■ Die arabische Welt und der irakische Knoten
: Vorbei die Zeit der Golfallianz

Es war wohl kaum zu erwarten, daß die neuerlichen amerikanischen Luftangriffe gegen den Irak auf allzuviel arabische Gegenliebe stoßen. Damit, so scheint es, ist die vor zwei Jahren aufgebaute Allianz des Golfkrieges, an der auch einige arabische Staaten wie Ägypten, Syrien und Marokko beteiligt waren, nun endgültig passé. Während in den Golfstaaten das große Schweigen regiert, drücken die anderen arabischen Staaten ihre Sorge darüber aus, daß man in Washington jetzt wieder glaube, seinen militärischen High-Tech-Apparat einsetzen zu müssen.

Am selben Tag, an dem der ägyptische Außenminister Amru Musa nach Israel reiste, um Rabin zu überzeugen, den Entschluß der Deportation von 414 Palästinensern zurückzunehmen, schickten die Amerikaner ihre Raketen im Namen des internationalen Rechts gen Bagdad. Ein Zufall? Ein Symbol? Die Reise Musas erwies sich erwartungsgemäß als vergeblich. Rabin lehnte die Rücknahme der Deportationen und damit den UN- Sicherheitsratsbeschluß 799 kategorisch ab.

Für die meisten Araber sind diese beiden Vorfälle, die Deportationen und die Bombardierung Iraks, eng miteinander verknüpft. Das geflügelte Wort der letzten Tage lautet al-kil bi makiyaleen – messen mit zweierlei Maß. Ein Vorwurf, der sich wie ein roter Faden durch alle arabischen Kommentare zieht. Warum sind es wieder einmal gerade die Araber, die ständig für neue aggressive Aktionen ausgewählt werden, während gleichzeitig größere Herausforderungen wie der Krieg in Bosnien oder die Deportationen von Palästinensern keine aggressiven Reaktionen nach sich ziehen? Was wäre, wenn Rabin Saddam wäre? lautet die überall gestellte Frage. Und: Warum die Eile, militärisch einzugreifen, wo das seit Monaten andauernde Flehen islamischer Staaten und der Islamischen Konferenz nach einer militärischen Intervention zugunsten der bosnischen Muslime bis heute unbeantwortet blieb?

Schon seit längerem schwelendes arabisches Unbehagen macht sich nun offen Luft. Die faktische Teilung des Irak in Flugverbots- und Schutzzonen fand seit jeher in den meisten arabischen Ländern wenig Freunde. Von Hosni Mubarak über die PLO bis zur gesamten Arabischen Liga, sie alle betonen nun den Erhalt der nationalen Einheit und Integrität des Irak. So mancher arabische Staat sieht in den heutigen Szenarien im Irak sein eigenes zukünftiges Schicksal. Das Schema ist einfach: Die USA suchen sich von den Beschlüssen des Sicherheitsrates diejenigen aus, die ihnen passen, ohne irgendeine Rechenschaft abgeben zu müssen. Welches der arabischen Länder muß da nicht Angst haben, auch einmal an der Reihe zu sein?

Nachdem sich die alten Verbündeten des Irak in der Zeit nach dem Golfkrieg zunehmend von Saddam Hussein abgewendet haben, schwappt nun wieder eine Welle der Solidarität über den arabischen Bruderstaat, wenngleich nicht unbedingt aus Liebe zu Saddam. Derweil sah es vor wenigen Monaten noch ganz anders aus. Die PLO, während des Golfkrieges von allen Seiten wegen ihrer einseitigen Parteinahme zugunsten des irakischen Diktators attackiert, ging langsam auf Distanz mit Bagdad. Führende Vertreter der Organisation reisten in die Golfstaaten und versuchten die angeschlagenen, doch früher finanzbringenden Kontakte wiederzubeleben. Auch der jordanische König verkündete noch vor wenigen Wochen, es sei an der Zeit, daß die Iraker mit Saddams Herrschaft Schluß machten. Nun werden wieder andere Töne angeschlagen. Der jordanische Ministerpräsident warnte vor wenigen Tagen vor „der Wut, die nun die Araber und Muslime fühlen“. Sein Kollege vom Informationsministerium forderte, den „amerikanischen Dialog der Raketen“ sofort zu beenden. Die PLO rief dazu auf, die Aggression zu stoppen und das bedrückende Embargo sofort aufzuheben. Forderungen, denen auch die ehemaligen Golfkriegsalliierten Ägypten und Syrien zustimmen.

