■ Das bosnisch-serbische „Parlament“ entscheidet über die Annahme des Vorschlags der Genfer Jugoslawien-Konferenz
: Virtuose Meister der Verzögerung

Einen Teilsieg kann der bosnische Serbenführer Radovan Karadžić allemal schon einheimsen. Selbst wenn sein „Parlament“ ihm wider Erwarten die Gefolgschaft versagen und den Friedensvorschlag der beiden Kopräsidenten der Genfer Jugoslawien-Konferenz, Vance und Owen, zurückweisen sollte, hat er doch eines erreicht: alle Welt glaubt nun, in Pale bei Sarajevo werde über Krieg und Frieden auf dem Balkan entschieden. Das allein schon wertet das „Parlament“, den „Ministerpräsidenten“ Vladimir Lukić und vor allem eben den „Staatspräsidenten“ Radovan Karadžić ungebührlich auf und vernebelt ein Faktum: die politischen Institutionen der bosnischen Serben sind in keiner Weise demokratisch legitimiert. Die Macht Karadžićs kommt aus den Gewehrläufen.

Sollte sich die Versammlung serbischer Notabeln, Rabauken und kleiner Warlords in Pale – wie erwartet – für die Annahme der Genfer Vorschläge entscheiden, können zwei Seiten einen Sieg davontragen: Vance und Owen, weil dann in Genf die Endloskonferenz wieder weitergeht, und das verbuchen die Chefdiplomaten inzwischen unabhängig von den konkreten Resultaten als politischen Erfolg. Ein Sieg wäre es auch für Milošević und Karadžić, die beiden Meister der Verzögerungstaktik. Denn solange verhandelt wird, gibt es keine Intervention. Und solange nicht interveniert wird, ist die serbische Seite allemal im Vorteil.

Daß bei einer grundsätzlichen Annahme des Friedensplans durch die bosnischen Serben kein Durchbruch erzielt ist, steht jetzt schon fest. Dann geht es in weiteren Verhandlungsrunden um die Details, in denen tausend Teufel stecken. Karadžić hat bereits öffentlich klargestellt, daß er keinesfalls gewillt ist, die Aufteilung Bosnien-Herzegowinas in zehn Provinzen in der von Vance und Owen vorgeschlagenen Form zu akzeptieren. Auf der in Genf vorgelegten Karte ist die größte serbische Provinz vom serbischen Mutterland nur über kroatische oder muslimische Provinzen zu erreichen, die auch die serbisch besetzten Gebiete Kroatiens von jeder Versorgung abschneiden könnten. Über Grenzziehungen läßt sich also noch trefflich streiten und dealen, und Karadžić beherrscht die Klaviatur der Genfer Verhandlungen virtuos. Sollten Muslime, Serben und Kroaten sich tatsächlich auf neue Grenzen einigen können, stehen als nächstes die Waffen schwerer Artillerie zur Debatte. Diese der Aufsicht der UNO zu unterstellen hat Karadžić übrigens schon vor einem halben Jahr auf der Londoner Konferenz zugesagt, ohne das Versprechen je einzulösen.

Und nicht zu vergessen: Auch die muslimische Seite hat den Friedensvorschlag noch nicht unterzeichnet, weil sie Grenzkorrekturen fordert – selbstredend andere als die Serben. Das womöglich größte Problem aber ist im Genfer Paket gar nicht angesprochen. „Bosnien-Herzegowina wird ein dezentralisierter Staat, in dem die meisten Regierungsfunktionen von seinen Provinzen ausgeübt werden“, heißt es im Dokument von Vance und Owen, und „die Provinzen [...] sollen demokratisch gewählte Gesetzgebungsorgane erhalten“. Wer aber wählt in den ethnisch gesäuberten Provinzen? Die Übriggebliebenen? Was geschieht mit den über zwei Millionen Flüchtlingen? Daß diese Fragen in Genf ausgeklammert wurden, läßt vermuten, daß Vance und Owen entgegen all ihren einst feierlich verkündeten Prinzipien das militärisch erzwungene fait accompli zu akzeptieren bereit sind. Die Souveränität des international anerkannten Dreivölkerstaates Bosnien-Herzegowina wird unter dem Druck der Kriegsherren in Belgrad und Pale schon jetzt der vagen Hoffnung auf einen künftigen Frieden – auch jenseits der Drina, in Mazedonien und im Kosovo – geopfert. Wenig spricht dafür, daß dieses Kalkül der Konfliktbegrenzung aufgeht. Vieles hingegen läßt befürchten, daß in Genf weiter geredet und in Bosnien-Herzegowina weiter geschossen und gestorben wird. Thomas Schmid