Papiertiger, Haßkappen und ein Leitantrag

SPD-Chef Helmuth Frahm liebäugelt mit der Einhaltung von Wahlversprechen/Parteijuristen basteln an  ■ Anti-Auto-Attacke

Ungewohnte Töne am Montagabend in der angestaubten Ästhetik von Raum 102 des SPD-Headquarters an der Kurt-Schumacher-Allee: „Müllhaufen“, „Blechsärge“, „Blechkisten“ — kaum ein Begriff war zu schäbig, um auf des deutschen Arbeiters liebsten Lohntütenzweck gepappt zu werden: das Auto. Besonders schlimm gebärdete sich Handelskammer-Verkehrsspezialist Hartwig Serchinger, dessen Beiträge den Eindruck aufkommen ließen, bei Hamburgs Wohnstraßen handle es sich meist um stinkende wilde Müllkippen. Das Haßkappen-Meeting, veranstaltet von der rührigen Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer JuristInnen (AsJ), hatte sich geschickt als Diskussionsveranstaltung über den „Einstieg in den verkehrspolitischen Umstieg“ getarnt. Wie berichtet, hatte die AsJ kürzlich das Partei-Establishment mit einem ungewöhnlich konsequenten verkehrspolitischen Leitantrag für den SPD-Landesparteitag im Februar aufgeschreckt. Der 50-Punkte-Katalog will dem Auto ganz massiv Park- und Straßenraum wegnehmen, Fußgängern, Radlern und Straßenbahn wirklich Priorität einräumen. Am Montagabend stand er erstmals öffentlich zur Diskussion.

Bislang hat sich die SPD mit den knallharten Vorschlägen der AsJ schwergetan: Parteilinke witterten hinter dem inhaltlichen Seitensprung der Juristen sogleich eine raffinierte Quereinsteiger-Masche. Die Parteirechte schwieg. In die Bresche sprang am Montagabend SPD-Parteichef Helmuth Frahm, indem er die AsJ-Diskussion mit einem sympathisierenden Grußwort adelte. Schließlich wird derzeit hinter verschlossenen Türen um einen verkehrspolitischen Leitantrag für den SPD-Landesparteitag im Februar gerungen. Da heißt es für die verschiedenen sozialdemokratischen Papiertiger, sich rechtzeitig in eine günstige Ausgangsposition zu bringen.

Ganz ungeachtet dieser taktischen Winkelzüge, die offensichtlich zum Wesen des deutschen Parteienstaates gehören, zeigte die Diskussion des Podiums einmal mehr, wie dynamisch der verkehrspolitische Bewußtseinswandel inzwischen schon die Sprachzentren verkehrspolitischer Akteure infiziert hat. Da warnte Helmuth Frahm, der Wähler werde die SPD an ihrem Wahlprogramm messen, sich mit der ewigen „Differenz von Reden und Handeln“ nicht länger abspeisen lassen, und forderte die Straßenbahn sowie ein Ende „des täglichen Wahnsinns auf unseren Einfallstraßen“. DGB-Vertreter Klaus Geißelbrecht outete sich als „Verantwortungsethiker“, der sich aufgerufen sieht, das mit auszulöffeln, was uns die Gewerkschaften per Auto-orientierter Tarifpolitik „mit eingebrockt haben“: die Autogesellschaft.

Ex-Umweltsenator Jörg Kuhbier, der kürzlich SPD-Häuptling Björn Engholm mit einem Anti-Küsten- Autobahn-Gutachten zur Weißglut trieb, läßt am städtischen „Umweltproblem Nummer Eins“ eh kein gutes Haar. Für Überraschung sorgte Gaststar Serchinger, der sich dem ziemlich jugendlichen 30köpfigen Publikum mit Warnungen vor einer allzu heftigen Anti-Auto-Politik zuerst ganz standesgemäß als Buhmann offerierte, um dann ganz selbstzufrieden einen „revolutionären Vorschlag“ aus der Hüfte zu schießen. Er will „diese Müllberge aus den Wohnstraßen wegbekommen“. Serchinger empfahl, der Reihe nach in Wohnstraßen das Parken zu verbieten — die Anwohner sollen sich notfalls teure Parkplätze in privat finanzierten Quartiersgaragen besorgen. Serchinger: „Dann können Kinder wieder auf der Straße spielen.“ AsJ-Verkehrs-

1spezi Diether Schönfelder hatte es anschließend nicht schwer, dem zufriedenen Publikum sein integriertes Gesamtkonzept inklusive Nahverkehrsabgabe ans Herz zu legen.

Hinter den SPD-Kulissen geht derweil das Liebesspiel der Papiertiger munter weiter. Sollte der Parteitag im Februar ein schlüssiges Konzept beschließen, brauchen Hamburgs Autofahrer dennoch nicht zu zittern. Vor fünf Jahren hat Hamburgs SPD auch schon mal den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Florian Marten