Die Belgrad-Connection in Washington

Personen, Männerfreundschaften, Geschäfte und hohe Politik: Wie das Trio Eagleburger, Scowcroft und Carrington im Verein mit Kissinger und Panić die Jugoslawien-Politik der US-Administration beeinflußten  ■ Eine Nachbetrachtung von Paul Harris

Die letzten Tage der Regierung Bush werden in der Geschichte vielleicht ein wenig seltsam wirken. Jetzt, da die Marineinfanterie in Somalia gelandet ist und ein Engagement in Bosnien näherrückt, legt Washington plötzlich Enthusiasmus für Auslandsabenteuer an den Tag, nachdem es doch dem direkten Engagement in Regionen, die nicht unmittelbar die amerikanischen Interessen berührten, abgeschworen hatte. Man wiegt sich anscheinend in der Hoffnung, die Geschichte werde den Bankrott der amerikanischen Politik nicht allzu streng beurteilen.

Die US-Positionen zum tragischen Auseinanderbrechen Jugoslawiens zeichneten sich bisher lediglich durch einen ganz besonderen Mangel aus — das Fehlen einer schlüssigen Politik. Dieser Mangel wurde unterschiedlich interpretiert: als Folge schlichten Desinteresses, als Angst vor einer militärischen Verwicklung oder als Konsequenz einer möglicherweise unzureichenden Arbeit der Nachrichtendienste. Der näheren Analyse vermag jedoch keine dieser Begründungen standzuhalten. Denn sobald man das Vorgehen der an der Gestaltung der US-Politik beteiligten Individuen untersucht, ergibt sich vielmehr ein beunruhigendes Interessengeflecht: Indizien für eine enge Verstrickung der Politiker mit der serbischen Führung, Hinweise auf ein Konglomerat verhüllter Interessen und eine kräftige Dosis „Geheimpolitik“. Als US-Außenminister James Baker am 22. Juni letzten Jahres Belgrad besuchte, machte er die US-Position unmißverständlich klar: Jugoslawien müsse als zentralisierte Föderation bestehen bleiben, und Slowenien und Kroatien warnte er vor „der Gefahr einer einseitig erklärten Unabhängigkeit“. So wurde den Kroaten und Slowenen deutlich gemacht, was ihrer Unabhängigkeitserklärung im nächsten Monat folgen würde, und die Serben erhielten grünes Licht. Sie konnten, nicht ohne Grund, diese Verlautbarung als eine deutliche Unterstützungserklärung direkt aus Washington lesen. Nach achtzehn Monaten eines bitteren und blutigen Krieges — der über 100.000 Tote, mehr als zwei Millionen Flüchtlinge, ungezählte Verletzte und Vermißte kostete und all die Folgeprobleme aufwarf, mit denen sich Europa jetzt herumschlagen muß – scheint es an der Zeit, die Ursprünge dieser unglaublich unfähigen Politik zu hinterfragen.

Es gibt inzwischen eine ganze Menge Hinweise darauf, daß die US-Politik von einer kleinen Clique einflußreicher und mächtiger Männer mit umfassenden und direkten Verbindungen zu Kreisen der jugoslawischen Wirtschaft und Politik gestaltet wurde: diese Männer wurden nur selten miteinander in Verbindung gebracht, aber heute können wir im Vorgehen des damaligen stellvertretenden Außenministers Lawrence S. Eagleburger, des Nationalen Sicherheitsberaters Brent Scowcroft, des ehemaligen Außenministers Henry Kissinger und Jugoslawiens ehemaligem Premierminister Milan Panić einen Zusammenhang erkennen.

Nicht umsonst wird Lawrence Eagleburger im Pentagon häufig als „Lawrence von Serbien“ bezeichnet. Im Juli letzten Jahres sagte Charles Bond, ein Vertreter des Außenministeriums, gegenüber dem Magazin Executive Intelligence Review: „Über Eagleburger verlaufen gewöhnlich die Kontakte, wenn die Bush-Regierung mit den Jugoslawen etwas zu bereden hat. Er ist der Mann mit der größten Erfahrung. Er trifft sich oder telefoniert regelmäßig mit allen jugoslawischen Führern.“

Eine Politiker-Karriere

Eagleburger hat, was Jugoslawien angeht, eindrucksvolle Referenzen aufzuweisen: nach 1957 war er vier Jahre als Beamter des Auswärtigen Dienstes in Jugoslawien; von 1977 bis 80 war er US-Botschafter in Belgrad; und im Dezember 1989 wurde er zu Bushs persönlichem Koordinator für osteuropäische Angelegenheiten ernannt. Im Februar 1990, als das Blut in den Straßen Kosovos kaum getrocknet war, besuchte er Belgrad und lud seinen „Freund“ Slobodan Milošević ins Weiße Haus ein.

