Kittchen im Paradies

Einheimische Thais wehren sich in Phuket gegen den Ausverkauf ihrer Strände  ■ Von Rolf Schmelzer

Thailand, Land des Lächelns, Phuket, Perle des Südens im Dezember 1992. Satt, faul und träge sitze ich auf dem Balkon meiner Suite Nr. 246. Ich habe seit 48 Stunden das außerordentliche Vergnügen, ein paar sonnige und entspannte Tage im luxuriösen „Dusit Laguna Hotel Resort“ zu verbringen. Das Hotelmanagement hat mich netterweise im Rahmen seiner großzügigen Public-Relations-Aktivitäten zu einem dreitägigen Aufenthalt eingeladen, und ich habe dankend angenommen.

Nun sitze ich hier in der schwülwarmen Nachmittagssonne (Hotelwerbung: „Very Tropical. Very Green. Very/Dusit“) und schaue vorbei an Pool und Palmen hinaus aufs Meer. – Seit 48 Stunden sitze ich nun schon hier und hab' den „Dusit-Touch“: Meine komfortable Suite ist durch den Akt der einheimischen Dorfbevölkerung zur Zelle geworden, das Resort zum Gefängnis.

Gestern nachmittag konnte ich von meinem Balkon aus mit dem Fernglas beobachten, wie rund 50 Urlauber mit Schlauchbooten und einem Schnellboot der thailändischen Kriegsmarine (es trug die Nr. 629) evakuiert worden waren. Es waren diejenigen Hotelgäste der nebeneinander liegenden Hotelanlagen „Pacific Island Club“, „Dusit Laguna“ und „Sheraton Grande Laguna“, die nicht länger Gefangene im Urlaubsparadies sein wollten. Sei es, weil sie ihre Flieger nach Bangkok, Singapore, Hongkong, Tokio oder Frankfurt erwischen wollten oder auch einfach keinen Bock mehr auf Knast hatten.

Ich trage es mit stoischer Gelassenheit und hege keinerlei Fluchtgedanken. Es soll nicht verschwiegen werden, daß die Ausstattung meiner Zelle Nr. 246 nichts zu wünschen übrigläßt: Bar, Sitzgruppe, zwei TV-Sets, Audio- Tower, Video-Gerät mit vier bereitliegenden Filmen, unter anderen „Casablanca“ in der Originalversion, Mahagoni-Schreibtisch. Im zweiten Zimmer ein Canapé, riesiges Doppelbett mit Baldachin, Sitzgruppe. Dann das Bad. Ein Traum ... – Genug! Abgesehen davon, daß einige Läden hier im abgeschiedenen Resort während der letzten 48 Stunden geschlossen blieben und ich übersät bin mit Moskitostichen, weil ich mir kein Repellent besorgen konnte, scheint die Versorgungslage gut zu sein.

Doch was ist geschehen? Die Nabelschnur der erwähnten Hotelanlagen ist eine schmale Straße durch die Lagune und Sümpfe. Diese Lebensader halten rund eintausend Thais aus den umliegenden Dörfern seit eben diesen 48 Stunden rund um die Uhr blockiert. Quer über die Straße gelegte Bäume und Palmen, große Steine und Hunderte von Mopeds bilden einen beinahe undurchdringlichen Wall. Niemand, der zu den Hotel- Resorts will, kann unkontrolliert passieren, und wer die Anlagen einmal verlassen hat, darf nicht wieder hinein.

Diese für uns etwa 400 Insassen außerordentlich wichtigen Informationen erhalte ich auf der wöchentlichen Cocktailparty des Hotelmanagements. Aurelio Giraudo, Executive Assistant Manager des „Dusit Laguna“, fragt sich nach zwei schnellen Glas Bier mehr oder weniger laut, warum die Polizei tatenlos zusieht („Wenn die Leute ihr Land verkaufen, sind sie's doch selbst schuld. Verkauft ist verkauft!“), und ein wenig zimperlich und entschieden dreinblickender Schweizer Macker fordert unverhohlen: „Die Zufahrt muß freigeschossen werden!“ – Stammtischlaune.

Heute morgen habe ich einen kleinen Spaziergang zur Blockade unternommen. Schon von ferne sehe ich die Menschenmenge und höre die Lautsprecherdurchsagen in thailändischer Sprache. Als ich näherkomme, entdecke ich auch die Polizeibeamten unter einer Palme sitzen und mit ihren Walkie Talkies hantieren. Sie tragen Waffen, haben aber offenbar strikte Anweisung aus Bangkok, nach den blutigen Erfahrungen der Mai-Unruhen, die bekanntlich zum Sturz der Regierung führten, ein Blutvergießen zu vermeiden.

