■ Scheibengericht
: Sylvia Hallett

Skimming

Mash Production

(295 Byron Rd., Wealdstone, Harrow, HA3, 7TE, UK)

Die zeitgenössische Musikszene Londons gilt als besonders bunt und experimentierfreudig – das Pendant zu New York in Europa. Daß es sich bei diesem Bild um einen zählebigen Mythos handelt, wird augenfällig, wenn man sich die Situation innovativer Musiker in der Themse-Metropole näher betrachtet. Auch hier gilt die Regel: Wenn man nicht in eine der gängigen Schubladen paßt, in welche „contemporary music“ üblicherweise abgelegt wird, hat man nichts zu lachen. Wenige Auftritte, kleine Gagen, dauernde Existenzsorgen.

Sylvia Hallett ist eine der Unbeugsamen aus der „Musikhauptstadt Europas“, die noch nicht resigniert hat, sondern weiterhin eigensinnig ihren musikalischen Weg geht. Die Multiinstrumentalistin, die im Stadtteil Tottenham wohnt, stammt aus dem Umkreis des „London Musician's Collective“, einer Selbsthilfeorganisation experimenteller Musiker, und ist auf dem Kontinent mit Gruppen wie Accordions Go Crazy und British Summer Time Ends zu bescheidener Bekanntheit gelangt. Neben diesen Aktivitäten hat sie in den letzten Jahren verstärkt für Theater- und Tanztheater-Projekte komponiert, auch um finanziell über die Runden zu kommen.

Diese Arbeiten sind auf ihrem ersten Solo-Album enthalten, das bei einem englischen Kleinstlabel erschienen ist. Zu hören sind Soundcollagen, originelle Improvisationen und ausgetüftelte Kompositionen – eine ganz eigene musikalische Welt, die exotisch schimmert, freundlich-fremd rauscht, summt und kreischt und so entspannt klingt, wie ein fauler Nachmittag an einem Südseestrand – der Hallett-Inseln eben. Auf diesem imaginären Archipel, das irgendwo im Ozean zwischen Europa, Asien und Afrika liegt, wird eine Musik gespielt, die sich aus Einflüssen dieser drei Kontinente speist.

Sylvia Hallett hat alle Titel im Playback-Verfahren aufgenommen und spielt auch alle Instrumente selbst. Neben Geige, Posaune, Akkordeon, Piano und anderen Tasteninstrumenten, kommen auch die thailändische Maulorgel Khene, eine Fidel aus Bali und eine Drehleier zur Anwendung, sowie Zivilisationsschrott (Flaschen, Wasserkocher, Kurzwellen-Radio, Metallfedern und Fahrradspeichen), den es ans Ufer der Hallett Islands gespült hat.

Die schönste Komposition – „Airing the Lair“ – webt ein feines Netz aus den Ostinato-Figuren weicher Flaschentöne und den Klängen der javanesischen Gitterrassel „Angklung“, über das sich allerlei Urwaldgeräusche legen und ein Gesang, der dem der Pygmäen sehr nahe kommt. Das ist die wunderbare Privat-Folklore der Sylvia Hallett, eine sehr visuelle Musik, zu der sich alsbald Bilder im Kopf einstellen. Wer macht den Film zum Soundtrack?