Geschichte in Happen

■ H. Broder und E. Geisel referierten im Überseemuseum

Henryk Broder (li) und Eike GeiselFoto: Tristan Vankann

Henryk Broder und Eike Geisel, die Initiatoren der Kulturbund- Ausstellung, gaben uns am Sonntag die Ehre. Der Vortragssaal des Überseemuseums war auf allen Plätzen besetzt, wer zu spät kam, mußte draußen bleiben. Pech? Nach dem ersten Ausstellungs- Sonntag wäre der Andrang kalkulierbar gewesen.

Wir anderen, drinnen, hatten Glück. Die Ausstellungsinitiatoren, Sachensucher und Geschichtsschreiber gaben eine Analyse der Kulturbundgeschichte. Und sie vergaßen nicht, aktuelle Hinweise auf die deutsche „Vergangenheitsbewältigung“ einzubröckeln. Es gab keine „Stunde Null“ — auch nicht im Kulturbetrieb. Der Reichskulturrat Hinkel zum Beispiel, der dem Kulturbund „Gedeih“ und Verderb bedeutete, schrieb ab 1951 wieder im Göttinger Tageblatt. Nach den Maßstäben der Stasi-Debatte könnte Hinkel als 'U-Boot' durchgehen. „Vielleicht sogar als Widerstandskämpfer“, mutmaßt Eike Geisel erfrischend ironisch. „Sein Amt hing doch davon ab, daß der Jüdische Kulturbund existierte!“

Bizarre Strukturen, bizarre Wirklichkeiten auf allen Seiten, lautet das Urteil der beiden Geschichts- Forscher. Das berechtigt nicht zu Gleichmacherei, die Nazi-Macht liegt einseitig in der Waagschale: „Wenn ein Jude morgens aufwachte und abends noch nicht Selbstmord begangen hatte, war das Widerstand!“, bezieht Broder unmißverständlich Position. Dadurch rückt er die Betrachtungen über den Kulturbund und seine Widersprüchlichkeiten ins rechte Licht. Dem Publikum ging alles glatt runter. Mit der Historie diskutiert man nicht, die schluckt man.

Die Strategie des Kulturbund- Vorstandes, eine „Fiktion von Normalität“ zu schaffen, belegen Broder und Geisel mit Beispielen. Als nach der Pogromnacht 1938 die Emigrationswelle einsetzte, bemühte man sich im jüdischen Kegelclub um die staatliche Erlaubnis, die Clubräume behaglich zu gestalten. Die Mitglieder würden fernbleiben, weil die Einrichtung so ungemütlich sei, ignorierten manche KulturbundlerInnen mit aller Kraft den Ernst der Lage.

Alte Werte galten lange: Man war stolz darauf, daß die Aufführungen noch 1939 strengsten Maßstäben standhielten und verurteilte die Emigration, weil sie die Finanzierung und die Qualität der Arbeit in Frage stellten — bis der „der point of no return“ erreicht war. Absurde Normalität.

Die Überlebenden, „viele junggebliebene Alte“, stellten Broder und Geisel vor neue Aufgaben: „Die typische Witwe hütet den Nachlaß des Verblichenen in einer Art, die uns als späte Rache am Toten erschien“, berichteten sie. Verzweifelt über den späten Verlust des Zugangs zu einzigartigen Dokumenten fliehen sie in diesen Witz über die Witwen. Die beiden Männer sind ärgerlich über die Frauen. Dabei gehören diese doch, wie ihre Männer, zu den GewinnerInnen in der Geschichte: „Sie sind ja da.“ Eva Rhode