: Shivas Tiger in der Großstadt
Die nationalistischen Hindus von Bombay sehen Muslime überall: In stinkenden Slums, in Händlerkaste und Kulturelite/ Politik von Feuer und Schwert ■ Von Bernard Imhasly
Zwischen den Kitschbildern von Tigern in verschiedenen Stadien der Aggression schmückt ein Neujahrskalender der „Shiv Sena“ eine der Wände im Vorzimmer von Bal Thackeray. Er zeigt das Bild des Sturms auf die Moschee von Ayodhya vom 6.Dezember, mit einem Thackeray-Zitat als Begleittext: „Falls Shiv Senaiks den Tempel gestürmt haben, bin ich stolz auf sie.“
Die orangenfarbenen Stirnschärpen der Angreifer auf der Fotomontage rufen unwillkürlich die noch frischen Bilder des Abendhimmels von Bombay in Erinnerung. An diesem Sonntag stammt dessen Orange allerdings nicht von der untergehenden Sonne über dem Indischen Ozean, sondern von einem Riesenfeuer, dessen Widerschein auch vom Haus Thackerays sichtbar ist. Es sind Holzlager muslimischer Händler, die von extremistischen Hindus oder von Kriminellen – oder beiden – just bei Abenddämmerung in Brand gesteckt wurden.
Auch der „Suprama“, wie er von seinen Anhängern liebevoll genannt wird, trägt Orange. Es paßt zur neuen Rolle, die Bal Thackeray seiner „Shiv Sena“-Partei seit zwei Jahren gibt: die kompromißlose Verteidigung des Mutterlandes, „Hindustan, was ihr im Westen Indien nennt“.
Sturmspitze des Nationalismus
In der banditenverseuchten Chambal-Gegend des Bundesstaates Radschastan hatten mehrere hundert „Shiv Sena“-Anhänger den Sturm auf die Babri-Masjid-Moschee in Ayodhya trainiert, und sie waren es, welche beim Angriff die Sturmspitze bildeten. Zum Beweis dafür, daß es gar keine alte Moschee war, hebt Thackeray einen Ziegel vom Boden auf, den ihm einer der Tempelstürmer als Souvenir zurückgebracht hat. Die eingebrannten Buchstaben „M.K.“ sind für ihn ein Beweis, daß es „ein Gebäude war, das in den zwanziger Jahren auf den Ruinen einer Moschee gebaut worden ist“. Ob alt oder neu, ist für ihn einerlei: eine Moschee an der Geburtsstätte von Gott Ram, „unserem nationalen Symbol“, war ein Zeichen der Unterwerfung der Hindus durch die Muslime, und die Politik des Säkularismus der Kongreßpartei war ein Ausdruck ihrer Unterwerfungsmentalität. Die Ausradierung der Moschee sollte mit einem Mal beides vergessen machen.
Der Tiger im Parteisymbol ist nicht in Orange eingefärbt. Er verweist auf die Zeit, als die „Shiv Sena“ – „Shivas Brigade“ – noch eine rein regionalistische Partei war. Denn mit Shiva ist nicht der Hindu-Gott angesprochen, sondern der Mahratten-Fürst Shivaji, dessen Reich sich im 17.Jahrhundert als letztes Hindu-Fürstentum der muslimischen Mogul-Herrschaft hatte beugen müssen. 1960 hatten die aufsässigen Mahratten mit Maharashtra einen eigenen Gliedstaat erhalten, und Marathi wurde offizielle Schulsprache im Staat.
Doch in der kosmopolitischen Handelsstadt Bombay waren es nicht sie, sondern die fleißigen Südinder, welche die erstrebenswerten White-Collar-Jobs monopolisierten. Ein Zwist mit seinem südindischen Boß bewog Bal Thackeray, seinen Job als Karikaturist des Free Press Journal aufzugeben und 1966 die „Shiv Sena“ zu gründen. Mit den unzimperlichen Methoden der Braunhemden – die Nazis sind gestandenes Vorbild von „Balasaheb“ – gelang es ihm, innerhalb von zehn Jahren zu einem gefürchteten Faktor der Lokalpolitik Bombays zu werden.
