„Wir teilen uns die Spritzen“

Drogenabhängige Frauen im Gefängnis Plötzensee: Erdrückende Haftbedingungen, unzureichendes Therapieangebot, erhöhtes Aids-Risiko – von der Nadel kommt kaum eine los  ■  Tanja Stidinger

Berlin, Friedrich-Olbricht- Damm 17. Im Dreieck zwischen Gedenkstätte Plötzensee, Stadtautobahn und Industriehafen liegt sie, Europas modernste Justizvollzugsanstalt (JVA) für Frauen. „Hier“, sagt mir Maria*, eine der Gefangenen, „nehmen sie dir deine Selbstbestimmung, deine ganze Eigenverantwortlichkeit. Am Ende bist du nur noch hilflos.“

Seit zwei Jahren sitzt die Drogenabhängige wegen eines bewaffneten Raubüberfalls in der „Plötze“. Fünf Jahre hat sie noch vor sich. „Ich brauchte eben Geld für den Stoff“, sagt sie leise. Blaß und schmal steht sie vor mir, die braunen Haare zum Zopf geflochten. Im Knast ist Maria ein bekanntes Gesicht. Für die 31jährige dreht sich seit zehn Jahren die Spirale von Sucht und Beschaffungskriminalität.

„Bessere Vollzugs- und Resozialisierungsbedingungen“ sollten in der „Plötze“ umgesetzt werden, doch die JVA erfüllt heute vor allem einen Zweck, den der Kontrolle. Wie eine moderne Festung wirkt der seit 1985 belegte Neubau. „Wir Beamte haben im Rohbau Schnitzeljagden veranstaltet, um uns zurechtzufinden“, erzählt mir lachend Astrid Thielemann. Die Mitarbeiterin der Anstaltsleitung führt mich durch die Vollzugsanstalt, schließt unzählige verglaste und vergitterte Türen auf und wieder zu. Alle Gänge in den Häusern gleichen sich.

Von dreien der fünf Wachtürme aus, die auf der 5,30 Meter hohen Mauer angebracht sind, werden die dreistöckigen „Haftpavillons“ ständig überblickt. Dadurch soll auch verhindert werden, daß Drogen über die Mauer geworfen werden. Rund die Hälfte der derzeit 180 hier einsitzenden Frauen sind Junkies. Im Monumentalbau der JVA, in dem über 300 Frauen untergebracht werden können, sind alle Sicherheitsvorkehrungen auf sie zugeschnitten. Doch auch die anderen inhaftierten Frauen leben unter diesem konsequent ausgebauten Kontrollsystem.

„Wir Junkies sind für die anderen Frauen die ,Bösen‘. Die Knastleitung erzählt denen, wir hätten linke Dinger im Kopf und wollen sie mit reinziehen. Das ist das, womit die ,Plötze‘ arbeitet: Spaltung“, faßt Maria ihre Erfahrungen zusammen. Auf die Spannung zwischen den Frauen angesprochen, zuckt Astrid Thielemann mit den Schultern. Man müsse eben aufpassen wegen der Drogen, und die Junkies „haben eine andere Mentalität, damit kommt eben nicht jeder zurecht“.

Auf dem riesigen Gelände sind die Frauen in kleinen Wohngruppen von maximal 15 Personen untergebracht. Drogenabhängige von Nichtdrogenabhängigen, Erwachsene von Jugendlichen, Langzeit- und Untersuchungshäftlinge strikt getrennt und auf insgesamt sechs Häuser verteilt. Wohngruppen innerhalb eines Hauses dürfen sich nur zu bestimmten Zeiten treffen. Frauen aus anderen Häusern sieht man höchstens auf der Arbeit. Freundschaften, Gespräche, Kontakte sind begrenzt und leicht zu kontrollieren. Für Maria ein „Scheißspiel“. „Wenn du überlegst, wie das ist, mit zehn anderen Frauen in dieser Knastsituation ständig zusammenzusein, dann kannst du dir den Psychoterror doch denken, oder?“

In dieser Situation wird die von der Anstaltsleitung erhoffte „größere Nähe zu den Mitarbeitern“ für viele Frauen zur Pflicht. „Du mußt dich mit den Wärterinnen und Sozialarbeiterinnen gut stellen, ob du willst oder nicht. Ist mir eine feindlich gesinnt, dann bin ich am Arsch, so sieht's doch aus“, bricht es aus Petra* heraus. Die 22jährige hat eine Strafe von 35 Monaten abzubüßen, im August wird sie entlassen. Um sich die eigene Sucht zu finanzieren, hat sie mit Kokain gedealt.

