piwik no script img

Leihhäuser – eine neue Adresse für Wohlstandsbürger

400 Millionen Mark Umsatz jährlich/ Branche kämpft gegen Schmuddelimage  ■ Aus Frankfurt Heide Platen

Das „Leihhaus an der Börse“, inzwischen von dort wegen zu hoher Mieten in das rotlichtige Frankfurter Bahnhofsviertel umgezogen, plakatiert schon im Treppenhaus: „Keine technischen Geräte.“ Keine Chance also, zum Beispiel den taz-Computer zu schnellem Bargeld zu machen. Die Besucherin in Geldnöten muß zuerst einmal unten klingeln, dann eine Eisentür im fünften Stock überwinden. Der Schalter ist mit Panzerglas verkleidet, ein Gitter verwehrt den Zugang zu den Büro- und Ausstellungsräumen. Die ehemalige Bankkauffrau Bärbel Dreeßen hat vor zwölf Jahren umgesattelt und ist Pfandleiherin geworden. Sie hat sich auf Pretiosen und Kleinantiquitäten spezialisiert. Nur von Gemälden will sie vorerst nichts mehr wissen. Sie ist auf zwei hochbeliehenen Meisterwerken trotz Echtheit und Expertise sitzen geblieben.

Der Zugang ins Leihaus Elbestraße, gleich um die Ecke, ist etwas leichter. Durch offene Türen und einen muffigen Hausflur geht es zum Panzerglasschalter im ersten Stock. Nein, auch hier wollen sie den taz-Computer nicht haben: „Ja, wenn Sie eine Fotoausrüstung hätten!“ Nein, mit der Presse wolle man nichts, aber auch gar nichts zu tun haben. „Schlechte Erfahrungen!“, sagt die Dame am Telefon. Der Chef? Da wird sie ganz muffelig. Der Chef ist nicht da und auch „nie“ zu sprechen.

Dritter Versuch: Die Filiale von Grüne's Leihhäusern gegenüber dem Hauptbahnhof. Im Kontor hinter der Eisentür ist es trist und klinisch karg. Eine junge Frau löst ein Dutzend dünner goldener Kettchen und Ringe aus, ein Mann versetzt eine ganz ähnliche Ansammlung, die im Gegenwert des Goldes beliehen wird. Auf einem samtbezogenen Tablett ruht ein Pfand wie aus dem Märchen: breite vergoldete Gürtel mit glitzernden Steinen und feinziselierten Rosen besetzt.

Am dritten Schalter werden Goldmünzen gewogen. Fernseher, teilt ein Schild mit, werden nur noch bis zu einer Bildschirmgröße von 52 Zentimetern angenommen. Hier fände der taz-Computer für eine Leihsumme von rund 300 Mark Gnade vor den Augen der Verleiherin. Aber nur gegen die gesetzlich vorgeschriebene Vorlage des Personalausweises und die Kaufquittung.

Daß das Leihhaus das Gerät überhaupt genommen hätte, wundert den Geschäftsführer des „Zentralverbandes des Deutschen Pfandkreditgewerbes e. V.“, den Juristen Klaus Germann. Bei der letzten Verbandstagung im Oktober 1992 hätte es eine große Einigkeit darüber gegeben, Computer wegen des schnellen Preisverfalls besser gar nicht mehr zu beleihen. Im Zentralverband sind einschließlich der Filialen rund 130 der 150 bundesdeutschen Betriebe organisiert. Mit einer Pressemappe hat er jüngst versucht, dem exotischen Schmuddelimage der Leihhäuser beizukommen. Aber damit tut sich Klaus Germann vorerst noch schwer. Die Branche leidet, trotz steigender Unmsätze, vor allem an sich selber: das Selbstbild ist ausgeprägt negativ. Viele Angestellte und Betreiber schwanken zwischen defensivem Selbstmitleid und aggressiver Abwehr. Dazu kommt die Angst, die oft vom Standort in den großstädtischen Vergnügungsvierteln bestimmt wird. Der Geschäftsführer der größten Leihhaus-Kette in der Hamburger Zentrale von Grüne's Leihhäusern ist hilfsbereit. Seinen Namen möchte er aber — aus Angst vor Entführung und Erpressung — lieber nicht genannt wissen. Er hört sich streng an. Sein Hinweis auf die einschlägigen Gesetzestexte klingt eher abwehrend. „Ohne deren intensive Kenntnis“, nennt er die Hausaufgaben, sei nach seiner „Auffassung jeder Bericht über das Pfandkreditwesen als verfehlt“ anzusehen — „Mit freundlichen Grüßen“.