Gefördert wurde Thackeray dabei von den Ängsten vieler Stadtbewohner. Angesichts des explosiven Wachstums Bombays in eine Megalopolis von Slums und Hochhäusern, von Filmstars und Kriminalität schlugen diese bald in Ressentiments gegenüber dem unaufhörlichen Zustrom von Jobsuchenden aus ganz Indien um. Gefördert wurde er auch von der Kongreßpartei, die in den Sena-Schlägertrupps ein wirksames Mittel zur Zügelung der kommunistischen Gewerkschaften im wuchernden Industriegürtel um Bombay sah. Thackeray versprach zudem eine disziplinierte und saubere Stadt, die den Mittelstand die unangenehmen Haßtiraden vergessen ließen: Hausfrauen schwärmten, daß ein Telefonanruf genügte, um einen faulenden Abfallhaufen innert vierundzwanzig Stunden verschwinden zu lassen, wogegen die Stadtverwaltung ihn Wochen liegenließ.
Der Appell um die ethnische Solidarität zwischen Bajputs Brahmanen und den nachstoßenden unteren Kasten – aber mit Ausschluß der Kastenlosen – unter dem regionalen Etikett der Mahratten schuf zudem eine Stimmenbasis, die sich bald auch im ganzen Gliedstaat ausbeuten ließ. Die unterschwellige soziale Prägung enthielt auch eine religionspolitische Komponente und korrespondierte mit Thackerays Mißtrauen gegenüber den Muslimen.
Deren Händlerkasten hatten in Bombay eine prosperierende Operationsbasis aufgebaut. Viele Familien der muslimischen Feudalaristokratie hatten sich nach dem Verlust ihrer kleinen Fürstentümer ins Halbdunkel ihrer alten Stadtwohnungen zurückgezogen und waren Teil der kulturellen Elite Bombays. Aber auch die Kriminalität der weißen Weste – Schmuggel, Landspekulation, Erpressung – war von Muslimen beherrscht und korrespondierte mit dem Halbweltimage der prosperierenden Filmindustrie, ebenfalls unter muslimischem Einfluß.
Im Zug des Baubooms der siebziger Jahre suchten gleichzeitig immer mehr Wanderarbeiter, darunter viele Muslime, in der Großstadt ihren Lebensunterhalt. Sie landeten in behelfsmäßigen Arbeitersiedlungen um die großen Wohnbauprojekte, die dann mangels alternativen Wohnraums und mit Hilfe stimmgieriger Politiker stehenblieben und verslumten.
Der Reichtum der Händler Nawabs, der Geruch muslimischer Kriminalität und der Gestank aus den Lumpensiedlungen der Zuwanderer waren die Kehrseite des kosmopolitischen Images der Stadt. Sie bildeten bald ein explosives antiislamisches Gemisch, und die alte Bitterkeit aus den Tagen der Teilung Indiens war in Gestalt des verfeindeten Bruderstaates Pakistan ein ständiger Stachel in der Seite. Beide sorgten dafür, daß sich die Shiv Sena von einer regionalistischen zu einer antimuslimischen Partei wandelte.
Thackerays Residenz liegt an der Mahim-Creek, der ursprünglichen Grenze zwischen dem Festland und der Gruppe von Inseln, die im Lauf der Jahrhunderte durch Aufschüttung zur Stadt Bombay zusammenwuchsen. Heute ist sie nur noch ein übelriechender Sumpf, der die alte Stadt von den Vorstädten trennt, die sich 60 Kilometer nordwärts ins Land fressen. Die Siedlung Kherwadi, einen knappen Kilometer von Thackerays Haus entfernt, ist ein idealer Nährboden für den Mahratta- und Hindu-Chauvinismus.
Auch Pramod Khandekar, Angestellter der Hafenverwaltung, hatte von seiner Wohnung aus die Feuersbrunst der Holzlager in Mahim beobachtet. Einen Tag später steht er mit seinen Nachbarn vor dem gemeinsamen Wohnblock und erklärt dem Besucher weitschweifig – das Ausgangsverbot zwingt zum Nichtstun – die fatale Lage: Zwischen ihrem sauberen und einfachen Mittelstandsbau und dem Vorortsbahnhof von Bandra liegt der Slum von Berhampada, ein Geflecht von Lumpenhütten, in denen etwa 60.000 Muslime leben. Für die Hindus ist der Arbeitsweg zum Bahnhof jeweils ein Spießrutenlaufen, in Zeiten religiöser Spannungen kommt es regelmäßig zu Zwischenfällen. So etwa im Dezember, als die Zerstörung der Moschee von Ayodhya die Muslime tief verstörte: „Drei Personen wurden auf ihrem Arbeitsweg getötet, andere wurden mit Stichwunden verletzt und mit Steinen beworfen“, sagt Khandekar. Sie haben keinen Ausweg, denn auch auf der anderen Seite der Kolonie liegt eine Siedlung mit hauptsächlich illegalen Flüchtlingen aus Bangladesch.
