährdet nur Ihre Glaubwürdigkeit. Entweder haben Sie eine notwendige Botschaft – dann wird sie auch die Kirche tragen, oder Sie haben keine – dann ist die Kirche obsolet.

Verabschieden Sie sich von der Volkskirche! Sie ist verdunstet. Brechen Sie Ihren Willen zur Macht, Sie haben sie nicht mehr, hätten sie nie haben dürfen. Volk und Kirche sind nicht mehr eins, das Credo für das Jahr 2000 hat mit ihrem apostolischen Glaubensbekenntnis nur wenig zu tun. Sich an alle gesellschaftlichen Trends saulusartig anzuhängen wird Ihnen nicht nützen. Bisher diente Ihr scheinbarer Freisinn doch nur als Deckmantel für absolut notwendige Zugeständnisse. Besinnen Sie sich auf Ihr Eigentliches! Nicht die großen Zahlen machen es; wenn schon Kirche, dann soll sie das Salz statt Suppe sein!

Lassen Sie sich vom Heiligen Geist umwehen und Ihren 1000jährigen Muff kräftig ausblasen. Schluß mit dem Patriarchat, hin zur Partizipation. Was denken Sie sich eigentlich, die Frau weiterhin als dumme Kuh der Kirche zu behandeln?

Ehrenamtlich darf die Frau uneingeschränkt dienen, aber wehe, sie gefährdet die Machos im Talar. Dann führen die sofort alle hochneurotischen Weiberhasser der Kirchengeschichte ins Feld: von Paulus bis Augustinus.

Vielleicht könnten Sie und Ihre Kollegen, verehrter Herr Bischof, mit christlichem Beispiel vorangehen und die Stühle für die Kolleginnen räumen?

Gesegnetes Fest!