Seine Geschäftsverbindungen mit Jugoslawien sind umfassend; viele entstammen unmittelbar seiner Arbeit für die internationale politische Beraterfirma Henry Kissinger Associates (gegründet 1982), deren Vorsitzender er von 1984 bis 1988 war. Er saß auch im Vorstand von Kissingers Tochterfirma Kent Associates, einer kommerziellen Firma, die gegründet worden war, um getrennt von der Tätigkeit der Mutterfirma – Nachrichtensammlung und Beratung – wirtschaftliche Aktivitäten abzudecken. Eagleburgers Verbindung mit Kissinger ist alt und eng. Er arbeitete für ihn sowohl unter Nixon als auch unter Ford. Kissinger bestätigte gegenüber der New York Times, sowohl Präsident Bush vor seinem Amtsantritt als auch der designierte Außenminister James Baker hätten ihn vor der Ernennung Eagleburgers zum stellvertretenden Außenminister konsultiert und er habe sich für die Ernennung ausgesprochen.

Von 1986 bis 1990, während seiner Arbeit für Kissinger Associates, war Eagleburger einer der Direktoren der LBS-Bank, einer hundertprozentigen Tochter der jugoslawischen Ljubljanska Banka; Direktor bei Global Motors Inc., der US-amerikanischen Vertriebsfirma für die Jugo-Wagen; und Vorsitzender von Jugo- America Ltd., ihrer Tochterfirma.

Draht zur Rüstungsindustrie

Der jugoslawische Hersteller des Jugo ist Zavodi Crevna Zastava (ZCZ). ZCZ war – und ist – das Kernstück der jugoslawischen Rüstungsindustrie mit zahlreichen Exportkunden im Irak, in Libyen und Osteuropa; zugleich bedient ZCZ die zur Zeit unersättliche serbische Militärmaschinerie. 1988, im Jahr vor seinem Eintritt in die Regierung Bush, verdiente Eagleburger 674.000 Dollar an Gehältern und über 240.000 Dollar an Ablösegeldern.

Als Eagleburger zum Außenminister ernannt wurde, um James Baker für die Leitung von Bushs unglückseligem Präsidentschaftswahlkampf freizustellen, bemerkte die Londoner Times hinsichtlich seiner Interessen: „Diese und die früheren Kontakte mit dem alten, von Serben beherrschten Regime in Belgrad haben ihm Anklagen aus dem Kongreß eingebracht, er sei mit dafür verantwortlich, daß die Regierung den Ernst der Balkan-Krise so spät erkannt habe.“

Während seiner Arbeit für Kissinger unter Nixon und Ford entwickelte sich eine Freundschaft zwischen Eagleburger und Brent Scowcroft. Scowcroft war Nationaler Sicherheitsberater unter Präsident Gerald Ford. Er wurde der erste Teilhaber bei Kissinger Associates: zwischen 1982 und 1989 (als er als Bushs Nationaler Sicherheitsberater in die Regierung zurückkehrte) bezog er aus seiner dortigen Tätigkeit jährlich etwa 100.000 Dollar. Während des Jugoslawien-Konflikts haben Eagleburger und Scowcroft eine enge Verbindung aufrechterhalten, und „es ist bekannt, daß sie andere Angehörige des Weißen Hauses zur Weißglut brachten, wenn sie bei Sitzungen miteinander serbokroatisch sprachen, was beide Männer fließend beherrschen.“ (London Times).

Bei Kissinger Associates hatte Scowcroft nicht nur mit Eagleburger zu tun; ein weiterer Direktor war Lord Carrington, der ehemalige britische Außenminister, der später zum EG-Friedensunterhändler im Jugoslawien-Konflikt wurde. Im Laufe der Zeit entwickelte sich das Trio Eagleburger, Scowcroft und Carrington zu den wichtigsten Meinungsbildnern, wenn nicht Entscheidungsträgern in der Tragödie Jugoslawiens. Kissinger selbst hielt sich zu Jugoslawien in der Öffentlichkeit bemerkenswert zurück. Eins ist jedoch sicher: die Lösung der jugoslawischen Situation wäre für ihn nur ein Teil des größeren europäischen Kreuzworträtsels; er ist dafür bekannt, daß er Probleme nicht isoliert begreift, sondern in weltstrategischen Kategorien.

