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Wand und BodenZum Zweck der Selbstfindung

■ Kunst in Berlin jetzt: Das verborgene Museum, Extrinsic Divergent, Abstrakte Stahlskulptur

Aus der Sicht von Künstlerinnen und Künstlern ist die Gruppenausstellung selten mehr als ein fauler Kompromiß, und der Konsens liegt manchmal deutlich unterhalb des kleinsten gemeinsamen Nenners. Wer mit anderen ausstellt, tut das in der Regel, weil sie oder er es allein nicht kann, Mittel nicht hat, Räume nicht bekommt. In Gedanken sieht sich die Künstlerperson einsam davonrauschen, und die Weggefährten von einst verschwinden im Goldschweif, den sie kometengleich hinter sich läßt.

Soweit die Annahmen, die durch die eher bescheiden betitelte Ausstellung „Zeitgenössische Berliner Künstlerinnen“ in geradezu erschreckender Weise widerlegt werden. Im Verborgenen Museum, einem Showroom im nobel ausgebauten Hinterhof der Schlüterstraße 70, drängen sich auf dem Raum einer besseren Zweizimmerwohnung etwa hundert Arbeiten: in schwarzen, weißen und hölzernen Rahmen, mit und ohne Verglasung, Reliefartiges im Kasten, Zeichnungen, Fotos, Lithographien, Aquarelliertes und Geklebtes. Vom biederen Blitzlichtportrait Willy Brandts über das Landschaftsbild mit vielen bunten Blumen (das am Boden steht) bis zu den typisch akademischen Studien in schwarz und weiß: ein Zusammenschluß zu einem Zweck, der sich selbst auslöscht.

Es ergibt sich der (mit Sicherheit falsche) Eindruck, die Arbeiten kämen nicht aus Ateliers, Labors und Werkstätten, sondern wären in trauter Heimarbeit am Küchentisch der WG-Familie entstanden. Obwohl sie sich nicht ähneln, sind sie nicht vergleichbar; je persönlicher die Handschrift, desto größer die Chance, daß die Arbeit dem suchenden Auge entgeht. Die verkauften Arbeiten, das stellte sich beim Abgleich mit der Exponatenliste heraus, sind schon herausgetragen worden — wie aus einem Kaufmannsladen.

Was mich zu einer entschlossenen Vermutung verleitet: Das letzte Werk, das dort hängen bleiben würde, wäre zwangläufig das beste. Ich würde sofort wissen wollen, von wem es stammt.

Bis zum 7. Februar. Donnerstag/Freitag 15–19, Samstag/ Sonntag 12–16 Uhr

Ein Werk ist eben nur so stark wie der Kontext, der es trägt. Ein offenes Atelier ist keine Galerie, eine Galerie kein Kunstverein usw. Der Grad der „Offizialität“ bestimmt die Wirksamkeit einer jeden Arbeit. Wenn das Amerikahaus die Stipendiat(inn)en der Stiftung Luftbrückendank ausstellt, ist natürlich die Kulturdiplomatie berührt.

Unter der häßlich flach abgehängten Decke im Erdgeschoß fügen sich die Arbeiten von Eve Sussman, Melissa Cohen und Joan M. Giroux mühelos zueinander. Das hat vielleicht mit Gewöhnung zu tun. Man wundert sich einfach nicht mehr über einen Kran aus Edelstahl, der ein hutzeliges Papp- und Holzmobile im Zeitlupentempo vom Boden aufhebt und wieder herabsenkt, über monströse Ballon- und Mühlrad- verwandte Stoffgebilde, von denen eins unter dem Wind eines hineingestellten Ventilators zittert, oder eine Serie von schrillen Vorhängen und davorgestellten Nachttischchen, auf denen einzelne Glühbirnen drapiert sind. Individuelle Mythologeme, Rätsel aufgebend, die zu lösen es niemanden drängt.

Zusammengehalten wird die Ausstellung durch ein Tableau von zwanzig himmelblau leuchtenden Fotokopien, einer stillen, intensiven Arbeit: „One way to Peel an Orange“ von Melissa Cohen (die erste überzeugende Arbeit mit Farbkopien, die ich kenne). Die Zerlegung der orangenen Orange wird in gezielt manirierter Art vorgeführt; nur in der untersten linken Ecke des Tableaus wird eine Hand sichtbar. Die Fotokopien sind nahezu perfekt auf die weiße Wand geklebt, und in dem Maß, wie der Bildträger fast vollständig verschwunden ist, teilt sich das taktile Ereignis des Orangeschälens umso stärker mit.