Der Irak jedenfalls findet sich nach den Angriffen der Rest-Alliierten in einer besseren Position als zuvor. Die Verlegung der Raketen in die von den Alliierten geschaffene Flugverbotszone, der Streit mit den UN um Landeerlaubnisse und die Grenzübertretungen irakischer Zivilisten in das Niemandsland zwischen Irak und Kuwait – das alles hatte für die Iraker nur einen Zweck: zu zeigen, daß sie mit dem Status quo nicht leben wollen und können. Das Thema Irak sollte wieder auf die Tagesordnung gebracht werden. Da erschien nachgerade der Übergang von der Regierung Bush zu Clinton als perfekter Zeitpunkt. Beim Versuch, aus der Isolation auszubrechen, erweisen sich die arabischen Länder als eine der wichtigsten Zielgruppen. Denn auch sie sind mit dem Status quo unzufrieden. Seit dem Wegfall der irakischen Regionalmacht geht das Gespenst der iranischen Expansion um. Teheran streckt seine Arme zum Golf aus, wie der Streit um mehrere Inseln zwischen dem Iran und den Arabischen Emiraten bereits deutlich machte. Die Golfstaaten wissen, daß die neue Sicherheits(un)ordnung am Golf ohne den Irak alles andere als stabil ist.

Doch damit der arabischen Sorgen nicht genug. Wie soll angesichts amerikanischer Bombardements und Doppelstandards der Friedensprozeß im Nahen Osten gerechtfertigt werden? Jede Anwendung von Gewalt führt zu einem Verlust der Glaubwürdigkeit internationalen Rechts und zu einer Gegenreaktion in der arabischen und islamischen Welt. Davor jedenfalls warnen die 21 Mitglieder der Arabischen Liga. Mit dem Säbelrasseln der USA werden wieder diejenigen mit neuen Argumenten ausgestattet, die ohnehin keinen Wert auf die Beschlüsse des UN- Sicherheitsrates legen und die für einen politischen und kulturellen Boykott des Westens eintreten. Schon jetzt macht sich die islamistische Bewegung über das „heftige Bedauern“ ihrer Regierungen lustig. Für Regierungen, in deren Ländern starke islamistische Strömungen den Diskurs mitbestimmen wie etwa Algerien, Ägypten, Tunesien, Jordanien, und für die PLO mit ihrem islamistischen Gegenspieler „Hamas“, bedeutet jeder US-Angriff einen weiteren Punkteverlust. Daß Saddam Hussein die Iraker auch mit religiösen Slogans wie dem Dschihad gegen die Alliierten zu mobilisieren versucht, macht ihre Position nicht gerade leichter.

Der Irak seinerseits hat nicht mehr allzuviel zu verlieren. Durch das geschickte „Warmhalten“ der Golfkrise erschließen sich für ihn wieder neue Möglichkeiten. Einen massiven Truppenaufmarsch am Golf hat er nicht mehr zu befürchten. Heute hat die Rest-Allianz politisch wohl kaum mehr die Möglichkeit, 30 verschiedene Länder zu mobilisieren und eine halbe Million Soldaten zu entsenden.

„Breche eine Krise vom Zaun und öffne dann die Tür zum Dialog“ ist das Saddamsche Politikverständnis. Seine Trumpfkarten sind dabei die unter Druck geratenen arabischen Staaten und die Hoffnung, daß die neue Regierung Clinton erkennt, wie wenig Sinn es macht, weiteres Öl ins Feuer am Golf zu gießen. Karim El-Gawhary, Kairo