Barschel-Akten – einmal Gauck und zurück

■ Der Bonner Schalck-Ausschuß geriet unversehens in den Besitz von 200 Seiten Stasi-Akten über Uwe Barschel – und sucht nun Wege, sie auch zu lesen

Berlin (taz) – Eigentlich ging es am Donnerstag vergangener Woche im Bonner Schalck-Ausschuß um den verdeckten Waffenhandel der ehemaligen DDR. Der Bürgerrechtler Wolfram Vormelker berichtete, der mit Gesinnungsgenossen im Dezember 1989 das geheime Waffendepot der Schalck- Firma IMES in Kavelstorf bei Rostock enttarnt hatte. Zum Schluß seiner Anhörung erklärte Vormelker unvermittelt, er habe kürzlich einen ganzen Packen Barschel- Akten, so an die 200 Seiten, anonym per Post zugeschickt bekommen. Vormelker versprach den verdutzten Parlamentariern, die Papiere dem Ausschuß zu überlassen, eine Rostocker Abgeordnete wirkte als Kurierin. Seit Montag liegt das Bündel nun beim Sekretariat des Schalck-Ausschusses in Bonn – im Panzerschrank für geheime Verschlußsachen.

Die Abgeordneten müssen ihre Neugierde vorerst zügeln. Das Sekretariat wollte die Akten am liebsten gleich zur Verschlußsache stempeln und vertrat zudem die Meinung, daß ihr Inhalt mit dem Untersuchungsauftrag des Ausschusses schlichtweg nichts zu tun habe. Der soll ja die Umtriebe Schalcks durchleuchten und nicht das Mysteriosum Barschel klären.

Die sozialdemokratischen Abgeordneten im Ausschuß wollten sich die Einschätzung der Barschel-Papiere allerdings selbst vorbehalten und bestanden auf Freigabe. In einer Beratungssitzung beteuerte der CDU-Ausschußvorsitzende Vogel, außer zwei Juristen des Sekretariats habe niemand die Akten bisher gelesen, auch er selbst nicht.

Da ja wenigstens die Volksvertreter das von ihnen beschlossene Stasi-Aktengesetz ernst nehmen müssen, wurde nach einigem Hin und Her einvernehmlich folgendes Verfahren beschlossen: Der Ausschuß übergibt die Barschel-Akten der Berliner Gauck-Behörde, schickt aber gleich einen formvollendeten Beweiserhebungsbeschluß mit, in dem er die Akten gleich wieder anfordert. Gauck soll die Akten in Kopie also postwendend wieder nach Bonn schicken.

Sensationelles scheint das Aktenbündel nicht zu enthalten. Es entstammt der Bezirksverwaltung Rostock des MfS, die den damaligen CDU-Spitzenpolitiker bei seinen DDR-Besuchen unter dem Decknamen „Hecht“ intensiv bespitzelte. Nachlesen kann man etwa, wie sich die Schlapphüte bei der Verfolgung des Barschelschen Dienst-Mercedes auf Feldwegen verfuhren. Interessant ist allerdings, daß Barschel nicht nur auf seinen DDR-Reisen, sondern auch zu Hause in Kiel von bisher nicht enttarnten Stasi-Spitzeln beobachtet wurde. Teile des „Hecht“-Dossiers sind noch zu DDR-Zeiten über das Rostocker Stasi-Auflösungskomitee versickert, kursieren seither auf dem Aktenschwarzmarkt und sind schon verschiedentlich zitiert worden. Fragmente der 1975 begonnenen Beobachtungsakte „Hecht“ liegen auch, wie sich's gehört, in den Regalen der Gauck-Behörde – allerdings bricht das Material im Dezember 1985 unvermittelt ab. Dabei wurde es 1986 (U-Boot-Skandal) und 1987 (Barschel-Affäre) doch erst so richtig spannend. Nicht nur für Stasi-Spitzel. Thomas Scheuer