Die Kochstraße, das Domizil der Intelligenz

■ Eine Ausstellung über die Berliner Zeitungsgeschichte im Foyer der Berliner Stadtbibliothek/ Die deutschnationale „Wahrheit“ und die kommunistische „Welt“

Kreuzberg/Mitte. Am Anfang des Stammbaums der taz-GründerInnen stand Friedrich Wilhelm I., jawoll! Wer's nicht glaubt, kann es schwarz auf weiß auf den 72 Schautafeln einer Ausstellung zur Berliner Zeitungsgeschichte nachlesen, die derzeit im Foyer der Berliner Stadtbibliothek dargeboten wird. „Der Kerl hat Geld, soll bauen“, mit diesem knappen Ausruf hatte der König aller Preußen die dringliche Bitte an seine Räte und Stabsoffiziere garniert, ihre Wohnhäuser auf dem neuen Karree „in der Friedrichstadt bey Kochius Garten“ in unmittelbarer Nähe des heutigen taz-Palastes zu errichten.

Junker und Richter ließen sich forthin auf diesem Areal nieder, gefolgt von Buchhändlern und, noch ein wenig später, Zeitungsgründern. Schon seit Anfang des 19. Jahrhunderts sei die Kochstraße das „Domizil der hauptstädtischen Intelligenz“, bescheinigen die netten Ausstellungsmacher der taz die gute historische Tradition.

Doch zunächst ließen sich rund um die Gründerjahre die Gründer anderer Zeitungen in der Straße nieder. Der mittellose Rudolf Mosse aus Posen baute hier 1867 seine Anzeigenagentur „Annoncen Expedition“ auf, bis er dann mit dem verdienten Geld das Berliner Tageblatt und die Berliner Morgen-Zeitung aufmachte. Der Düsseldorfer August Scherl gründete ebenda im Jahre 1883 seinen Berliner Lokalanzeiger, dem unter anderem Die Woche, Der Tag und Der Montag folgten. Als Dritter im Bunde der Pressemagnaten nannte der Liberale Leopold Ullstein gar bald das 1877 eröffnete Neue Berliner Tagblatt, die Berliner Abendpost, Berliner Zeitung und Berliner Illustrirte Zeitung sein eigen. Rund um die Kochstraße wuchsen die Druckereien und Agenturen zahlreich heran.

Was wunder, daß die Berliner Presse in der Weimarer Republik insgesamt 45 Morgen-, 14 Abend- und zwei Mittagsblätter zählte. Die Wahrheit war damals noch deutschnational, „die Welt am Abend“ kommunistisch und die B.Z. am Mittag liberaldemokratisch sowie „die schnellste Zeitung der Welt“. Acht Minuten brauchten ihre Macher, um die Börsenkurse ins Blatt zu heben und selbiges auf die Straße zu werfen.

Doch 1933 setzte ein Mann, der vorher beim Ullstein-Verlag als Redakteur abgelehnt worden war, der Pressefreiheit ein Ende: Joseph Goebbels. August Scherl hatte schon vorher den Deutschnationalen Alfred Hugenberg zum neuen Beherrscher seines Zeitungsimperiums gemacht, dieser wiederum hatte einen Teil des Konzerns freiwillig an die Nazis übergeben. Die fünf Söhne des Juden Leopold Ullstein aber wurden genötigt, ihren Verlag zu einem Zehntel seines Wertes zu verkaufen; 1937 wurde er in „Deutscher Verlag“ umgetauft. 1952 erhielten die Ullstein-Erben den Verlag zurück. Bis dann ein anderer Herr ihn im Jahre 1959 in seinen Besitz brachte und auf dem alten Scherl- Grundstück den Grundstein zu einem neuen Verlagshaus legen ließ. „Wir rufen die Geister der Geschichte, die an dieser Stätte heimisch sind“, heißt es in der dort versenkten Urkunde, und man vermeint die Begleitmusik von Pauken und Trompeten zu vernehmen. „Von dieser historischen Stätte aus“, wurde damals schon die Heimatstraße der taz hochgelobt, „sind geistige Impulse der Metropole in das ganze Land hinausgegangen... Hier sammelte sich die Elite des deutschen Journalismus.“ Einige Ausstellungstafeln weiter wird die taz noch einmal explizit gewürdigt: Sie könne als einzige der derzeit zehn Berliner Tageszeitungen „den Anspruch einer überregionalen Zeitung erheben“. Aber dann bricht plötzlich ein hämischer Ton durch: „Mit diesem Allein-Anspruch soll es Mitte 1993 ein Ende haben: Zu diesem Zeitpunkt will die Tageszeitung ,Die Welt‘ von Bonn nach Berlin übersiedeln.“ Nun, hier sei das Geheimnis gelüftet: Die noch bis Ende Februar zu sehende Ausstellung wurde vom Axel Springer Verlag finanziert. Ute Scheub

Noch bis 28. Februar in der Berliner Stadtbibliothek, Breite Straße 32-34, Mitte, geöffnet. Mo. 12-21, Di.-Fr. 9-21, Sa. 9-16 Uhr.