100 Jahre nackt und wild

■ Die unbedeckte Wahrheit über die Geschichte der Freilicht- und Körperkulturbewegung

100 Jahre nackt und wild

Die unbedeckte Wahrheit über die Geschichte der Freilicht und Körperkulturbewegung

Die „wilden Nackten“ haben Geburtstag: Vor 100 Jahren wagten sich die ersten Mutigen scharenweise textilfrei an die Strände der Welt — der Beginn der Freilicht- und Körperkulturbewegung. Dieses denkwürdigen Ereignisses gedachte am Dienstag das Rat-und-Tat-Zentrum mit einem Dia-Vortrag. Dietmar Kreutzer, Städteplaner aus Halle und begeisterter Nacktbader, ließ die Geschichte der Luft- und SonnenanbeterInnen Revue passieren.

Das öffentliche Nacktbaden ist untersagt. Frauen dürfen nur baden, falls sie einen Badenanzug tragen, der Brust und Leib an der Vorderseite des Oberkörpers vollständig bedeckt, unter den Armen fest anliegt, sowie mit ausgeschnittenen Beinen und einem Zwickel versehen ist. Der Rückenausschnitt des Badeanzuges darf nicht über das Schulterblatt hinausgehen. Männer dürfen öffentlich nur baden, falls sie eine Badehose tragen, die mit ausgeschnittenen Beinen und einem Zwickel versehen ist. In sogenannten Familienbädern haben Männer einen Badeanzug zu tragen.

Mit dem oft verspotteten „Zwickelerlaß“ aus dem Jahr 1932 versuchte der preußische Innenminister Franz Bracht, das Nacktbaden einzudämmen. Denn schon 1920 war der textilfreie Badespaß weit verbreitet; und nicht nur der Badespaß, wie ein Bild von nackten GipfelstürmerInnen belegt. Allerdings legten Mann und Frau die Ideologie nicht mit der Kleidung ab: Am Berliner Mottensee zum Beispiel gab einen bürgerlichen und einen patriotischen FKK-Strand. Ob und wie der gesellschaftliche Stand bei den FreilichterInnen überprüft wurde, ist hingegen nicht bekannt.

Selbst die Nazis kamen gegen die Nudistenbewegung nicht dauerhaft an. Göring verbot zwar 1933 alle FKK-Verbände und FKK- Strände, doch dieses Verbot wurde im Jahr 1942 teilweise wieder aufgehoben. Nun durfte in FKK-Gebieten — und wenn mensch ungesehen war — wieder ohne Badekleidung gebadet werden. Dieser Erlaß gilt mit leichten Abwandlungen bis heute.

Nach dem Krieg gründete sich der „Bund für Freikörperkultur“ wieder, und die Bewegung kämpfte sich mühsam durch die Adenauer-Ära. Mit der sexuellen Revolution Ende der 60er Jahre ging es bergauf — die nackten Menschen rückten ins Rampenlicht. Friedrich Hundertwasser schmiß 1968 in seiner Austellungeröffnung die Klamotten in die Ecke und mit Farbe um sich, in Woodstock rockten Tausende nackt vor der Bühne, und 1974 ging das Bild von dreizehn „Blitzern“ um die Welt, die um den Pariser Eiffelturm gerannt waren.

Pier Passolini brachte in den „120 Tagen von Sodom“ die Nackten ins Kino. Nach den Erfolgen der Musicals „Hair“ und „Rocky Horror Picture Show“ wurde Nacktheit gezielt eingesetzt, um die Werbewirksamkeit zu erhöhen. Die Red Hot Chilli Peppers wanderten Anfang der 80er nur mit einem Tennissocken über dem Glied über den legendären Zebrastreifen der Abbey Road und erregten mit ihrem außergewöhnichem Bühnenoutfit damals mehr Aufsehen als mit ihrer Musik.

Die allgemein anerkannte Nacktfreiheit ist aber noch nicht erreicht. An der deutschen Ostseeküste hat es im letzten Sommer wegen des Nacktbadens Ärger gegeben: Westdeutsche TouristInnen hatten sich durch die vor der Wende unbedrängten FKKlerInnen gestört gefühlt. Geht der Trend wieder zum Ringelanzug unserer Großeltern? In Bremen ist dergleichen eher nicht zu befürchten — im letzten Sommer war das traditionsreiche Licht-und-Luft- Bad auf der Werderinsel gefragt wie nie. Marc Wiese