„We will finish it“, meinen die Umstehenden grimmig, nachdem in der Nacht zuvor wiederum Brandbomben und Gewehrkugeln hin und her geflogen sind. Woher sie, konservative Mittelklasse-Hindus mit soliden Jobs, denn das Recht dazu nehmen? Sie halten dem Besucher ein Flugblatt unter die Nase, das er bereits auf dem Schreibtisch von Thackeray gesehen hat: eine Fatwa des islamischen Oberhaupts, des Imam der Großen Moschee von Delhi, der die Gläubigen in Bombay aufruft, in diesen Zeiten des Dschihad den „Kaffirs“ den Hals durchzuschneiden und sich damit das Himmelreich zu verdienen.
Nicht nur die krude Sprache läßt Zweifel an der Echtheit des Zettels aufkommen: S.S.Varde, ein College-Professor, entdeckt in den Formulierungen idiomatische Wendungen, die sich ein sprachbewußter Muslim in seiner Urdu- Sprache nie erlauben würde. Für ihn stammt das Elaborat aus der Küche der Shiv Sena. Den guten Leuten von Kherwadi bietet es jedoch die emotionale Legitimität, dem übelriechenden und bedrohlichen Geflecht von Hütten, den plärrenden Lautsprechern der kleinen Moschee und den grünen Fahnen des Islam – die der pakistanischen Flagge so ähnlich sehen – wenn nötig auch mit Gewalt ein Ende zu setzen.
Slums, Auswürfe des Kosmopolitismus
Auch der Verweis auf den Staat erntet bei den Hindus von Kherwadi nur Hohn. „Die Siedlung ist illegal, und es besteht ein Gerichtsurteil, das deren Entfernung befiehlt.“ Zehn Jahre später wuchert sie jedoch immer noch. Der Grund liegt nicht in erster Linie in den publizitätsträchtigen Kampagnen von Filmstars wie Shabana Azmi und Sunil Dutt, die aus sozialhygienischen Gründen mit Sitzstreiks einen Abriß der Hütten verhindern. Sunil Dutt war bis vor kurzem auch Parlamentsabgeordneter der Kongreßpartei, und für die zornigen Nachbarn um Herrn Khandekar gehört es zur Politik dieser Partei, sich mit dem Unterlaufen von Gerichtsurteilen Stimmen zu sichern. Thackerays Rezept findet da offene Ohren: „Wenn die Regierung das Gesetz nicht schützt, haben wir das Recht, es in die eigene Hand zu nehmen.“
Doch wohin sollten die armen Menschen gehen, wenn einmal die Bulldozer ihre Schaufeln ansetzen? Bal Thackeray vermag das Problem nur in religionspolitischen Kategorien zu erfassen: „Sie können ja nach Pakistan gehen. Da werden sie dann sehen, was für privilegierte Bürger sie hier sind.“
Slumbewohner – ohne Erziehung, Hygiene und oft arbeitslos – als privilegierte Bürger: es ist eine Welt, in der sich jeder als Teil einer Minderheit fühlt. Die Hindus von Kherwadi sehen sich umringt von einer brodelnden Masse kriminell gesinnter Flüchtlinge; die Slumbewohner ihrerseits fühlen sich bedroht von den festungsgleichen Wohnblocks der Hindus, von denen aus auch mal geschossen wird; Balasaheb Thackeray schließlich begreift sich „wie ein Flüchtling im eigenen Land“, angesichts der Phantasiezahl von „17 Millionen Muslimen, die aus Pakistan und Bangladesch einwandern“. Er sieht das als ein Teil einer internationalen muslimischen Verschwörung – von Marokko bis Indonesien –, in der das hinduistische Indien eine einsame Insel bildet.
Ob ihn der Anblick der 30.000 Menschen, die der Stadt und ihren Unruhen entflohen sind, befriedigt hat? Balasaheb wird plötzlich defensiv: „Verstehen Sie doch – ich habe nichts gegen Muslime. Aber sie sollen sich recht verhalten, wie gute Burschen, wie Gentlemen. Aber sie wollen nicht verstehen, auf welche Art wir sie lieben. Sie werden es lernen müssen.“ Während der pfeifenrauchende Tiger der Mahratten im orangenfarbigen Mönchspelz sein Versöhnungsrezept der bedingungslosen Unterwerfung verkündet, biegt die rötliche Glut der brennenden Holzlager im nahen Mahim die Stahlbalken zu Boden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen