In Frankfurt versammeln sich heute Freunde und Unterstützer des „Frankfurter Lern- und Dokumentationszentrums des Holocaust“ – zur Gründung des Fördervereins eines Instituts, in dem eine Beschäftigung mit dem Holocaust jenseits der sonst üblichen Musealisierung oder politischen Instrumentalisierung möglich sein soll Von Mariam Niroumand

Gegen moralische Schockpädagogik

In der Broschüre des „Museum of Tolerance Beth Hashoah“ in Los Angeles heißt es stolz: „Indem Sie die zweite Ausstellungsebene betreten, erleben Sie eine weitere Innovation der Museumsarchitektur, eine Reihe von Exponaten, die ihre Geschichte völlig ohne geschriebenen Text erzählen. Sie werden von computergesteuertem Licht, Farben und Tönen durch eine Folge von Tableaus geleitet, die Sie in die Vergangenheit führen. Sie sind in Europa vor und während des Holocaust. Sie hören die Stimmen der Opfer, der Täter und der passiven Zuschauer. Ein Suchscheinwerfer ergreift Sie – Sie stehen vor einem originalgetreuen Nachbau der Tore von Auschwitz...“

Was sich hier wie eine gespenstische Groteske liest, ist in Wahrheit nur der Disneyland-Höhepunkt einer Entwicklung in der Ausstellungsästhetik, die sich auch in europäischen Gedenkstätten ausmachen läßt. Von den Fotoausstellungen der 60er Jahre, als die ersten Gedenkstätten eröffnet wurden, über die Papierwände der 70er Jahre bewegte man sich in den 80ern gerade auch in Deutschland in Richtung „Erlebnisraum“; es wird nicht dokumentiert, sondern inszeniert.

Immer häufiger zielen solche Inszenierungen – der Prügelbock in Neuengamme oder die Genickschußanlage in Buchenwald – auf eine Identifikation mit den Opfern ab. Im „Museum of Tolerance“, aber auch im „US Holocaust Memorial Museum“ in Washington – beides Neueröffnungen – erhält der Besucher statt einer Eintrittskarte den Paß eines Opfers, der an verschiedenen Stellen der Ausstellung mit computerisierten Informationen über das Leben des Ausweisträgers aktualisiert werden kann.

In einem Gutachten, das der Konzeption des in Frankfurt entstehenden Fritz Bauer Instituts, eines „Lern- und Dokumentationszentrums des Holocaust“ zugrundeliegt, werden an Beispielen israelischer, amerikanischer, polnischer und deutscher Gedenkstätten die verschiedenen Implikationen solcher Inszenierungen diskutiert. Für jedwede Einrichtung in der Bundesrepublik steht dabei für die Verfasser fest: „Anders als in den Gedenkstätten in Israel oder Polen, aber auch in den USA, kann in Deutschland der Versuch ernsthaft gar nicht erst unternommen werden, die Geschichte des Holocaust, wie illusionär auch immer, in irgendeine Teleologie einzubetten.“

Keine „Sinnbildungen“ im Land der Täter

Während polnische Gedenkstätten wie Auschwitz über lange Zeit dem Nationalismus und dem polnischen Widerstand huldigten, während in den USA der amerikanische Anteil an der Befreiung der Konzentrationslager und die Toleranz der Verfassung betont wird; oder während in israelischen Gedenkstätten wie Yad Vashem der Holocaust als das Ende der Diaspora erscheint, über die der Zionismus den Sieg davonträgt, kann es im Land der Täter keine solchen „Sinnbildungen“ geben. Was die DDR mit ihrer Betonung des kommunistischen Widerstands gegen die Nazis und der Kapitalismus- Faschismus-These versuchte, scheiterte ebenso wie die Opfer- Identifikation im Westen oder das sozialdemokratische Konzept der Gedenkstätte als „Lernort Demokratie“.

„Wenn einerseits der Versuch der Identifikation mit den Opfern nur zum falschen Versprechen einer ,Erlösung‘ von der Last der eigenen Geschichte führen kann“, so die Institutsgründer, „und andererseits das Angebot einer Identifikation mit dem politischen Widerstand die Geschichte des Holocaust zu einem Bürgerkriegsszenario verharmlost, bleibt dem Besucher eines ,Holocaust-Museums' in Deutschland nur die kognitive Einnahme verschiedener Perspektiven auf die Ereignisse.“ Dazu gehört natürlich auch die der Täter. Dazu meint Wolfgang Scheffler, Mitglied der Fachkommission der Berliner Ausstellung „Topographie des Terrors“: „Solange sich der Besucher nicht mit den Tätern identifizieren kann, ist diese Gesellschaft nicht zu heilen.“

Dabei wird die Betrachtung der Alltagsgeschichte, der lokalen Bezüge eine große Rolle spielen. Ausstellungen wie „Jugend im Dritten Reich“ oder „Schöne Zeiten“, die Fotoalben, Tagebücher und Briefe aus der Sicht der „Täter und Gaffer“ zeigten, sollen nicht – wie im Film „Heimat“ von Edgar Reitz – das unschuldige Privatleben der Deutschen gegen den fremden, übermächtigen nazistischen Gewaltstaat illustrieren. Sie sollen mit den Videointerviews von Überlebenden, mit Spielfilmen, Inneneinrichtungen, Zeitungsausschnitten und Akten gegengelesen werden als Ensemble von Deutungsmustern, Lebensäußerungen, Planungen und faktischen Abläufen.

Neben Ausstellungen sind Veranstaltungsreihen konzipiert zu Themen wie „Auschwitz als Realität und Metapher“ oder „Neonazismus und Rechtsradikalismus“ oder „Überlebende als Zeitzeugen“. Eine dritte Abteilung widmet sich der pädagogischen Arbeit zum Thema. Diskutiert werden unter anderem Projekte aus den Vereinigten Staaten, bei denen Besucher Handlungsoptionen auch aus der Täterperspektive durchspielen, bis hin zu den choiceless choices der Opfer.

Initiatoren wünschen sich ein Stiftungsmodell

Geleitet wird das nach dem Staatsanwalt des Frankfurter Auschwitz- Prozesses Fritz Bauer genannte Institut von einem interdisziplinären Kolleg. Künstler, Historiker, Filmwissenschaftler oder Museumspädagogen sollen für einen begrenzten Zeitraum miteinander theoretisch und praktisch an einem Projekt arbeiten – ein kostspieligeres Konzept als die sonst übliche Beschäftigung autonom agierender Wissenschaftler.

Statt einer alleinverantwortlichen staatlichen Trägerschaft wünschen sich die Initiatoren ein Stiftungsmodell, in dem sowohl die Stadt Frankfurt als auch Privatpersonen oder Vereine und internationale Organisationen finanziell und konzeptionell beteiligt sind. Die Entscheidung bei Stadt und Land erwarten die Initiatoren des Instituts nach den Frankfurter Wahlen im Mai.