Ein großes rotes Zelt ist mitten auf der Straße errichtet worden, in dem Suppe und Reis zubereitet werden. Es gibt Getränke, und ich schätze, daß etwa 300 Menschen auf der Straße sind. Die Protestversammlung hat Volksfestcharakter. Es wird lächelnd miteinander diskutiert.

Man sagt mir, daß ein Vertreter des Singapurer Geschäftsmannes Ho Chin Wah anwesend sei. Ihm gehören die Grundstücke, um die es geht. Und für das Wochenende habe sich sogar der Ministerpräsident des Landes. Chuan Leek Pai, im Dorf angesagt. Das seien die neuen Zeichen der Demokratie im Lande, heißt es. Es wird gescherzt und gelacht. Sommerfestlaune.

Als ich im Zentrum der Menschentraube angelangt bin, drückt mir eine etwa dreißigjährige Thailänderin einen Zeitungsausschnitt in die Hand. Es ist ein ganzseitiger Artikel aus einer großen, überregionalen Tageszeitung. Ich überfliege die Seite: The Nation vom 30.November 1992, halbseitiges Farbfoto eines weißen Traumstrandes, Schlagzeile: „Phuket – Holiday Paradise where locals are banned“. Im unteren Drittel fällt dem Betrachter ein Emblem mit sechs erhobenen Händen ins Auge, unter dem zu lesen steht: „More Power To The People“.

Die Thailänderin fragt mich, in welcher der Hotelanlagen ich wohne. „Im Dusit“, antworte ich, worauf sie mich in „Preeda's Kitchen“ einlädt. Das ist ihre offene Strandküche, zwischen „Dusit“ und „Sheraton“ gelegen. Ihre Sorge ist, daß sie ihre Thai-Küche schließen muß, weil, wie sie sagt, die Hotelbetreiber ihre preiswerte Konkurrenz nicht gerne sähen. Deswegen stehe sie hier und protestiere für ihr Recht auf Kochen. Neben ihr hockt ein vielleicht 40jähriger Mann. Er ist Taxifahrer, sagt er, und ihn ärgert, daß viele Wege für ihn gesperrt sind und nur von hoteleigenen Fahrzeugen benutzt werden dürfen. Dagegen demonstriert er hier mit der Straßenblockade.

High Noon. Essenszeit. In „Preeda's Kitchen“ studiere ich den Zeitungsartikel. Der Autor, Rakkit Rattachumpoth, beschreibt darin den wachsenden Unmut der Inselbevölkerung darüber, viele ihrer Strände nicht mehr betreten zu dürfen. Jeder Tourist habe zu jedem Strand freien Zugang, den einheimischen Thais werde indes der Zutritt immer häufiger von den Sicherheitskräften der Hotels verwehrt. Sucho Phongsanon, ein 38 Jahre alter Dorflehrer, wird zitiert: „Als ich jung war, sind unsere Lehrer mit uns hinausgezogen, um dort zu campen und zu übernachten. Es war ein großartiges Erlebnis.“ Weiter erzählt er, daß er heute seine Schüler/innen nicht mehr an diese Strände seiner Jugend bringen kann, weil an ihnen große, internationale Hotels errichtet wurden. Ruedee Phumphuthavorn, 42jährige Geschichtslehrerin an der hiesigen „Satri Phuket School“, klagt nicht ohne Sarkasmus: „In naher Zukunft befürchte ich, daß meine Schülerinnen und Schüler darauf angewiesen sind, daß ich ihnen erzähle, wie unsere Strände aussehen, und das Meer. Und das alles, weil eine Handvoll Hotelbesitzer unsere Strände erstanden und zu ihren eigenen Privatstränden gemacht haben.“

Phukets internationales Tourismus-Gewerbe begann im Jahr 1972 zu keimen, als das „Phuket Island“ errichtet wurde. Die touristische Blüte der Insel begann jedoch erst 1987 mit dem bis dato nie erlebten Zustrom ausländischen Kapitals. Die neueste Touristik-Statistik besagt, daß im vergangenen Jahr 1,3 Millionen Urlauber in das südthailändische Urlaubsparadies gereist sind. 625 Millionen Mark ließen sie unter anderem hier auf der Insel zurück.

Ergebnis des „Thai And International People's Forum On Third World Tourism“ Ende November auf Phuket war: Nur ein verschwindend kleiner Teil dieses Geldes bleibt in den Geldbeuteln der einheimischen Bevölkerung. Das große Geld geht zurück zu den Hoteleignern nach Hongkong, Tokio und Singapore.

