Implosion durch Kulturaustausch?

■ Carmel Bedford zu den Möglichkeiten eines Kulturaustauschs mit dem Iran

Carmel Bedford ist Sprecherin des Internationalen Rushdie-Komitees. Mit ihr sprach Uta Ruge.

Uta Ruge: Wie beurteilt das Rushdie-Komitee die Nicht-Unterzeichnung des Kulturabkommens zwischen Iran und der BRD.

Carmel Bedford: Der Iran bemüht sich zur Zeit überall verzweifelt um solche kulturellen Beziehungen. Handel treibt er schon mit fast allen europäischen Ländern. Aber es sind die kulturellen Beziehungen, die einem Staat Respektabilität verleihen, nicht zuletzt auch in den Augen der eigenen Bevölkerung.

Und weil der Iran Kultur will, soll er sie nicht bekommen?

Sie soll an Bedingungen geknüpft werden. Es ist nicht nur Rushdie, der in Gefahr ist. Jedes europäische Land hat Bürger und Bürgerinnen, die in dieser Fatwa erwähnt sind („... und alle an der Veröffentlichung des Buches Beteiligten, denen sein Inhalt bekannt ist, sind zum Tode verurteilt.“). Wir sind der Meinung, daß man keine kulturellen Beziehungen pflegen kann mit einer Regierung, die einer Organisation innerhalb ihrer Grenzen erlaubt, das Leben ausländischer Staatsbürger auf dem Territorium ihrer Länder zu bedrohen. Solange der Iran sich nicht an die internationalen Verträge hält, die er schließlich unterschrieben hat, ist das Rushdie-Komitee gegen jegliche kulturelle Beziehungen mit dem Iran.

Würden Sie sagen, daß dies ein kultureller Boykott ist, und haben Sie das diskutiert? Im Kontext anderer kultureller Boykotts, etwa der gegen Südafrika?

Nein, ich diskutiere dies als Teil unserer Strategie. Eine winzige Organisation versucht Druck auf die Regierung eines großen Landes auszuüben. Man hat uns gesagt, daß sich nach den iranischen Parlamentswahlen die Dinge vereinfachen würden, daß mehr sogenannte Moderate im Iran den Ton angeben würden. Aber dieses neu gewählte Parlament hat noch im Juni 1992 das britische Parlament verurteilt, weil im Unterhaus ein Treffen mit Rushdie stattgefunden hat, und sie haben das Todesurteil sogar bestätigt...

Dennoch ist die Rede von einem Tauwetter im Iran.

Tatsache ist, daß die Zensur heute schlimmer ist als zuvor. Werke von einigen der 50 iranischen Intellektuellen im Exil, die im März '92 eine Solidaritätserklärung für Rushdie unterschrieben und intellektuelle Freiheit im Iran gefordert haben, sind heute im Iran verboten. Vorher waren sie erlaubt. Und diese Schriftsteller sind oft auch selbst bedroht.

Meine Frage ist dennoch, ob ein Kulturboykott das richtige Mittel ist, dem Einhalt zu gebieten?

Ist denn das, was wir machen, ein Aufruf zum Kulturboykott? Ja, vielleicht ist es das. Denken Sie aber daran, um welche Kultur es hier geht. Es geht um eine Kultur, die uns vorzuschreiben versucht, was wir lesen dürfen, die also nicht nur ihre eigene Kultur definiert, sondern auch unsere. Wie können sie ernsthaft an kulturellen Beziehungen interessiert sein, wenn sie nicht einmal unser Recht auf unsere eigene Kultur anerkennen?

Sprechen wir darüber, was ein British Council oder ein Goethe- Institut in Teheran tun würden. Sie gäben vielen Iranern die Möglichkeit, Englisch oder Deutsch zu lernen, ihre Bibliotheken zu benutzen und englische und deutsche Filme zu sehen. In solchen Gebäuden gibt es auch Telefone, Fotokopierer und Faxgeräte, die alle auch anderen Zwecken dienen können als denen, deretwegen sie ins Land geholt wurden.

Nein, mich überzeugen diese Argumente überhaupt nicht. Solche Beziehungen hat es zwischen den europäischen Ländern und dem Iran die ganze Zeit gegeben. Und sie sind reziprok, das heißt, der Iran ist frei, solche Austauschprogramme, besonders mit Studenten, zur Infiltration mit Terroristen zu nutzen. Wir hatten neulich so einen Fall in England, wo ein „Student“ deportiert wurde, weil er spioniert hat.

Die Entschließung des deutschen Bundestages vom 10.Dezember ist Teil ihrer Strategie?

Genau. Wir wollen, daß über Rushdie auf jeder nur möglichen politischen Ebene gesprochen wird, in jedem nationalen und internationalen Forum in Europa und generell im Westen. Wer mit dem Iran per Handelsbeziehungen oder sonstwie zu tun hat, soll sagen: „Und überhaupt, wie stehen Sie zur Fatwa?“ Was meinen Sie, wie viele Bücher wegen der Fatwa unveröffentlicht und sogar ungeschrieben geblieben sind? Wie viele Theaterstücke und akademische Arbeiten? Und Sie denken immer noch an kulturelle Beziehungen?

Ja, das tue ich. Mein Problem ist, daß Sie einerseits mit Ihrer Empörung über die iranische Regierung Recht haben, und andererseits dabei die Bevölkerung des Irans aus dem Auge verlieren. Wie wäre es mit Realpolitik? Man anerkennt das Existierende als existent, diesen Iran mit dieser Regierung, aber auch die Tausenden und vielleicht Millionen Menschen im Iran, die die Fatwa ebenso wie wir für ein Verbrechen halten? Kurz: Wen bestraft man mit einem Boykott? Wen trifft er am meisten?

Glauben Sie denn, daß jeder einfach so in ein Goethe-Institut oder British-Council-Haus gehen könnte im Iran? Die Leute, die da herein dürften, wären handverlesen, und zwar von der Regierung! Ich finde Ihre Auffassung ziemlich naiv. Nur die Kinder der neuen Funktionärsklasse haben überhaupt Zugang zu höherer Bildung.

Entschuldigen Sie, aber meinen Informationen zufolge ist der Iran eine weitaus durchlässigere Gesellschaft, was Bildungschancen angeht, als beispielsweise England. Außerdem: Warum sollte man den Kindern der Mullahs nicht die Chance geben, sich gegen ihre Väter zu wenden?

Sie meinen also, man könnte den Iran durch kulturelle Beziehungen beeinflussen oder gar...

... implodieren.

Also, das finde ich sehr zynisch.

Wieso ist das zynisch?

Jedenfalls stark vereinfacht. Tatsache ist, daß ein Kulturaustausch mit Deutschland dem Iran Respektabilität verleiht. Andere Länder werden folgen und dem Iran damit internationale Achtung verschaffen.

Ich bezweifle, daß irgendjemand dem Iran für die Fatwa jemals Achtung entgegenbringen wird. Aber die Frage ist doch vielmehr, ob das Rushdie-Komitee eine Politik des kulturellen Boykotts verfolgen soll.

Wir verfolgen keine Politik des kulturellen Boykotts. Wir bitten nur darum, daß die Beziehungen zum Iran auf keiner Ebene ausgeweitet werden, solange dieser intellektuelle Terrorismus herrscht. Ich bekomme im übrigen viel Post aus der Bundesrepublik, und die meisten Menschen sind eindeutig gegen die Unterzeichung des Kulturabkommens.