Angriff auf Atomanlage Verlegenheitslösung?

■ Die Wahl der „Atomanlage“ Zafaranieh als Angriffsziel war möglicherweise auf den Mangel an verbliebenen militärisch relevanten Einrichtungen zurückzuführen

Der amerikanische Raketenangriff in der Nacht von Sonntag auf Montag galt einer Fabrik in der Nähe von Bagdad, bei der es sich den beteiligten US-Politikern zufolge um eine „Atomanlage“ handelte.

Doch schon wenige Stunden nach dem Angriff auf die Anlage im 13 Kilometer südöstlich von Bagdad gelegenen Zafaranieh entbrannte zwischen Politikern und Experten ein Streit über die Bedeutung der Einrichtung – und damit auch über Sinn und Zweck ihrer Zerstörung.

Nach übereinstimmenden Angaben aus dem Weißen Haus und der UN-Inspektoren, die für die Kontrolle der irakischen Massenvernichtungswaffen zuständig sind, wurden in der Fabrik elektromagnetische Geräte zur Herstellung von angereichertem Uran produziert. Doch die Frage ist, wann das zuletzt der Fall gewesen ist. Der Sprecher des Weißen Hauses, Fitzwater, bestand am Wochenende darauf, daß es sich bei der Anlage um einen bedeutsamen Bestandteil der irakischen Nuklear-Rüstungsindustrie handele und daß dort zur Zeit des Angriffes wichtige Einrichtungen untergebracht gewesen seien. Einer der Leiter der UN-Inspektorenteams erklärte hingegen gestern in einem Interview mit der BBC, die Fabrik sei nicht mehr funktionsfähig gewesen. Die UN-Inspektoren hätten ihr wiederholt Besuche abgestattet, und die Gebäude seien von ihnen versiegelt worden. Um einen Kommentar über die Zerstörung der Anlage gebeten, schwieg er sekundenlang und erklärte dann, daß er seinen Aussagen nichts hinzuzufügen habe. „Soweit wir wissen, wurde die Anlage nicht mehr benutzt“, sagte auch David Kyd, der Sprecher der Wiener Atomenergie-Behörde (IAEA), die seit dem Ende des Golfkrieges für die Überwachung der Einhaltung von Waffenstillstandsbedingungen zuständig ist, soweit sie den Stopp des irakischen Atomprogramms betreffen. UN- und IAEA-Inspektoren hätten die Fabrik seither viermal besucht und seien zu dem Schluß gekommen, daß sie von zweitrangiger Bedeutung sei. Darum sei ihre Zerstörung im Rahmen der UN-Maßnahmen gegen die irakische Waffenproduktion auch nicht vorgesehen gewesen.

Soweit sie nicht empört von der Zerstörung einer harmlosen „Maschinenfabrik“ sprachen, gaben irakische offizielle Sprecher zwar zu, daß in der Fabrik sogenannte Calutrons hergestellt worden seien, die für die Herstellung angereicherten Urans eine Schlüsselrolle spielen. Doch sei dies in der Zeit des iranisch-irakischen Krieges in den späten achtziger Jahren gewesen.

Nichtgenannte amerikanische Politiker erklärten denn auch gegenüber der Washington Post, die Auswahl der Fabrik als Ziel des Raketenangriffs sei nicht auf ihre militärische Relevanz zurückzuführen. Vielmehr habe man vor dem Problem gestanden, überhaupt ein angreifbares Objekt auszumachen, da nahezu alle relevanten Anlagen bereits im Rahmen der UN-Inspektoren-Tätigkeit unschädlich gemacht worden seien. In einem Gespräch mit der Zeitung erklärte der für Militärfragen zuständige Greenpeace-Experte in Washington, William Arkin, daß die Fabrik nach seinen Informationen schon während des Golfkrieges 1991 als militärisches Ziel ausgeschieden sei. Nina Corsten