Englisch und mithörsicher

Begegnungen auf einer Reise durch den Iran  ■ Von Klaus Kurzweil

Acht lange Stunden rumpelt der Bus über schlechte Straßen von Isfahan nach Shiraz. Die Sonne brennt durch die Vorhänge, die die meisten Fahrgäste vor die Fenster gezogen haben. Gelegentlich spähe ich hinter den Stoff, um einen Blick auf die südiranische Landschaft zu werfen. Eine öde, in gleißendes Sonnenlicht getauchte Wüste zieht sich dahin. Gelegentlich, Stunden voneinander entfernt, taucht am Straßenrand die bizarre Ruine einer Lehmburg aus osmanischer Zeit auf. Wie fast immer während meiner einmonatigen Rundreise durch die Islamische Republik bin ich der einzige, viel beachtete Ausländer im Bus. Da ich kein Farsi spreche, hapert es mit der Kommunikation. Das ändert sich, als ein junger, westlich gekleideter Iraner mit Diplomatenkoffer zusteigt. Der Busfahrer führt ihn zu meinem Platz. In gutem Englisch stellt sich der Mann als Jaffar vor. Der Fahrer fragt jeden, der zusteigt, ob er englisch spricht. Er ist traurig, „weil niemand mit dir reden kann“.

Jaffar ist 31 Jahre alt, verheiratet, hat zwei Kinder und arbeitet als Techniker in einem Vorort von Isfahan. Seine Fabrik produziere Kühlschränke, Herde und andere Elektrogeräte. Errichtet habe sie die deutsche „Lurgi GmbH“. All das erfahre ich in den ersten zwei Minuten unserer Bekanntschaft. „Lurgi, Bayer und Mercedes sind deutsche Markenzeichen, die im Iran sehr viel gelten“, erklärt mir Jaffar. Tatsächlich prangt auf fast jeder Kühlerhaube iranischer Busse und Lkws der Stern aus Untertürkheim. An Hausfassaden wirbt die Leuchtreklame für Chemie aus Leverkusen.Jaffar hat in Teheran Technik studiert. Dabei mußte er zwangsläufig Englisch, die Sprache des „großen Satans“ USA, lernen. Lehrbücher auf farsi gab es nicht. Im Ausland war er noch nie. „Die Kleriker verdammen alles Westliche, aber ohne Technik und Know-how aus dem Ausland wäre der Iran ein Land der Dritten Welt“, meint Jaffar. Er schimpft über „die Mullahs in Teheran“ und den Islam im allgemeinen. „Im Herzen sind die meisten Iraner immer noch Zoroaster“, behauptet er. Zwar glaube nur noch eine verschwindende Minderheit tatsächlich an den vorislamischen Gott Zarathustra, aber insgeheim „verachten die meisten Iraner den Islam und die Araber, die uns diese Religion aufgezwungen haben“.

Dieses Gespräch ist kein Einzelfall. Immer wieder bin ich in den Tagen zuvor von Iranern angesprochen worden, die ihrem Unmut Luft machten. Nach den ersten Tagen im Iran hatte ich den Eindruck, die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung müsse aus Oppositionellen bestehen. Erst nach einiger Zeit dämmerte mir, daß die Iraner, die ich traf, keinesfalls repräsentativ waren und sie ihre drastische Kritik wahrscheinlich auch nur gegenüber einem Ausländer äußerten. Die Menschen, die mich ansprachen, waren alle männlich und zumeist junge Studenten, Ingenieure oder Techniker. Zu Hause hören sie verbotene Popmusik, schauen verbotene US-Videos, und schicke westliche Kleidung gilt ihnen als Statussymbol.

Der Biologiestudent Reza, den ich in Isfahan traf, hielt den Islam glattweg für „Unsinn“. In der eigenen Wohnung stapelten sich Musikkassetten von den Beatles, Rolling Stones und von AC/DC. Im Keller des Hauses probte die „Sun- Secret-Band“, bei der Reza trommelte. Der Name der Kapelle, die vor allem Oldies nachspielte, spiegelte die Situation der Musiker wider. Die Revolutionswächter tolerierten zwar die aus dem Keller dröhnenden Klänge, ein öffentlicher Auftritt hätte Musiker und Publikum aber sofort ins Gefängnis gebracht.