Da ist was dran. Pfandleiher kann nicht einfach jeder werden. Da gibt es die „Verordnung über den Geschäftsbetrieb der gewerblichen Pfandleiher“ und das „Pfandrecht an beweglichen Sachen“ nebst den dazugehörigen Kommentaren. Der Pfandleiher muß unbescholten sein und durch seine Person einen „zuverlässigen Betrieb“ garantieren. Und der banale Pfandschein ist eigentlich eine „Bestätigung über den Abschluß eines Pfandkreditvertrages“. Die Leihsumme von 300 Mark für einen ganz veritablen taz-Kleincomputer hört sich gering an. Wenn das Pfand aber nach der mindestens vorgeschriebenen Laufzeit von drei, mit Karenz meist vier Monaten nicht wieder eingelöst oder verlängert wird, sackt nicht etwa die Pfandleihe den saftigen Gewinn ein. Sie lebt von den relativ hohen Zinsen für kurzfristige Kredite, zum Beispiel bei 500 Mark Auszahlung fünf Mark monatlich, und von den Bearbeitungsgebühren. Nach spätesten zehn Monaten Lagerzeit muß sie den Gegenstand durch einen staatlich vereidigten Auktionator versteigern lassen. Der Gewinn fällt nach Abzug von Zinsen und Gebühren an den Verpfänder. Holt der sich seinen Anteil nicht innerhalb von zwei Jahren ab, kassiert der Fiskus den Überschuß für soziale Zwecke ein.

Im Unterschied zu den meisten Bankgeschäften ist das der Pfandleiher und Kunden ein Lombardkredit, „eine kurzfristige Kreditgewährung gegen Verpfändung von Waren“. Deshalb heißt es auch in dem Prospekt eines Leihhauses mahnend: „Erwarten Sie nicht zu viel von uns, beliehen wird nur mit einem Teil des eigentlichen Wertes..., es bleibt ja Ihr Eigentum, Sie sollen es wieder holen.“ Wenn der Kunde sich nicht wieder blicken läßt, sitzt der Verleiher auf dem Pfand und hat keine weiteren Ansprüche. Findet sich auf der Auktion kein Käufer, geht das Teil in sein Eigentum über. Er muß dann seinerseits sehen, wie er — zum Beispiel — den taz-Computer wieder los wird. Die Auflagen sind streng, die Kontrollen der Polizei, die sogenannten „Nachschauen“, meist gründlich.

Pressesprecher Peter Borchardt von der Frankfurter Polizei ist im allgemeinen gut auf die fünf Frankfurter Leihhäuser zu sprechen. Die „Nachschauen“ hätten „seit langem nichts Negatives ergeben“ und brächten „kaum polizeiliche Erkenntnisse“. Dagegen, daß dort jemand gefälschte Papiere vorlege, sei niemand gefeit. Nur der dumme Dieb geht ins Leihhaus? „Naja, wir hoffen natürlich, daß da auch Fehler gemacht werden.“ Aber Schmuck verschwinde in Frankfurt weder im Leihhaus noch bei finsteren Hehlern im Hinterstübchen, sondern „meist gleich ins Ausland“. Solches Einvernehmen zwischen Polizei und Leihhäusern ist laut Fachliteratur nicht immer gegeben. Eine Pfandverleiherin wandte sich an die Gerichte, weil die örtliche Polizei sie alle paar Tage heimsuchte, die Industrienummern auf Pfändern registrierte und zu Diebstahlsermittlungen an die Kriminalpolizei weitergab. Außerdem sammelten die Beamten regelmäßig Namen und Adressen von auswärtigen Kunden ein.

Pfandleiherin Dreeßen wehrt sich offensiv gegen das Schmuddelimage ihrer Branche. Der Geschäftsführer von Grüne's Leihäusern hatte eher trotzig-resignativ formuliert: „Die Pressen vergehen“, aber die Leihhäuser bleiben bestehen. Sie seien schließlich — als Vorläufer der Banken — eines der ältesten „und simpelsten Gewerbe“.