Im ersten Stock wird klar, was hier gespielt wird: Kedron Barrett, der erste Stipendiat des Luftbrückendanks (1984-86), ist in den Flur des Verwaltungstrakts verfrachtet worden — kleinformatige Ölmalerei der süßlichen Art hat eben keine Lobby.

Andrea Scrima, die sich als konzeptionelle Malerin mit größeren Formaten besser darstellen kann, hat den einzigen Raum der Hauses bekommen, der als Ausstellungsraum durchgehen kann; um den Preis, daß die vielen Besucher des Hauses, zum Beispiel der Bibliothek, dorthin nicht vordringen. Ein paar ready-made-Skulpturen von Cohen, die als jüngste der Stipentiat(inn)en die Ausstellung dominiert, ergänzen die Malerabteilung. Das ergibt einenHauch „Metropolis“.

Während emsige Kurator(inn)en in Berlin-Mitte und Kreuzberg einzelne Künstler(innen) und Duos „ausstellen“, fehlt in Ausstellungen wie dieser jede Regie, die über eine Platzvergabe hinausgeht. So kann man ablesen, wie schwierig es ist, die Ateliersitutation in einen anderen Kontext ohne Schaden zu übertragen.

Extrinsic Divergent, Amerika Haus, Hardenbergstraße 22-24. Bis zum 20. Februar, Mo./Mi./Fr. 11–17.30, Di./Do. 11–20, Sa. 11–16 Uhr. Geschlossen am 18. Januar, dem Martin-Luther- King-Gedächtnistag. Fünfteiliger Katalog im Schuber

Zur freien Verkaufsausstellung und zur Leistungsschau der Stipendiat(inn)en ist der Workshop-Bericht eine eher seltene Variante der Gruppenausstellung. Eigenartig nur, daß der schwulenfeindliche Philip Morris-Konzern, der sich mit dem Sponsoring des „Internationalen Stahlbildhauer- Workshops Berlin 1992“ unter Leitung von Tim Scott so wichtig tut, den Besuchern der Akademie der Künste das Eintrittsgeld von drei Mark nicht auslegen konnte. Aber Chris Blue kann auch nicht an alles denken.

Tim Scotts Skulpturen sind verzwickte Gebilde — „Geräte“ —, die konventionell auf Sockeln präsentiert werden: ein bißchen Baumwurzel, ein bißchen Schrottplatz. Die organischen und die technisch wirkenden Teile sind so miteinander verschränkt, daß das Geflecht in einem tänzerischen Moment gestoppt ist, mit einer Neigung zur Ballung und zum Zufall. So wie heißes Blei in rätselhafter Bedeutsamkeit im kalten Wasser erstarrt.

Was bleibt den acht Teilnehmer(inne)n in vierzehn Tagen, als flüchtig Anleihen zu machen: in der Wahl des Stahls, der Behandlung der Oberflächen, in der Konstruktion der Skulptur. Sieht man die angestrengt gebaute und penetrant in schwarz und rot bemalte Skulptur von Gisela von Bruchhausen aus dem Vorjahr, erscheint Tim Scotts Einfluß in ihren Workshoparbeiten als produktive Verwirrung; sie entdeckt das Verzwickte, Filigrane. In den Arbeiten anderer, besonders bei dem Amsterdamer Herbert Nouwens, scheint Chillida wichtiger zu werden: der Antagonismus von schweren Sockel-Blocks und romanesk ausfahrenden Bögen.

Letztlich bleibt der Erfolg eines solchen Symposiums, wie Robert Kudielka im Katalog anmerkt, „schwer abzuschätzen“. Aber er verweist auch auf den Satz von William Rubin: „It takes only one great artist to keep a tradition alive.“ Und wenn es dann eine Gruppe gebraucht hat, um Tim Scott, Jahrgang 1937, in Berlin zu einem Auftritt zu verhelfen: Warum nicht?

„Abstrakte Stahlskulptur“. Hanseatenweg 10. Bis zum 15. März, täglich 10–19, montags ab 13 Uhr. Katalog 25 Mark

Ulf Erdmann Ziegler

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