Hohe Wahlbeteiligung in Kenia

■ Präsidentschafts- und Parlamentswahlen verzögert/ Nur vereinzelte Zwischenfälle/ Wahlbeobachter hielten sich zunächst mit ihrem Urteil zurück

Nairobi (taz) – Kenias Wahlkommission hatte den Mund zu voll genommen: Noch in der Nacht nach den allgemeinen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen vom Dienstag sollten die Ergebnisse vorliegen – aber gestern früh war noch nicht einmal überall der Wahlvorgang abgeschlossen.

Fast im ganzen Land hatten die mehr als 10.000 Wahllokale mit deutlicher Verspätung, in Einzelfällen sogar erst am Nachmittag aufgemacht. Eine neue Form des Wahlbetruges vermuteten dahinter etliche der Männer und Frauen, die in langen Schlangen geduldig ausharrten. Eine niedrige Beteiligung wäre nach Überzeugung vieler Anhänger der Opposition für die Regierung von Präsident Daniel arap Moi und die frühere Einheitspartei KANU günstig gewesen. Aber die Wahllokale blieben an den meisten Orten auch über die ursprünglich vorgesehene Zeit hinaus geöffnet, gelegentlich auf Druck internationaler Wahlbeobachter. Bisherigen Schätzungen zufolge haben sich noch an keinem Urnengang in der Geschichte des unabhängigen Kenia so viele Menschen beteiligt wie an diesem.

Beeindruckt von „der großen Leidensfähigkeit der Bevölkerung, die unglaublich motiviert war, an den Wahlen teilzunehmen, und dafür auch bereit war, stundenlang im Regen zu stehen“, zeigte sich ein westlicher Diplomat. „Zum ersten Mal haben die Kenianer das Gefühl, sich an der Ausgestaltung ihrer Zukunft beteiligen zu können“, meint auch der Restaurantmanager Roy Gachuhi, der als Beobachter einer der kleineren der insgesamt acht Parteien die Vorgänge in verschiedenen Wahllokalen überwachte. Der 34jährige Kenianer glaubt, daß sich sein Land seit Einführung des Mehrparteiensystems vor einem Jahr grundlegend verändert hat, selbst wenn der amtierende Präsident wegen der Zersplitterung der Opposition bei diesen Wahlen den Sieg davontragen sollte: „Dieser Mann war ein Halbgott, wir haben über ihn nur im Flüsterton gesprochen. Jetzt kann ich den Polizisten, der da drüben steht, fragen: Hast du auch gegen ihn gestimmt? Und ich habe nichts mehr zu befürchten.“

Es bleibt allerdings abzuwarten, ob sich alle Kenianer damit zufriedengeben werden. Schwere Zwischenfälle, Versuche, Wahlurnen zu stehlen oder durch Einschüchterung das Ergebnis zu beeinflussen, sind nur aus wenigen Orten gemeldet worden. Zu Unregelmäßigkeiten und Verwirrung bei Stimmabgabe und Auszählung aber kam es vielerorts, und bislang halten sich die Wahlbeobachter in ihrem Urteil darüber zurück, ob diese Vorfälle auf organisatorische Schwierigkeiten zurückzuführen sind oder ob ihnen eine betrügerische Strategie zugrunde liegt.

Die Wachsamkeit und das Mißtrauen der Parteienvertreter jedenfalls war groß: Rund eine Viertelstunde wurde in einem Wahllokal der Hauptstadt Nairobi allein über die Frage diskutiert, wer nach welchem System die Wahlurnen aus dem Gebäude zu dem vor der Tür stehenden Lastwagen tragen sollte – und das, obwohl rund hundert Männer und Frauen den Vorgang mit Argusaugen verfolgten.

Derartige Prozeduren kosten Zeit: Bei Redaktionsschluß waren erst wenige Stimmbezirke ausgezählt. Das Ergebnis der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Kenia ist noch immer offen. Bettina Gaus