■ Einige Bemerkungen zu den Türken in Deutschland
: Kommunizierende Ohnmächte

Nach dem Anschlag in Mölln wurde in der türkischen Presse tagelang auf die Tränendrüse gedrückt. Dann brach die Zeit der markigen Sprüche an: „Wir sind stark“, schrie das im Ausland auflagenstärkste Blatt Hürriyet von der Titelseite in die Welt hinaus. Die deutsche Presse – freilich sachlicher im Stil – rechnete vor, wie stark die türkischen Firmen in Deutschland inzwischen geworden sind und wie groß der volkswirtschaftliche Nutzen türkischer Arbeitnehmer und Konsumenten für die deutsche Wirtschaft ist. Eben diese türkischen Unternehmer meldeten sich zu Wort und drohten mit Steuerboykott, falls die Sicherheit der Türken in Deutschland nicht mehr gewährleistet sei.

Zwischen den Polen des Klagens, des Selbstmitleids und des kräftemeiernden Prahlens schwankt das türkische Befinden in Deutschland schon seit Jahren hin und her. Man kann der deutschen Regierung durchaus vorwerfen, für die Akzeptanz dieser größten Minderheit in Deutschland bisher kaum etwas geleistet zu haben. Kann dieser Vorwurf aber nicht ebenso den Türken gemacht werden?

Die Türken haben es bis jetzt nicht zuwegegebracht, eine überregionale Institution zur Vertretung ihrer Interessen zu formieren, die etwa mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland vergleichbar wäre. Die Organisationsstruktur der Vereine gleicht einem Scherbenhaufen. Die Personen, die in diesen Vereinen agieren, haben zumeist das Format von Provinzpolitikern, die sich höchstens für mittelmäßige Politpossen eignen. Zudem noch herrscht eine extreme politische Zersplitterung, für die sowohl rechte religiöse Vereine als auch linke Organisationen verantwortlich sind. Den meisten politisch orientierten Vereinen dient Deutschland nur als Spielwiese für ihre Pläne und Ambitionen in der Türkei.

Sind also nur die Deutschen provinziell in Deutschland? Die Kontakte der Türken sind nicht nur zu den Deutschen, sondern auch zu anderen Nationalitäten in Deutschland unterentwickelt, von Kontakten zum übrigen Ausland außerhalb der Türkei ganz zu schweigen. Die Bezeichnung „Kosmopolit“ gilt selbst für viele türkische Intellektuelle noch als Schimpfwort. Eine nationale Minderheit aber – und das zeigt die Erfahrung der Geschichte – kann nirgendwo Fuß fassen, ohne das Spannungsfeld zwischen überlieferter Identität und weltbürgerlicher Offenheit kreativ zu gestalten.

Es gibt in Deutschland zum Beispiel keine einzige türkische Kulturstiftung. Die wenigen von den Konsulaten verwalteten kulturellen Zentren sind Horte des Dilettantismus und des Provinzialismus.

Und was ist mit der jungen, hier aufgewachsenen Generation? Den Tausenden von Studenten in den Universitäten? Den jungen erfolgreichen Unternehmern? Dort, wo die junge Generation aktiv werden will, wird sie von niemandem unterstützt, ist völlig auf sich gestellt. Ob Jugendgruppen, Studentenvereine oder Medienprojekte, sie alle sind mittellos, krebsen vor sich hin. Die Sprücheklopfer unter der Elterngeneration bleiben da genauso passiv, wie die Wehklagenden, die im Nachwuchs nur die ihnen entfremdete „verlorene Generation“ sehen.

Alles, was die als „Gastarbeiter“ geholten Ausländer in diesem Land betraf, fiel in den Zuständigkeitsbereich der Sozialarbeit. Dies hat nur dazu gedient, das Helfersyndrom der „guten“ Deutschen zu stärken und die „sprachlosen“, bedürftigen Minderheiten einzuschläfern. In dieser Atmosphäre werden selbstverständliche Rechte einer Minderheit, wie Wahlrecht, Recht auf zweisprachigen Unterricht und so weiter so behandelt, als ginge es dabei um Weihnachtsgeschenke einer großzügigen Gsellschaft an die Armen. Rechte aber sind keine Geschenke und Geschenke keine Rechte.

Noch sind die Türken in Deutschland weit davon entfernt, sich als Teil dieses Landes, als eine Minderheit

in Deutschland zu begreifen und zu artikulieren. Den deutschen Politikern, die sich zur Zeit an Kurzsichtigkeit übertreffen, kommt die Ohnmacht der Türken gerade recht. Dies ist eine Hinhaltepolitik, die sich einmal ganz böse rächen könnte. Spätestens dann, wenn die Gewalt auf frustrierte türkische Jugendliche überspringt, wird man zusätzlich zum Problem der Deutschen mit sich selbst ein „Türkenproblem“ fabriziert haben. Spätestens dann nämlich wird deutlich werden, daß die Angelegenheit einer Minderheit in einem demokratischen Staat weder von Sozialarbeitern noch von politisch machtlosen Alibi-„Ausländerbeauftragten“ geregelt werden kann. Zafer Senocak

Der Autor lebt als freier Publizist in Berlin.