Der Plapperlord des Flachsinns Von Ralf Sotscheck

Ein Unglück kommt selten allein: Die Bevölkerung der schottischen Shetland-Inseln muß sich nicht nur mit der größten Umweltkatastrophe ihrer Geschichte abfinden, sondern darüber hinaus mit der verbalen Umweltverschmutzung drittklassiger Politiker aus London – allen voran Lord Caithness, Staatssekretär für Schiffahrt. Auf dem Flug von Edinburgh nach Sumburgh an der Südspitze der Shetland-Hauptinsel Mainland saß der Lord des Flachsinns ausgerechnet hinter mir, was den Horrortrip in der zweimotorigen Propellermaschine bei Windstärke 10 erheblich verschärfte. Caithness, der verblüffende Ähnlichkeit mit einer Marionette aus der beliebten Satiresendung Spitting Images hat, griff sich schließlich das Bordmikrophon und las den wehrlosen Passagieren seinen Terminkalender für die nächsten 48 Stunden vor. Die Stewardeß machte dem grausamen Spiel erst beim Landeanflug ein Ende: Sie führte den Lord auf seinen Platz zurück und schnallte ihn an. Allerdings weigerte sie sich, ihn auch zu knebeln, wie der Kollege Martin Jehnichen aus Leipzig vorgeschlagen hatte.

Den Passagieren aus Aberdeen war es freilich noch schlechter ergangen. Das Flugzeug wäre wegen defekter Motoren fast ins Meer neben der Landebahn gefallen, doch der Pilot konnte die Maschine im letzten Augenblick wieder hochziehen. Vor dem zweiten Versuch erschien die Stewardeß in der Tür der Pilotenkabine und machte in Richtung ihrer Kollegin am anderen Ende des Flugzeugs mit dem Zeigefinger eine Geste, die eine durchschnittene Kehle andeutete. Das trug keineswegs zur Vertrauensbildung bei den Passagieren bei. Die vor Angst gelähmten Fluggäste mußten sich die Schuhe ausziehen, den Kopf zwischen die Knie stecken und die Hände hinter dem Kopf falten. Der Pilot brachte die Maschine wie eine Daunenfeder auf den Boden.

Wer übrigens geglaubt hatte, daß die Vollendung des Europäischen Binnenmarktes die Reiseformalitäten vereinfachen würde, sah sich getäuscht. Beim Rückflug nach Edinburgh gab es in Aberdeen eine Zwischenlandung, die Passagiere mußten aussteigen. Der Wiedereinstieg fünf Minuten später erwies sich als weitaus schwieriger. Zunächst mußte man sich eine Transitkarte an einem gut getarnten Schalter in der Haupthalle besorgen. Die beeindruckte den Polizeibeamten hinter der Sperre jedoch nicht im geringsten: „Was haben Sie in Aberdeen gemacht?“ Gepinkelt. „Wollen Sie mich veralbern?“ Meine Beteuerungen, daß nichts mir ferner läge, blieben fruchtlos: Taschenkontrolle. In Edinburgh wiederholte sich das Theater, doch diesmal wählte ich meine Worte sorgfältiger. Wenn der „freie Personenverkehr“ nicht mal innerhalb Schottlands klappt, sehe ich auf EG-Ebene schwarz.

Der Shetland-Bevölkerung bleibt inzwischen nichts erspart: Heute trifft Prinz Charles auf der Insel ein. Und Caithness ist immer noch da. Dem Plapperlord gefällt es ausgezeichnet, daß er auf den Shetlands ungefragt seinen Unfug vor der Presse verbreiten darf. Dabei hat er lediglich einen Standardsatz auf Lager: „Mir wäre es lieber, wenn das Unglück nicht passiert wäre, aber die Natur wird das Problem schließlich aus der Welt schaffen.“ Die Gewißheit, daß die Natur schließlich auch ihn aus der Welt schaffen wird, ist beruhigend.