Geschlechtslose Wesen?

■ GAL: Behinderte Frauen sind doppelt diskrimiert / Der Senat ist anderer Meinung / Spezifische Projekte und Einrichtungen fehlen

sind doppelt diskriminiert / Der Senat ist anderer Meinung / Spezifische Projekte und Einrichtungen fehlen

Vergleichbar mit der Einteilung der öffentlichen Toiletten in „Männer, Frauen und Behinderte“ werde noch immer nicht zwischen behinderten Frauen und Männern unterschieden, klagte die frauenpolitische Sprecherin und Fraktionsvorsitzende der GAL, Krista Sager, gestern vor der Presse. Sager: „Behinderte Frauen gelten als geschlechtslose Wesen.“ Dies jedenfalls lege die Antwort des Senats auf eine große Anfrage der GAL nahe, die sich mit der Situation von behinderten Frauen in Hamburg beschäftigte.

Der GAL-Aussage „Behinderte Frauen sind besonderen zusätzlichen Diskriminierungen ausgesetzt“ mochte der Senat nicht zustimmen, es wurde nur großzügig die Möglichkeit eingeräumt, daß „auch Behinderte — wie Angehörige anderer Personengruppen in unserer Stadt — im Einzelfall gesellschaftlich ausgegrenzt und benachteiligt werden“.

Dabei geht es um handfeste „Doppeldiskriminierung“, wie Johanna Krieger vom „europäischen Netzwerk für Frauen mit Behinderungen“ es formulierte. Schon in der Kindheit werden behinderte Mädchen daran gewöhnt, sich von Männern begutachten und begrabbeln zu lassen: von Ärzten, von Krankenpflegern, von Betreuern. Auch später wird auf die Peinlichkeitsgefühle der Mädchen und Frauen keine Rücksicht genommen.

Dadurch entwickelten die behinderten Frauen ein negatives Selbstwertgefühl, betonte Daniela Schremm vom Verein „Autonomes Leben“. Sie würden „ihren Körper abspalten“ und nicht mehr als schutzwürdig empfinden, ergänzte ihre Kollegin Bärbel Mickler. Zusätzlich begünstige die Betreuung durch männliches Pflegepersonal sexuelle Übergriffe auf behinderte Frauen. Deshalb fordert die GAL die „freie Wahl der Assistenz“, das heißt der betreuenden Person für die Behinderten.

Mißstände gibt es auch in der Mobilität. Zwar sind körperlich Behinderte beiderlei Geschlechts benachteiligt, doch für Frauen zeigen sich zusätzliche Probleme. Sexuelle Übergriffe von Taxifahrern sind nicht auszuschließen. Gehen behinderte Frauen allein auf die Straße, müssen sie mit dem Vorwurf rechnen, sie provozierten eine Vergewaltigung geradezu, weiß Bärbel Mickler aus eigener Erfahrung.

Spezifische berufliche Förderung, Beratungsstellen oder Einrichtungen für behinderte Frauen gebe es nicht, beklagten alle Sprecherinnen der Behindertenorganisationen. Den behinderten Frauen stärke eben keine Lobby den Rücken, konstatierte Krista Sager. Doch die sei dringend notwendig.

Übrigens — auch die Teilnahme am politischen Leben wird den Behinderten schwergemacht: Um an der Pressekonferenz in der Rathaus-„Lounge“ teilnehmen zu können, mußten die Frauen ihre Privat-Rampen mitbringen. Annette Bolz