Expreß-Abitur droht CDU und SPD zu entzweien

■ Schulsenator möchte Elite-Eleven in zwölf Jahren durch Gymnasium schleusen

Berlin. Eine längst verstorben geglaubte Debatte um Elitebildung und Chancengleichheit feiert zur Zeit in Berlins Schullandschaft fröhliche Urständ. Der Konflikt entzweit die Regierungsparteien SPD und CDU und hätte in der gestrigen Sondersitzung des Schulausschusses beinahe dazu geführt, daß Sozialdemokraten und Grüne wie in alten Tagen gemeinsam gegen FDP und CDU votieren. Es wäre das erste Mal gewesen, das die Koalitionspartner getrennt gestimmt hätten.

In diese Zwickmühle hatte sie ein Antrag der Grünen/Bündnis90 gebracht, in dem der Erhalt der sechsjährigen Grundschule gefordert wird. Diese sieht die schulpolitische Sprecherin der Fraktion Sybille Volkholz durch einen Modellversuch gefährdet, mit dem Schulsenator Jürgen Kleemann (CDU) besonders begabte Schüler zu einem Expreß-Abitur führen will. An vier Gymnasien soll ab Herbst der Unterricht bereits mit der fünften Klasse beginnen: Die Elite- Eleven sollen innerhalb von zwölf Jahren den Stoff lernen, für den ihre Mitschüler auf normalen Gymnasien 13 Jahre benötigen. Das Expreß-Abitur, so Kleemann gestern vor dem Ausschuß, sei eine Förderung begabter Schüler, für die eine ständige Unterforderung schädlich sei.

Dem widersprach nicht nur Volkholz, die damit einen bereits in der dritten Klasse einsetzenden Ausleseprozeß befürchtet, sondern auch die schulpolitische Sprecherin der SPD, Ursula Leyk, die die einheitliche Grundschule gefährdet sah. Ihre Kollegin Cordula Kollotschek von der CDU hielt ihnen daraufhin entgegen, dem Klassenkampf der siebziger Jahre anzuhängen. Volkholz und Leyk mißtrauten zudem Kleemanns Worten, den Versuch lediglich auf diese vier Schulen zu begrenzen. Sie befürchten vielmehr eine Sogwirkung. Andere Gymnasien würden gleichfalls für sich in Anspruch nehmen, ein Hort der Eliteausbildung zu werden. Leyk mutmaßt zudem, daß Kleemann als Modellversuch deklariere, was eigentlich als Dauereinrichtung gedacht sei, und der Schulsenator diesen Weg nur beschreite, damit er um eine Gesetzesänderung herumkomme.

Diese würde nämlich der Zustimmung des Parlamentes bedürfen – mithin auch der Stimmen der SPD – während über einen Modellversuch der Senator alleine entscheiden kann. Leyk ließ gestern keinen Zweifel daran, daß die SPD diesem Unterfangen die Zustimmung verweigern werde. Der Konflikt werde nun „auf höherer Ebene behandelt“. Womit sie den Koalitionsausschuß meinte, der bereits im Dezember vergeblich versucht hatte, eine Einigung zu finden. Bis diese Einigung nun gefunden ist, wurde der Grünen/Bündnis-90-Antrag vertagt. Dieter Rulff