GÖRAN SONNEVI

Foto: Renate von Mangoldt

Zwischen dem 1965 in der Märznummer von Bonniers Litterära Magasin erschienenen Gedicht „Über den Krieg in Vietnam“, das eine enorme, nicht nur literarische Wirkung erzielte und zu einem Auftakt für die breite schwedische Vietnambewegung wurde, und den Versen von „Lebenskrone, todeskrone...“, die den Kreis der engagierten Lyrik ganz offensichtlich verlassen haben, liegen mehr als zwanzig Jahre. Schon in den frühen, „politischen“, Gedichten gelang es aber dem 1939 im südschwedischen Lund geborenen Göran Sonnevi, politische Rhetorik zu vermeiden. Die Spannbreite seiner Lyrik – engagiert (idealistisch) und hermetisch zugleich – ist erstaunlich und erinnert an das schöne Wort von Nelly Sachs, das der deutsche Übersetzer Sonnevis, Klaus-Jürgen Liedtke, in seiner eigenen Auswahl zitiert: „Die Lyrik der Schweden erscheint oft unpersönlich geheim, entstanden wie Vogelflug oder Eisflora am Fenster. Was ihr [...] in hohem Maß zuteil wurde, könnte man mit einer leuchtenden Ekstase des Geistes bezeichnen.“ In Gedichten wie „Jetzt“ oder „Lebenskrone, todeskrone“ findet sich diese Ekstase als luzider Mystizismus wieder. Die Gedichte spielen mit extremen Gegensatzpaaren, sind von einem starken Gefühl von Geschichte, von Zeit, von Wechsel, Geburt und sich folgenden Generationen durchpulst. Immer schreibt Göran Sonnevi gegen Erstarrung, gegen Unheil, gegen Machtverhältnisse an, will sich des Selbst und der Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit vergewissern. Werkzeug dieses Erfassens ist die Sprache, exakt, oft spröde im Ausdruck, doch rhythmisch aufgeladen, in ihrer Entfaltung bemüht, Freiheitsräume zu schaffen und zu bewahren.

Göran Sonnevi mag sich von dem weitgreifenden Idealismus von 1965 entfernt haben, als er und viele seiner Altersgenossen hofften, aus der Verbindung von Sprachtheorie und Gesellschaftswissenschaft Verhaltensregeln für ein menschenfreundliches Sozialgefüge zu gewinnen. Entsetzt über die imperialistische Entwicklung des inzwischen geeinten Vietnams, sucht er heute, in seiner poetischen Sprache Individuelles und Kollektives, Natur und Mensch, Utopie (Unmögliches) und Mögliches zu versöhnen. Sein ×uvre ist somit zum einen Chronik der laufenden Ereignisse, zum anderen zeigt es die sich über nun bald dreißig Jahre vollziehende gedankliche Entwicklung eines großen Dichters. Ihn lesend, erfahren wir viel über uns selbst und viel über Sonnevis Weg: von einer aus dem Geist eines undogmatischen Sozialismus hervorgegangenen poetischen Welt hin zu einer Hölderlinschen Mystik und dem „Traum vom kollektiven Mozart“, in dessen Schöpfung Sonnevi eine Alternative zur entropischen Tendenz der wirklichen Welt sieht. Joachim Sartorius

Bibliographischer Kurzhinweis: Nach verstreuten Veröffentlichungen in verschiedenen Literaturzeitschriften wie den Horen oder Akzente (dort in Nr. 1/1984 auch ein Essay von Detlef Brennecke zu Sonnevis poetischer Entwicklung) hat der Verlag Kleinheinrich in zwei vorbildlich ausgestatteten Bänden eine repräsentative Auswahl der Gedichte vorgelegt. Band I: Das Unmögliche. Gedichte 1958–1975, und Band II: Sprache Werkzeug, Feuer. Gedichte 1975–1987 (Münster 1988/89). Klaus-Jürgen Liedtke wählte die Gedichte für diese beiden Bände aus und übersetzte sie. Auch die Übersetzungen auf dieser Seite sind von ihm. Ihr Abdruck auf dieser Seite erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlages Kleinheinrich.