Hussein aus dem aserbaidschanischen Tabriz fragte mich, nachdem wir uns gerade zehn Minuten kannten, nach meiner „politischen und ideologischen Meinung zu Salman Rushdies ,Satanischen Versen‘“. Verlegen lavierte ich herum, stammelte etwas von Toleranz gegenüber Religion und Respekt vor menschlichem Leben. Der Ingenieur holte dagegen in dem voll besetzten Restaurant lautstark zum großen Schlag gegen die iranische Regierung aus. Die von Khomeini verhängte Fatwa sei „ein Verbrechen der unzivilisierten Mullahs“, tönte er in „mithörsicherem“ Englisch. Nebenbei erfuhr ich, daß das als gotteslästerlich geächtete Werk in Teheran unter der Hand für etwa hundert Dollar erhältlich sei.

Eine andere Gruppe von Iranern, auf die ich wiederholt traf, bildeten ehemalige Beamte des Schahs. Nach der Revolution im Jahr 1979 geschaßt, schlugen sie sich mit Jobs der unteren Kategorie durch. Farhang, der ehemalige Linienpilot, verkaufte Werkzeuge, Ahmad, ein früherer Bankangestellter, bot unter offenem Himmel Schuhe feil und schenkte dabei Tee aus. Eine große Zahl von ehemaligen Regierungsbediensteten verdingte sich als Taxifahrer. Der Haß dieser Leute auf die Regierung schien mir verständlich. Die meisten von ihnen verherrlichten jedoch im gleichen Atemzug die Zeiten des Schah-Regimes. Nach den Erzählungen dieser Iraner dürften unter der Herrschaft Reza Pahlevis im Iran Milch und Honig oder, treffender, Whisky und Champagner geflossenen sein. Auf Fragen nach dem Savak, dem berüchtigten Geheimdienst des Schahs, antworteten sie zumeist mit Schulterzucken.

Während ich diese Bekanntschaften rekapituliere, wird in dem Bus eisgekühltes Wasser ausgeschenkt. Der zweite Fahrer geht mit einer Plastikkanne, in der ein Eisblock schwimmt, und einem Glas durch die Reihen. Als ich trinke, mustert mich Jaffar kritisch. Ihm sei das Trinken aus einem Glas „zu unhygienisch“. Ich frage nach, welche Bevölkerungsteile denn nun eigentlich die Islamische Republik unterstützen. Auf mein Drängen räumt Jaffar ein, daß wohl nur die „Bildungsschicht“ nach einem laizistischen Staat verlange. Diese Gruppe mache 10 bis 20 Prozent der Bevölkerung aus. „Die einfachen Leute auf dem Land sind mit ihrem täglichen Leben beschäftigt. Sie kümmern sich nicht um Politik“, erläutert mein Gesprächspartner. „Während der Revolution waren sie für eine kurze Zeit für die Ideen Khomeinis zu gewinnen. Aber ihre Begeisterung hat sich schnell gelegt.“ Überprüfen kann ich diese Aussage nicht.

„Die meisten Iraner haben zwei Existenzen“, fährt Jaffar fort. „Auf der Straße müssen wir uns den islamischen Regeln unterwerfen, aber zu Hause machen wir, was wir wollen.“ Damit ich mir ein eigenes Bild machen könne, lädt er mich nach Hause ein. Seine Wohnung läge nur zwanzig Minuten Autofahrt von den Ruinen des antiken Persepolis entfernt.

Jaffars Familie wohnt zusammen mit der Familie seiner Schwester in einem modernen Haus. Insgesamt zwölf Personen leben – für iranische Verhältnisse großzügig –, über zwei Etagen verteilt, in acht Zimmern. Jaffars Schwager Mohammed ist Eigentümer eines gutgehenden Textilgeschäfts.

Nachdem ich mein Gepäck in der Wohnung abgestellt habe, brechen wir nach Persepolis auf. Wir stapfen gemeinsam mit zehn Touristen aus Saudi-Arabien durch die von Alexander dem Großen niedergebrannte antike Metropole. Nach der Islamischen Revolution hätten islamische Geistliche gefordert, dieses „Symbol einer der ersten Hochkulturen der Welt“, das bezeichnenderweise auf iranischem Boden entstanden sei, zu schleifen, berichtet Jaffar. Ihnen habe das Kulturdenkmal als „unislamisch“ gegolten. Irans Präsident Rafsandschani habe dagegen begriffen, „daß ,vorislamisch‘ und ,unislamisch‘ nicht das gleiche sind. Außerdem läßt sich mit den Ruinen gut Geld verdienen.“ Das iranische Fremdenverkehrsamt kassiert mittlerweile Eintritt für die touristische Attraktion. Eine rostige Tribüne zeugt noch von den prunkvollen Feiern, zu denen Schah Reza Pahlevi internationale Gäste hierher lud, um sich als Nachfahre der antiken Perserkönige feiern zu lassen.

