Druckreif, wie zu erwarten

■ „Premio Comites Berlin“: Günter Grass läßt sich ehren

Seien wir gerecht und – pardon – etwas gönnerhaft: Diesmal (und für heute bleibt's dabei) heiligte der Zweck die Mittel.

Den „Premio Comites Berlin“ kennt zwar so gut wie niemand, der jetzt mit diesem Preis Ausgezeichnete ist dafür um so bekannter: Günter Grass. Die „Gemeinschaft der Italiener in Berlin“ würdigt „sein Engagement gegen die Ausländerfeindlichkeit“. 1991 hatte Barbara John, die Ausländerbeauftragte des Senats, die Ehre gehabt – sowie die Beigaben: eine Skulptur und einen Gratisurlaub in Italien.

Zur Preisverleihung lud Comites-Vorsitzender Mario Tamponi in die Gemeinschaftsräume in der Fasanenstraße ein. Aus zwei kleineren Zimmern hatte man – durch Öffnen einer Schiebewand – ein größeres gemacht, den Flügel in die Ecke geschoben, drei Flaggen befestigt (Berlin, EG, Italien), Stühle und ein Rednerpult (mit angeklebtem Grass-Selbstportrait) aufgestellt und „Vertreter (!) der internationalen Kultur, Wirtschaft, Politik und Presse“ zur Feier gebeten. Sie müssen wohl gekommen sein, denn zu Beginn der Veranstaltung wurden sie als solche begrüßt – und stuhlreihenweise von den vielen eifrigen Pressefotografen abgelichtet.

Die sich anschließende Rede Tamponis sollte zwar keine Laudatio sein, sondern „Überlegungen über die Entwicklung der Ausländerfeindlichkeit in Deutschland und Europa“ vortragen, sie war aber vor allem eines: gutgemeint. Unfreiwillig komisch wirkte das Eingeständnis, daß Grass so etwas wie eine Verlegenheitslösung gewesen sei – einen „glaubwürdigen“, sprich: preiswürdigen Politiker habe man in Berlin nicht finden können. Die zähe, offenbar mangelhaft aus dem Italienischen übersetzte Ansprache bescherte noch einige Gemeinplätze in nicht enden wollenden Sätzen („G.G. wandte sich an die Welt mit einer ungehemmten Reflexion über den Menschen...“) und erschütterte Mark und Bein mit dem Satz: „Ziel (des Ausländerhasses) sind einmal mehr die Juden, deren Schuld anscheinend in ihrer Existenz besteht, in Anbetracht dessen, daß man sie trotz ihrer Reduzierung auf eine geringfügige Minderheit (!) nicht einmal an den Stätten ihrer Vernichtung in Ruhe läßt.“

Der einzige Lichtblick: Selbst ein Kardinal Martini – so war zu hören – fordert die „Revision der eurozentrischen Kultur“. Grass bedankte sich mit einer Grundsatzerklärung zur Lage der Nation: druckreif, wie zu erwarten, gemessen vorgetragen und bedeutungsvoll. Das „Selbstverständliche“ wolle er leben, der „politischen Bodenlosigkeit hier und in Europa widersprechen“ – „Was unterscheidet einen Skinhead von Herrn Rühe?“ –, und der SPD- Austritt sei ihm schwer, sehr schwer gefallen.

Sagte dies und steckte sich die Pfeife an. Nun durften Fragen („Ist der Golfkrieg nicht schrecklich?“) gestellt, den Antworten gelauscht und die Videokameras vom Stativ geschraubt werden. Stephan Schurr