Stadtmitte
: Vergessen Sie Ihr Familienstammbuch nicht!

■ Sehr geehrter Herr Saberschinsky,

erlauben Sie mir, Ihnen alles Gute zum neuen Jahr zu wünschen, viel Glück und Erfolg in Ihrem Amt, das zu den undankbarsten gehört, die in Berlin vergeben werden. Bei dieser Gelegenheit möchte ich mich mit Nachdruck von den Berichten einiger Kollegen distanzieren, die sich mit der Arbeit Ihrer Behörde beschäftigen.

Wir alle konnten in den letzten Tagen des alten Jahres lesen, Berlin würde zur „Metropole der Kriminalität“ verkommen, die Stadt wäre fest „im Würgegriff der Krake Organisierte Kriminalität“, die Polizei würde sich darauf beschränken, „eine Verbrechensstatistik zu führen“. Das sind nicht nur maßlose Übertreibungen, sondern Unterstellungen der Medien, die einer Sensation zuliebe die Wahrheit opfern.

Die wenigen Erfahrungen, die ich mit der Polizei machen durfte, zeugen vom Gegenteil. Es kann keine Rede davon sein, die Polizei würde nur noch Verbrechen registrieren, wenn ich sehe, wie lustvoll und energisch Ihre Mitarbeiter gegen Falschparker vorgehen.

Bei einer zufälligen Begegnung mit einem Ihrer Beamten konnte ich vor wenigen Tagen auch erleben, daß er sich mit seiner ganzen Persönlichkeit einbrachte, statt entfremdet eine lästige Pflicht zu erledigen.

Fröhlich lachend versicherte er mir, es wäre ihm ein Vergnügen, mir „das Leben schwer zu machen“, und nach einem Blick in meinen Personalausweis zog er aus meinem exotischen Vornamen sogleich den richtigen Schluß: Als „ehemaliger Ausländer“ täte ich gut daran, mich an die Regeln und Vorschriften in Deutschland zu halten.

Sollten Sie, verehrter Herr Saberschinsky, einmal in eine Polizeikontrolle geraten, würde ich Ihnen jedenfalls empfehlen, das Familienstammbuch und sämtliche Ahnenpässe griffbereit zu halten.

Ihr Familienname könnte sonst zu allerlei Mißverständnissen Anlaß geben. Andererseits spricht es für die Lernfähigkeit Ihrer Beamten, daß sie da weitermachen, wo einschlägige Behörden aufhören mußten und sich nun statt auf Rassen- auf Namenskunde kaprizieren.

Es kann ebenfalls keine Rede davon sein, die Polizei wäre aufgrund eines akuten Kräftemangels nicht in der Lage, ihre Aufgaben zu erfüllen, wenn gleich zwei Beamte in meiner Berliner Wohnung auftauchten, um nachzuprüfen, ob ich mich korrekt angemeldet habe.

Ein solches Verhalten zeigt eher, daß in Ihrer Behörde klare Prioritäten gesetzt werden. Wäre es anders, müßten wir uns nicht nur Sorgen um die öffentliche Sicherheit machen, wir wären auch um einige große Werke der Literatur ärmer.

Sie würden es gewiß genauso wie ich bedauern, wenn „Der Hauptmann von Köpenick“ und „Der Maulkorb“ ungeschrieben geblieben wären, nur um zwei Werke zu nennen, die ihr Zustandekommen wesentlich der polizeilichen Praxis verdanken.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen nicht nur ein gutes neues Jahr, sondern uns allen noch viele anregende Begegnungen mit den Hütern der öffentlichen Unordnung.

Mit den besten Empfehlungen Ihr Henryk M. Broder