Mein Thai-Essen in „Preeda's Kitchen“ war vorzüglich: „Tom Yam Khung“, eine herzhafte, erfrischend scharfe Suppe, bestehend aus Pilzen, Tomaten, Schalotten, Zitronengras, Bergamottblättern, Chili, Limonensaft, Kokosnußmilch, Fischsoße, Korianderblättern sowie Petersilie und Shrimps als Einlage. Dazu duftig leicht gebratener Jasmin-Reis mit winzigen Hähnchenstückchen und ein kühles „Singha“-Bier. Mit fünf Mark bin ich satt dabei. Im „Dusit“hätte ich ein ähnlich leckeres Vergnügen für 22,50 Mark gehabt, falls der Vergleich erlaubt ist. Allein das Bier kostet dort 5,60 Mark.

Preeda legt mir mit der Rechnung ihr Gästebuch vor. Die letzte Eintragung datiert vom 8. Dezember 1992: „Die Regierung sollte für ihr Volk sorgen und es nicht von den Stränden vertreiben, um Platz für die Reichen zu schaffen. Denkt zuallererst an die einheimische Bevölkerung!“ Unterzeichnet ist dieser Appell von einem Paul Alexion aus Sydney. Ein anderer Tourist schrieb einen Tag zuvor: „Preeda's Kitchen“ sollte genau da bleiben, wo sie jetzt ist! Wir schätzen es sehr, eine Auswahl zu haben und nicht nur von der Monopolstellung der großen Hotels abhängig zu sein.“ Unterzeichnet ist diese Petition von elf Urlaubern aus London.

Ich füge unter dem Datum 10. Dezember hinzu: „Das Essen war Spitze. Nächstes Jahr probier' ich mal die gebratenen Nudeln mit Hähnchen an Ingwer. Ich wünsche mir sehr, daß ,Preeda's Kitchen‘ dann noch einen Platz am Strand zwischen ,Dusit Laguna‘ und ,Sheraton‘ haben wird.“

Preeda, verheiratet und Mutter von zwei Söhnen im Alter von acht und elf, hat bis vor fünf Jahren als Bauhelferin gearbeitet. Dafür bekam sie 80 Baht, umgerechnet fünf Mark Tageslohn. Mit dem, was ihr Mann dazu verdiente, konnte die Familie gut leben. Mit dem Touristenboom auf der Insel entschloß sie sich, selbständig zu werden, und eröffnete „Preeda's Kitchen“ dort, wo es auch heute noch ist. Anfangs nur eine offene Strandküche mit zwei Tischchen und ein paar Palmblättern, im Dezember 1992, kurz vor ihrer fünften Touristen-Saison von Weihnachten bis März schon mit zehn Tischen und einem reichhaltigen „Thai Food“-Angebot. So verdient sie 200 Baht täglich. In guten Wochen sind es sogar 400 bis 500 Baht, also etwas über dreißig Mark.

„Es gibt keinerlei Pläne, die Strandküchen zu entfernen, und wir haben auch niemals der einheimischen Bevölkerung untersagt, den Strand vor dem Hotel zu benutzen, und wir werden das auch in der Zukunft nicht tun“, versichert mir der Geschäftsführer des „Dusit Laguna Hotel Resort“, David Good.

Sein Kollege vom „Sheraton Grande Laguna“, Michele Cottray, verkündet mir bei einem Strandspaziergang während der insgesamt 72stündigen Blockade: „Der Eigentümer wird auf die Forderungen der Dorfbevölkerung eingehen. Straßen und Strände sind für alle da.“

Satt, faul und träge sitze ich auf meinem Balkon in der schwülwarmen Nachmittagssonne. Von „Preeda's Kitchen zurück ins Kittchen. Zelle Nr. 246. Vom Ende der Blockade keine Spur.

In der Nachbarzelle blickt Kathleen M. Burns von der Washington Post versonnen aufs Meer. Auch sie hat den „Dusit-Touch“. – Very Tropical. Very Green. Very Prison In Paradise.

Nachtrag:

Während unser Autor und einige weitere Resort-Insassen müßig aufs Meer blicken, erzielen die Verhandlungsführer von Eigentümer und Dorfbewohnern folgendes Ergebnis:

Die Blockade wird nach 72 Stunden vollständig beendet sein. Alle Dorfbewohner dürfen sich zu jeder Zeit an jedem Ort des Strandes aufhalten. Die bestehenden Strandküchen und Verkaufsstände bleiben erhalten. Es kommen weitere hinzu. Wasser und Strom kann kostenlos von den umliegenden Hotelanlagen bezogen werden.

Damit haben die Blockierer ihre Hauptforderungen durchgesetzt. Noch in der Nacht nach dem zweiten Tag der Straßensperre können die ersten Hotelfahrzeuge die Straßensperre wieder ungehindert passieren. Die Neujahrstouristen haben damit wieder die Qual der Wahl zwischen hervorragender Nobel-Cuisine und nicht minder empfehlenswerter offener Thai-Küche, gewürzt mit Strandluft, Sonne und Meersalz.