Auf der Rückfahrt im Sammeltaxi erkennt Jaffar den Fahrer als Arbeiter aus seiner Fabrik. Dem Chauffeur ist das Zusammentreffen sichtlich peinlich. Seit die iranische Führung versucht, die Wirtschaft des Landes gen Westen zu öffnen, sind die Preise rapide gestiegen, und der Lohn eines Fabrikarbeiters reicht kaum noch, um eine Familie zu ernähren. Auch Jaffar, der mit 300.000 Rial (etwa 300 Mark) mehr verdient als ein Lehrer oder Arzt, bekommt die Preissteigerungen, die teilweise mehrere hundert Prozent betragen, zu spüren. Weniger Verdienende sind darauf angewiesen, zwei oder drei Tätigkeiten auszuüben oder die Kinder arbeiten zu schicken. Als wir auf dem Weg zu Jaffars Haus an einem Imbißstand haltmachen, um eine in Teheran abgefüllte Coca-Cola zu trinken, entpuppt sich der Verkäufer als Koch aus Jaffars Firmenkantine.

In Jaffars Wohnung werde ich bewirtet, als ginge es darum, alle Berichte über Versorgungsengpässe und Preissteigerungen zu widerlegen. Auf weichen Kissen sitzend, verzehren wir Unmengen von Fleisch, Reis und Gemüse. Wiederholt drückt der Gastgeber sein Bedauern darüber aus, daß er mir keinen Alkohol anbieten könne. Der Armenier, der ihn sonst mit Selbstgebrautem versorge, sei nicht zu erreichen. Ich bin heilfroh, daß mir dieses Experiment erspart bleibt. Während Jaffar, Mohammed und ich völlen, warten Frauen und Kinder in der Küche auf die Reste. Aber immerhin werde ich der gesamten Familie vorgestellt und darf den Frauen die Hand reichen. Anstatt des gesetzlich verordneten Shadors tragen sie nur nachlässig umgebundene Kopftücher.

Das Gespräch mit mir führen die beiden Männer. Das von ihnen bevorzugte Thema läßt sich in einem Wort umreißen: Geld. „Wieviel Zinsen geben deutsche Banken?“ – „Wieviel verdient ein Fabrikarbeiter bei euch?“ – „Wieviel Kapital braucht man, um ein eigenes Geschäft zu eröffnen?“ werde ich gelöchert. Gleichzeitig werden beide Hausherren nicht müde, ihre enge Bindung an den Iran zu beteuern. „Ich liebe meine Heimat“, sagt Jaffar. „Shiraz ist die schönste Stadt des Irans“, schwärmt Mohammed. Dennoch liebäugeln beide mit einer Zukunft im Ausland. Den Glauben an Rafsandschanis Reformpolitik haben sie entweder aufgegeben oder nie gehabt. Beide betonen, sich für Politik nicht zu interessieren. „Für mich und meine Familie möchte ich nur ein angenehmes Leben“, skizziert Mohammed seinen Zukunftsentwurf. Aber auch dieser, nicht gerade von Utopien belastete Wunsch scheint ihm im Iran unerfüllbar. „Es gibt in dem Land eine ganz kleine Gruppe, die immer reicher wird, während es dem Rest der Bevölkerung zusehends schlechter geht“, beschreibt Jaffar die Entwicklung der letzten Monate. Noch nie habe die Schere zwischen Arm und Reich so weit auseinandergeklafft wie 1992. Auch Angehörige der gehobenen Mittelschicht, wie Mohammed und er, seien mit dem sozialen Abstieg konfrontiert. „Rafsandschani tritt jetzt glattrasiert im Fernsehen auf und verspricht Reformen, aber das Grundübel, die Islamische Republik, wird dadurch nicht beseitigt“, sagt er verbittert. Rafsandschani wolle ausländische Investoren und nach der Revolution geflohene oder ausgewanderte iranische Spezialisten in das Land locken, gleichzeitig tue er aber nichts für seine im Iran gebliebenen Bürger. „Wenn sich nichts Einschneidendes verändert, werden viele Iraner versuchen, das Land zu verlassen. Vor allem die ,Bildungsschicht‘ schaut in Richtung USA und Europa.“