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■ SchnittplatzBaum, Strick, Dynamit

Wer am Mittwoch abend den kommerziellen Berliner Newskanal Info-Radio101 einschaltete, fiel unvermittelt einer akustischen Wirklichkeitsverzerrung mit deutlich hetzerischen Zügen zum Opfer. Ausgelöst wurde dies durch die Verschmelzung inhaltsloser Live- Berichterstattung mit unkommentiert gesendeten Gewaltaufrufen privater Natur.

Zwischen Schlagzeilen zu Sport, Wetter und Irak meldeten sich in kurzen Abständen Reporter zum Thema Nummer eins zu Wort: der Freilassung Erich Honeckers. Man erwartete seinen Abflug vom Berliner Flughafen Tegel. Einer der Berichterstatter hatte sich ins Flugzeug gezwängt, ein anderer lauerte draußen auf dem Rollfeld. Mit vor Anspannung schwitzenden Stimmen gaben sie Stimmungsbericht. Dann wieder zurück ins Studio. Die diensthabenden RedakteurInnen hatten inzwischen die HörerInnen nach ihrer Meinung zur Freilassung Honeckers gefragt und die O-Töne zusammengeschnitten: eine Schleife, die alle paar Minuten mit kurzer Anmoderation, aber ohne einen Kommentar gesendet wurde. Was ist authentischer als Volkes Stimme!

Eine Stammhörerin aus Neukölln rief an, schwer atmend, sie wolle ihren Namen nicht nennen. Einer telefonierte erregt vom Auto aus. Einer sagte auch, daß seine Eltern vom SED-Regime enteignet worden seien. Und dann war da noch ein vierter. Abgründige, mordlustige Haßtiraden allesamt (Baum, Strick, Dynamit). Fleißig aufgezeichnet und abwechselnd mit dem Staubericht serviert – „ein besonderer Service von Info 101“. Dann eine Telefon-Schaltung nach Chile. Man erfährt, daß über Honeckers Häuschen eine Girlande mit der Aufschrift „Willkommen, Papa“ prangt.

„Nachrichten, wann immer Sie wollen“, lautet der Slogan des Senders. Worin aber liegt der Nachrichtenwert von vier teilweise anonymen Gewaltaufrufen? Im öffentlich-rechtlichen Funk ginge die Mordschleife nur einmal auf Sendung und dann die RedakteurIn nach Hause. Aber vom Ku'damm privatfunkt das den ganzen Abend. „Wetter, Verkehr und mehr“, heißt es dazwischen immer wieder. Noch mehr? Es reicht schon jetzt.Petra Kohse

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