Umherschweifende Memoryrebellen

Bei den Europameisterschaften im Memory siegte der Professionalismus gegen die Spielfreude  ■ Von Peter Huth

Weingarten (taz) – Am Wochenende fand im oberschwäbischen Städtchen Weingarten die Endrunde der 1. Memory-Europameisterschaft statt. Memory, Sie erinnern sich, dieses schreckliche Bilderlege- und Suchspiel, bei dem uns die Kinder immer das Fell über die Ohren ziehen.

Memory, ein Kinderspiel? Irr

tum! Spitzensport, bei dem 13 Kinder zwischen sechs und fünfzehn Jahren und sechs Erwachsene über 18 Jahren in zwei getrennten Gruppen ihre Europameister ausspielten. Ursprünglich hieß es, Erwachsene und Kinder spielen ihren Meister gemeinsam aus. Da aber zeigte sich bei den bundesdeutschen Regionalturnieren, daß ein harter Kern von umherschweifenden Memoryrebellen den armen Kindern keine Chance ließ und sich peu à peu für die deutschen Meisterschaften qualifizierte. Immerhin winkte als Siegespreis eine Reise nach Euro-Disney. Flugs wurde improvisiert und bei den Deutschen Meisterschaften in Es

sen in drei Gruppen unterteilt: Kinder, Junioren und Erwachsene. So glaubte man, dem Breitensport eine Chance einzuräumen, das jedem Land zustehende Dreierkontingent zumindest gemischt zu besetzen und somit dem geballten Ansturm der Rebellen auf die Preise einen Riegel vorzuschieben. Glaubte man!

In Italien fanden die Ausscheidungen in Schulen statt. Da treiben

sich eh keine qualifizierten Erwachsenen rum. In den Niederlanden wurde das Ganze in Kinderzirkussen organisiert. In der Schweiz sahen die Kinder kein Land. Frankreich war gemischt. Schweden und Finnen hielten Memory für ein Kinderspiel, und in Österreich wurde den Erwachsenen dezent angedeutet, daß sie doch auf die Turnierteilnahme verzichten

sollten. Taten sie dann auch, bis auf ein Berliner U-Boot, das plötzlich in Wien auftauchte, um Österreichischer Meister zu werden. Eric Ecker, Gründerjüngling und Motor der deutschen Memorybewegung und Memory-News-Herausgeber, sah sich durch diese sinnvolle Regelhandhabung des Veranstalters – dem Otto Maier Verlag Ravensburg – um die Früchte seiner langjährigen Bemühungen um dem Memory-Sport geprellt.

Er fühlte sich ausgebootet und wählte diesen regelschlitzohrigen Weg, um mit grinsender Flagge in Weingarten einzulaufen.

Europameister wurde er allerdings nicht. Im Spiel „Jede gegen Jeden“ und umgekehrt reichte es nach für sein Spielniveau schwachen fünf Partien lediglich zum Kampf um den dritten Platz. Dort gab er dann entnervt auf und wurde am Ende Vierter. Europameister wurde der derzeitige Spit

zenreiter der Deutschen Rangliste, Rainer Husel aus Saarbrücken, der seinen Gegner, den Franzosen Philippe Pitarque aus Nizza, in beiden Finalpartien deklassierte.

In der Kindergruppe siegte der fünfzehnjährige Phillipp Hiller- Hufnagel aus Hamburg, der bis auf das Finale gegen den elfjährigen Niederländer Esteban Serrano seine Gegnerinnen und Gegner nach Belieben beherrschte. Nicht daß die anderen Kinder von ihren Fähigkeiten her schlechter waren.

Aber der Deutsche zeigte – wie die deutschen Teilnehmer der Erwachsenenrunde – eine professionelle, taktische, auf Sieg orientierte Spielweise, die er in vielen Ranglistenturnieren und Trainingsrunden mit dem Vater erlernt hat.

Im Kopf legt er ein Rösselsprungraster über die schachbrettartig ausgelegten 64 Karten, das er nach und nach mit umgedrehten Karten ausfüllt. Die Kärtchen be

kommen von ihm eindeutige kurzsilbige Namen, die leichter zu merken sind. Der Apfel heißt Apfel, der Apfelbaum heißt Baum und der Apfel mit Wurm schlicht Wurm. Mit Raster und knappen Namen läßt sich die Lage der Karte einfacher merken. Deckt er eine Karte auf, die er noch nicht gesehen hat, enthüllt er nicht auf gut Glück eine zweite, sondern spielt defensiv, deckt als zweite eine bereits bekannte Karte auf, um nicht dem Gegner in die Hände zu spielen. Sein extrem langsames, die Positionen der Karten immer wieder

überprüfendes Spiel wirkte gegen die vor Spielfreude berstenden Kinder brutal. Ihm war mit schnellem, offensivem Spiel nicht beizukommen.

Solch erfolgsorientiertes Spiel wurmte natürlich die Zuschauer, die sich an der Spielfreude der Kinder labten. Die Sympathien waren eindeutig. Als im Finale Esteban Serrano mit Glück immer wieder Pärchen umdrehte, in Führung ging und der Deutsche Nerven

zeigte, jubelten die Zuschauer. Als Phillipp beim Stande von 14:14 danebengriff, obwohl ihm alle Karten bekannt waren, empfand man das als Sieg der Gerechtigkeit. Esteban wäre auf Schultern aus dem Saal getragen worden, hätte er nicht gleich mit einem Fehler gekontert.