■ Mit Pestiziden auf du und du
: Düngen mit Giften

Berlin (taz) – Der Einigungsvertrag widmete auch der Verwendung von Pestiziden einen Abschnitt: einige Mittel, die im Westen als Giftmüll gelten, durften noch bis Silvester 1992 auf die Felder der Ex-DDR gekippt werden. Nun ist die Übergangsregelung ausgelaufen, wassergefährdende Stoffe wie Dichlorprop und Simazin oder das vom Bundesgesundheitsamt als krebserregend eingestufte Captan sind auch im Osten verboten.

Aber das Land Thüringen hat einen Gesetzentwurf eingebracht, der darauf abzielt, die Ausnahmeregelung zu verlängern. Begründet wird das Ansinnen auch damit, daß die ordnungsgemäße Entsorgung der Pestizide zu kostspielig sei. Der Bundesrat hat schon seinen Segen gegeben – nicht ohne Eigennutz. Denn die Altpestizide aus DDR-Beständen, die illegal nach Rumänien transportiert wurden, müssen jetzt auf Kosten aller Länder zurückgeholt und hierzulande entsorgt werden. Um derartige Aktionen nicht häufiger vorkommen zu lassen, haben die Landesväter es offenbar vorgezogen, die weitere Vergiftung der ostdeutschen Brüder und Schwestern in Kauf zu nehmen. Jetzt müssen nur noch die Bundestagsabgeordneten zustimmen.

Aber auch die WestverbraucherInnen dürfen sich trotz der 1989 nach langem Streit verabschiedeten Pflanzenschutzmittel-Verordnung nicht auf giftfreien Eintopf freuen. Nicht nur wassergefährdende Stoffe wie Bentazon und Diuron sind zugelassen. „Die bisherige Entsorgung von Pflanzenschutzmitteln erfolgt weitgehend ungeordnet“, moniert das Umweltbundesamt. Und so wird das Trinkwasser der Westdeutschen ebenfalls durch Altpestizide bedroht, die auf Mülldeponien gelandet sind. Hinzu kommt, daß die Zusammensetzung vieler Präparate geheim ist und eine Gefahr erst dann erkannt wird, wenn die Rückstände im Trinkwasser nachgewiesen werden können – oft Jahre nachdem sie ausgekippt wurden.

Und schließlich: Nicht alles was verboten ist, wird auch nicht angewendet. Obwohl Atrazin seit 1991 nicht mehr zugelassen ist, stellten mittelfränkische Wasserversorger im letzten Sommer eine nie dagewesene Konzentration des Stoffes in ihren Proben fest. Unklar ist, ob ein Bauer seine Restbestände versprüht hat oder das Mittel jenseits der Grenzen eingekauft hat. Auf EG-Ebene wird noch eifrig gestritten, ob die Chemikalie auf der Positiv- oder Negativliste landet. Der Chemiegigant Ciba Geigy, der 60 Prozent des Atrazin-Weltmarktes hält, betreibt eifrig Lobbyarbeit. Da das Mittel wesentlich preiswerter ist als Pestizide mit vergleichbarer Wirkung sind die Chancen, zumindest für eine Übergangszeit, günstig. Und Übergangszeiten können, besonders wenn sie finanziell begründet sind, auch verlängert werden – siehe Thüringen. aje