Das mag je nach den wirtschaftlichen Zeiten wechselhaft gewesen sein. Im Alten Testament ermahnt Moses das Volk, „Wenn du deinem Nächsten irgend etwas borgst“ nicht wie ein Gerichtsvollzieher in dessen Haus zu gehen, sondern zur Entgegennahme des Pfandes höflich draußen zu warten. Kaiser und Könige liehen im Mittelalter bei den Kaufleuten, um ihre Feldzüge zu finanzieren. Auch die Kaufleute der Stadt Frankfurt erwarben sich ihre Privilegien und Stadtrechte durch pekuniäres Borgen und Leihen von Gold und Silber an Fürsten. Ein Salier-König versetzte für einen Feldzug den Schmuck seiner Ehefrau.

In den vergangenen beiden Jahrhunderten prägte die Not der Bevölkerung das Leih- zum Pfandkreditgeschäft nach italienischem und französischem Vorbild unter staatlicher Kontrolle um. Die „Wohlthätigkeitsanstalten“, so ein Chronist, sollten „die Noth des kleines Mannes verhindern“ und ihm ermöglichen, „werthvolle Pfänder gegen 7 1/2 Proc. Zinsen“ kurzfristig zu versetzen. Sie entstanden zuerst in Preußen. In Braunschweig waren die „Leyhäuser“ die Vorläufer der Staatsbank. Die Berliner Pfandanstalt unter dem Dach der „königl. Seehandlung“ wurde 1934 ganz staatlich und bestand bis 1966 als „Pfandkreditanstalt“ Berlin fort. Das Pfandhaus war, wegen der Armut der Bevölkerung, auch ein Ort romantischer Betrachtung der Bildermaler und Kupferstecher. Da beugt sich ein bärtiger Mann mit einer Lupe über „Das letzte Kleinod“ der Familie. Die Bilder belegen aber auch eine andere Kundschaft: gutsituierte Bürger, die ihre Pelze im Sommer beliehen und gegen „Mottenschaden“ gut und billig aufgehoben wußten.

Und heute? Noch vor einigen Jahren maßen die Wirtschaftsexperten dem wieder privaten Pfandkreditwesen mit einem Jahresumsatz von 260 Millionen Mark Umsatz wenig Bedeutung zu. Verbandsgeschäftsführer Klaus Germann registriert eine steigende Tendenz. Eine Million Pfänder im Wert von 400 Millionn Mark seien im letzten Geschäftsjahr umgesetzt worden. Kundschaft sei vor allem „der gehobene Mittelstand“, der hier „ganz schnell“ und „unbürokratisch“ zum Kurzkredit komme. Dies lasse sich auch daran erkennen, daß „fast alle Pfänder wieder eingelöst werden“.

Das deckt sich mit den Beobachtungen der Praktikerin Bärbel Dreeßen. Sie nennt das Geld aus der Pfandleihe einen „Konsum- Kredit“ von Leuten mit hohen Ansprüchen, „bis zu gar nicht so Unprominenten“. Den wenigen „wirklich Armen“ helfe oft eher ein beratendes Gespräch als ein Kurz-Kredit. „Unsichere Kunden“ wie jener junge Mann, der heimlich das Familiensilber versetzte, werden „nicht mehr bedient“. Heutzutage müsse eher der Pfandleiher aufpassen, daß er nicht vom Kunden betrogen werde, als umgedreht. Daß dem „Milieu“ nicht so leicht zu entrinnen ist, weiß Bärbel Dreeßen auch. Ihren größten Schreck bekam sie, als ein Kunde einen Revolver auf den Tresen legte, den er ganz harmlos verpfänden wollte. Aber auch andere Pfandhäuser haben so ihre Probleme. Im Oktober 1991 stand in Frankfurt ein Mann vor Gericht, der ein Leihhaus kräftig betrogen hatte. Nach der ersten – echten – Rolex-Uhr versetze er dort 36 gefälschte Exemplare für rund 6.500 Mark pro Stück. Er hatte sie gleich nebenan in einem Diskont-Geschäft für 150 Mark erstanden.

Aber auch bei den Leihhäusern gibt es schwarze Schafe. Das oft nebenher betriebene An- und Verkaufsgeschäft verleitet manche zum Beispiel dazu, Neuware zu Pfändern umzuwidmen und damit die bei Auktionen „auf ein Schnäppchen“ erpichte Kundschaft anzulocken. Diese Praxis verstieße, ebenso wie vermeintliche „Auktionen“ von Teppichhändlern, gegen das Wettbewerbsgesetz zum Schutze des Einzelhandels.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen