Christo ante portas

Mit dem Silbermesser in die deutsche Geschichte schneiden: Christos „Wrapped Reichstag“ wird vielleicht doch noch Wirklichkeit/ Der Land-art-Künstler zeigt seine Entwürfe  ■ Aus Berlin Ulf Erdmann Ziegler

Das darf wohl eine konzertierte Aktion genannt werden: Christo, der populärste Vertreter der amerikanischen land art, kommt nach Berlin, zeigt noch einmal seine strahlenden, farbigen Entwürfe und Fotografien realisierter Projekte. Rita Süssmuth eröffnet die Ausstellung im Marstall am Marx- Engels-Platz, wo einst Beuys von der DDR entdeckt worden war. Veranstalter der Christo-Schau ist die Stiftung Neue Kultur, deren Kuratorium der Berliner Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz vorsteht, und die Einführungsrede zur Ausstellung hält der Generaldirektor der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Wolf-Dieter Dube.

Endpunkt der Ausstellung ist ein Saal mit Entwürfen zur Verpackung des Reichstags und einem Modell, von dem die Journalisten nicht glauben wollen, das man auf seinem gestalteten Sockel nicht sitzen darf, und nein, auch als Stativ für schwere Kamera ist es nicht da. Das macht Christo mit aufgeregten Gesten deutlich: Christo, vor 57 Jahren in Bulgarien geboren, 1956 nach Prag gegangen, dann nach Wien, nach Paris, 1964 nach New York. Da sitzt er nun, ein hageres, Männchen — fast könnte er der Bruder von Woody Allen sein — im rotgestreiften Hemd, hellem Popelinejäckchen und der Miene von einem, der die Ehrungen hat mit Schmähungen bezahlen müssen: schwer strapaziertes Geckentum. Man möchte nicht meinen, daß dieser Mann ein paar Millionen Dollar auf dem Konto hat, die er, wie er sagt, ausgeben könnte, um seiner Frau Jeanne-Claude Diamanten zu kaufen; statt dessen möchte er, seit „dreißig Jahren“, wie er in hölzernem Englisch kundtut, den deutschen Reichstag verpacken, und der „Wrapped Reichstag“ ist sein ehrgeizigstes, zähestes Projekt, und mit Sicherheit das, was sein Scheitern leuchtend symbolisieren würde, wenn es denn scheitern sollte.

Da sind ihm wohl, das passiert gerade den Kämpfern, die Jahrzehnte durcheinandergepurzelt: Seit 1972 gibt es nachweisbare Pläne für die Verpackung des Reichstags, der damals mit dem Rücken zur Hauptstadt der DDR stand und der als düsteres Symbol einer gescheiterten deutschen Demokratie neben der gigantomanen Mauer fast verblaßt war. Es wäre, sagt er realistisch, nicht mehr als eine „Fußnote zum kalten Krieg“ gewesen, den Reichstag damals zu verpacken, und dennoch klingt es etwas bitter, wenn er die Namen derer nennt, die seine Idee der Reihe nach verworfen haben: Carstens, Barzel, Stücklen, Jenninger — Bonner Bundestagspräsidenten, die nichts so wenig brauchen konnten wie ein deutschnationales Spektakel an der Mauer unter Regie eines Ostblock-Flüchtlings.

Jetzt aber seien er und Jeanne- Claude von Dr. Süssmuth nach Bonn eingeladen, um die Sache noch einmal mit dem hartnäckigen Künstlerpärchen zu besprechen. Seine Arbeit, erläutert er, teile sich in eine „Software- und eine Hardware-Phase“, und die Spezialität der Ideenphase ist es, daß es eine öffentliche Beteiligung gibt: Leute, die sich immer freuen, wenn etwas geschieht; und Kunstfreunde, denen ein leuchtend orangener Vorhang in einem Felsental in Colorado gerade recht kommt; und die Skeptiker, die den großen Maßstab seiner Pläne als maßlos verwerfen; und die Kunsthasser, denen der Quark, den sie nicht verstehen, im Depot des Museums schon zu teuer gelagert ist; und die Umweltschützer, die das Biotop der Biscayne Bay bei Miami durch die rosa schwimmenden Inseln gefährdet sahen.

Die Hardware-Phase steht bevor: Ende August oder Anfang September, wenn und falls das Wetter gut ist, will Christo auf eigene Kosten den Reichstag verpacken, keine Senatsgelder, keine Bundesgelder, keine Sponsorengelder nötig, sagt er. Der Termin ist listig gewählt: Heute, am Tag der Eröffnung, beginnt auch das Preisgericht zu tagen, das sich für einen der Entwürfe zum Umbau des Reichstags entscheiden soll. So erfährt eine Idee ihr Revival, die so bekannt erscheint, daß man sie fast für eine Erinnerung hält. Die Geschichte kehrt, als utopischer Entwurf, zurück; Tatlin rührt sich von Eifersucht gequält im Grab.

Keine Frage, die Grenze ist offen, Deutschland jedenfalls geographisch geeint, und als einzigen möglichen Zeitpunkt für die Verhüllung nennt Christo die Zeit vor dem Umbau. Er will ein Bild erstellen, das er als imposant und strahlend schildert: Der imperiale Bombast verschwindet unter einem silbern getönten Kleid aus schwerem Nylon, das mit Ausnahme der eingeschnürten Türme und Giebel nicht direkt anliegt, sondern sich leicht im Wind bewegt. Eine „gotische Skulptur“ soll es werden, läßt Christo sich entlocken, und erinnern an den Faltenwurf der Kleider auf den Drucken Dürers. Zwei seiner weißlichen Zeichnungen hat er auf eine Telefonkarte der Telekom drucken lassen, mit der man für sechs Mark telefonieren kann, sechzig Mark kostet sie, Auflage: 2.000 Stück. Das Ding ist natürlich zum Sammeln da, aber auch das Reichstagskleid, versichert er, sei wiederzuverwerten, zum Beispiel beim Abdichten künstlicher Teiche.

Christo will nicht sagen, was den Deutschen der Reichstag bedeutet, „meine Werke sind größer als die Vorstellung“, bewiesen hat er's. Warum er nicht den Kreml verhülle, wird Christo gefragt, oder das Weiße Haus schwarz streiche: So dumm die Fragen dem Künstler scheinen müssen („Ich verpacke doch nicht irgendwelche Brücken und Gebäude, einfach so“), sie offenbaren, daß Christos Werk in konzentrischen Kreisen um den wunden Punkt Berlins gebaut ist, wo es sich vorläufig vollenden soll. Und er braucht von der Bundestagsbürokratie nichts anderes mehr, um mit dem Silbermesser in die deutsche Geschichte zu schneiden (die Arbeit würde nur für zwei Wochen stehen), als ein Ja.