Maria und Petra kommen beide aus dem „Drogenhaus“, dem „Haftpavillon“ Nummer eins. Hier wie überall auf dem Gelände ist alles in gedämpften Farben gehalten. Schlammgrün, Braun und Grau dominieren. „Diese depressiven Farben schlagen dir auf Dauer nur auf die Psyche“, sagt Maria. Im „Drogenhaus“ sind die Sicherheitsbestimmungen schärfer als im Rest der Anstalt. Die Post der Frauen wird kontrolliert, ihre Telefongespräche werden, so vermuten sie, abgehört, „das hört man doch, wenn es knackt und pfeift“. Klagen die Frauen über Menstruationsbeschwerden, berichtet eine von ihnen, müssen gebrauchte Monatsbinden und Tampons vorgezeigt werden, um Medikamente zu bekommen. Das, so die Anstaltsleitung, sei nur ein „extremer Einzelfall“ gewesen.

Besuche dürfen nur hinter Trennscheibe oder in Anwesenheit einer Beamtin empfangen werden. Und auch das nur vier Stunden im Monat. „Wie soll man denn da soziale Kontakte aufrechterhalten, wenn man nicht mal ein Minimum an Vertrautheit entstehen lassen kann? Berühren ist nicht drin, und das sagt doch manchmal mehr als tausend Worte“, meint Petra.

Neuneinhalb Quadratmeter groß ist ihre Einzelzelle inklusive abgetrennter Toilette und Waschbecken. Vollgestellt mit Tisch, Bett, Regal und Schrank, bleibt gerade genug Raum zum Atmen. Verwaschen gelbe Wände, bröckelnder Putz, und abgewetzte Möbel, dazu Neonlicht von der Decke. Auch nach zwei Stunden Aufenthalt in der „Plötze“ weicht das Gefühl von Platzangst und Enge bei mir nicht. Schon gar nicht hier in der Zelle. In der schweren Haftraumtür ist ein Spion eingelassen. Wenn nötig kann durch ihn die Gefangene beobachtet werden. Viele der Frauen lassen die Badezimmertür den ganzen Tag offen, das macht den Raum noch kleiner, aber so schützen sie sich vor Blicken von außen. Vor dem hohen Fenster, das zum Lüften geöffnet werden kann, sind schräge Gitter montiert. Der ganze Raum hat die Form einer verzerrten Wabe. Poster müssen entlang einer festmontierten Schiene angebracht werden, „alles andere fetzen sie uns ab“.

Am meisten belastet Maria jedoch die, wie sie sagt, „schizophrene Situation, daß die wissen, wir sind süchtig und benutzen Drogen“. Hasch, Koks, Heroin, nichts, was in der „Plötze“ nicht zu besorgen wäre. Wie der „Stoff“ reinkommt? In Briefen, unter Briefmarken, durch Freigängerinnen, selten durch Besucher, berichtet zögernd Astrid Thielemann. Andere vermuten hinter dem gut ausgebauten Versorgungsnetz in der JVA auch den einen oder anderen Beamten. Spekulationen, niemand will Genaueres wissen. Werden die Frauen beim Konsum erwischt, droht ein Eintrag in die Akte. „Wir teilen uns die Spritzen. Viele von uns sind HIV-positiv. Mir selber ist schon mal 'ne Nadel abgebrochen, so durchbenutzt war die. Aber die bieten uns weder eine richtige Therapie, noch verteilen sie saubere Spritzen“, bringt Maria ihre Sicht auf den Punkt.