In seiner Ausgabe vom 31. Juli 1992 vermutete das Magazin Executive Intelligence Review (EIR) direkte Verbindungen zwischen Mitgliedern dieser Gruppe und Milan Panić, dem 62jährigen US- Multimillionär, einem gebürtigen Serben, der im Juni 1992 plötzlich und unter einigermaßen mysteriösen Umständen in Belgrad auftauchte und Premierminister wurde. Er war zuvor relativ unbekannt. Man weiß, daß er 1956 mit 200 Dollar in der Tasche in die USA kam, bekannt lediglich als Radrennfahrer, und daß in den letzten Jahren sein kalifornisches Haus als Kulisse für die Serie „Dynasty“ gedient hat. Davon abgesehen war er ein riesengroßes Fragezeichen. Panić tauchte aus dem Nichts auf und wurde zu einer politischen Kraft. Seine Holding, die ICN Pharmaceuticals, so behauptete EIR, hatte eine serbische Tochterfirma namens Galenika, die früher „von einem ehemaligen US-Botschafter in Jugoslawien geleitet wurde, dem stellvertretenden Außenminister Lawrence Eagleburger, einem Protegé von Henry Kissinger...“ In einem Interview stritt Panić diese Beziehungen nicht ab und verkündete sogar, er wolle in Serbien „eine Politik der schnellen Privatisierung betreiben, nach dem sehr erfolgreichen Modell von Galenika, die jetzt zu einer Tochterfirma von ICN Pharmaceuticals geworden ist.“

Die Vorgeschichte von Panić' Auftauchen in Belgrad im Juni wurde niemals zufriedenstellend geklärt, aber seine Freundschaft mit Eagleburger, die Zahl der Amerikaner in seinem Stab – darunter ein ehemaliger US-Botschafter in Belgrad – und die Mühelosigkeit, mit der er vom US-Schatzministerium die Ausnahmegenehmigung erhielt, die Regierung eines ausländischen, UN-Sanktionen unterliegenden Landes zu übernehmen (was einem US-Bürger verboten ist) – all dies zusammengenommen rechtfertigt den Verdacht, daß die Herrschaften vom CIA aus Langley, Virginia, ihre Hände im Spiel hatten.

Es erscheint durchaus schlüssig, daß Panić zu einem Zeitpunkt in Belgrad erschien, als – vor dem Hintergrund von Berichten über die unglücklichen Opfer der ethnischen Säuberungen und Bildern aus Sarajevo, wo Brotschlangen mit Granatwerfern beschossen wurden – der Druck auf den Westen und den Sicherheitsrat zunahm, entschlossen gegen die Serben vorzugehen. Panić war ein hervorragender Lückenbüßer, um die Forderungen nach militärischem Vorgehen gegen Serbien abzubiegen. Panić wurde in Belgrad abgeladen, um den Gang der Geschichte für ein einige Monate aufzuhalten – wie der holländische Junge mit dem Daumen im Deich.

Gegen Ende dieses Jahres sind aus den Korridoren der Macht in Washington noch ominösere Gerüchte gedrungen. Alles spricht jetzt von einem „Geheimplan“ für Jugoslawien; von einem Treffen in Wien, wo die wahre US-Politik festgelegt worden sei. Nach den Worten von Michael Pye, dem Washington-Korrespondenten des Scotsman, gibt „es noch immer Internationalisten im Stile Kissingers, die überzeugt sind, es sei Amerikas Pflicht, über den Planeten zu wachen. In einem neueren Politikpapier des Pentagon werden die Brennpunkte der zukünftigen amerikanischen Militärpolitik und Diplomatie behandelt und empfohlen: Amerika müsse darauf hinarbeiten, den Aufstieg jeder vergleichbaren Supermacht zu verhindern.“

Natürlich gibt es in Europa nur eine einzige aufsteigende Supermacht. Die Serben zumal haben in ihrer öffentlichen Propaganda bereits ein vereinigtes Deutschland als das drohende Gespenst eines Vierten Reiches von der Nordsee bis zur Adria identifiziert. Die deutsche Unterstützung für Slowenien und Kroatien hat dazu beigetragen, dies als fixe Idee in den Köpfen der Serben zu verankern. Wie wäre es also mit Serbien als einem Bollwerk gegen die deutsche Expansion nach Süden? Ist es unmöglich, daß die Herren Scowcroft und Eagleburger dieses Konzept unter dem Einfluß, wenn nicht im Interesse, ihrer alten Freunde und Kollegen in Serbien auf die Tagesordnung gesetzt haben?

Das würde eine Menge von dem erklären, was bisher unerklärlich schien: das Fehlen eines realistischen westlichen Vorgehens, um dem unbestrittenen Greuel in Bosnien Einhalt zu gebieten, und das offensichtliche moralische Vakuum, von dem diese Politik geprägt ist. Manche würden sogar noch weiter gehen: Für sie schwebt über dem ganzen verfahrenen Schlamassel der Geist Henry Kissingers, in dessen wohlbekannter geostrategischer Sicht Europa nur ein Steinchen im Puzzle der Macht darstellt.

Paul Harris ist ein schottischer Journalist, der einen Großteil der letzten eineinhalb Jahre im ehemaligen Jugoslawien verbracht hat. Er ist der Autor eines Buches „Somebody Else's War“ über die Kriege in Slowenien, Kroatien und Bosnien, das in Deutschland im Februar im Barett-Verlag, Düsseldorf erscheinen wird. Aus dem Englischen von Meino Büning