Während sie und Petra von einer „Hinrichtung“ der Drogenabhängigen sprechen, verteidigt Astrid Thielemann das Konzept, keine sterilen Spritzen auszuteilen. „So traurig es ist, aber wir gehen hier von einer klaren Ablehnung der Drogen aus. Wenn wir Spritzen verteilten, könnte das den Konsum von Drogen eher fördern.“

Die Alternativen in Europas modernster Haftanstalt sind nicht groß. Die Frauen entziehen „kalt“, nach sieben bis zehn Tagen sind sie körperlich entgiftet. Aber was kommt danach? Auf der Therapiestation finden nur acht bis zehn Frauen einen Platz. Psychologen arbeiten dort mit ihnen zusammen. Doch, wie Astrid Thielemann eingesteht, „psychisch ist ein Entzug hier doch gar nicht möglich. Und“, fügt sie nach einer Pause hinzu, „eigentlich gehören die gar nicht hierher.“

Rückfall vorprogrammiert, auf diese knappe Formel ist die Situation vieler drogenabhängiger Frauen nach ihrer Entlassung zu bringen. Aus dem isolierenden Knastalltag kommend, findet sich der Großteil von ihnen wieder auf der Drogenszene ein. Früher oder später schließen sich hinter ihnen erneut die Türen der „Plötze“. Dort gehört Resozialisierung von Junkies nicht zum Repertoire des Vollzugs. „Wir haben keinen Anspruch auf Entlassungsvorbereitungen, Ausführung oder Urlaub wie die anderen Inhaftierten. Wo doch Wohnungs- und Arbeitssuche so wichtig sind“, protestiert Maria.

Der einzige Weg für die Frauen, aus dem „Drogenhaus“ in die Vollzugslockerungen zu kommen, führt über die Harnkontrolle, kurz „Pißarie“. Fällt die Urinkontrolle negativ aus, besteht die Chance, auf die Therapie- oder Urlauberstation verlegt zu werden. Die „Pißarie“ ist bei vielen Frauen verhaßt. „Wenn die wollen, mußt du dich vor den Beamtinnen nackt ausziehen, manchmal mitten in der Nacht, mußt denen dein Hinterteil zeigen und deine Urinkontrolle machen“, beschwert sich Petra. Astrid Thielemann sind solche Vorfälle nicht bekannt. „Das Problem ist doch, die wollen gar nicht von der Droge weg und suchen nach Ausreden.“

Petra will sich nach langem Zögern auf die „Pißarie“ einlassen und auch anfangen zu arbeiten. Bisher hatte sie ihre Tage „unter Verschluß“ zugebracht. Während die anderen Frauen ihrer Station im Knast arbeiten, bleibt sie in ihrer Zelle. Arbeitspflicht besteht den ganzen Tag. Wasch-, Näh-, Putz- und Küchenjobs stehen auf dem Arbeitsprogramm der JVA. Daneben besteht die Möglichkeit, den Hauptschulabschluß nachzuholen oder in Gärtnerei und Schneiderei eine Ausbildung zu machen. Im Männervollzug ist das Angebot größer und die Bezahlung besser, aber, so Astrid Thielemann, „das Niveau der Frauen ist einfach zu niedrig.“ Höher wird es hier sicherlich nicht.

Petra hat bisher auf „schuften zum Hungerlohn von sechs bis elf Mark am Tag keine Lust“. Als Konsequenz muß die „verschuldet Arbeitslose“ ihre Haftkosten nun selbst tragen. Wird sie entlassen, hat sie einen Berg Schulden, Gläubiger: JVA für Frauen, Plötzensee.

Die Entscheidung Petras, sich für die Therapiestation zu bewerben, bedeutet für Maria die Trennung von der Freundin. „Hätte ich Petra nicht kennengelernt, wäre ich durchgedreht“, so Maria. Bis vor einem Jahr gab es noch die „Problemzelle“. Frauen, die sich in Krisensituationen befanden, konnten sich mit einer Freundin über Nacht zusammenschließen lassen. „Die Nähe der anderen hat geholfen. Aber sie haben die Zelle von einem Tag auf den anderen geschlossen. Wegen Drogen“, Maria schüttelt den Kopf. „Sie lassen dich hier drin nicht leben und nicht sterben. Materiell bist du gut versorgt, essen und so, aber psychisch läßt man dich total hängen.“

Im Innenhof der Plötze steht ein Springbrunnen. Laut Informationsheft soll er die „Kommunikation zwischen den Insassen fördern“, sozusagen als Treffpunkt dienen. Den inhaftierten Frauen wird weisgemacht, im Brunnen seien gesundheitsschädliche Chemikalien. „Damit die da nicht reinsteigen“, erklärt mir grinsend eine Beamtin. „Von außen betrachtet, ist eben alles tutti, schön sauber, wie es sich gehört, aber wenn du hinter die Fassade guckst, wird dir anders“, sagt Petra.

*Namen wurden von der Redaktion geändert.