Das Blöken der Australier

Australian Open: Trotz des Lämmerterrors der Zuschauer erreichte Neuseelands Steven gegen Australiens Fromberg das Viertelfinale  ■ Aus Melbourne Bernd Müllender

„Es war der härteste Tag in meinem Leben“, sagte ein ausgepumpter Sieger. Ein „mörderischer Fight“ sei es gewesen, „wir haben alles gemacht, was nur eben möglich ist im Tennis“. Brett Steven aus Neuseeland, soeben sensationeller Viertelfinalist der Australian Open, sah sich hernach außerstande, Detailfragen über sein Match mit dem Australier Richard Fromberg zu beantworten. „An den letzten Satz kann ich mich wirklich kaum noch erinnern“, irgendwie sei er halt mal zu Ende gewesen, und er habe irgendwie halt gewonnen. 7:6, 6:7, 6:7, 6:1 und in der Verlängerung 8:6 nach über viereinhalb Stunden.

Das montägliche Abendmatch, das zum Nachtmatch wurde, hatte endlich das gebracht, was bei den Australian Open bislang so sehnlichst vermißt wurde: Tennis mit Leidenschaft, pure Dramatik. Das Gegenteil jenes so unattraktiven Robotertennis der Aufschlagspezialisten, das mehr und mehr die Courts der Welt beherrscht. Beide Cracks waren übernervös, schließlich winkte der größte Erfolg der Karriere, und entsprechend viele Fehler machten beide. Das bescherte absurde und skurrile Szenen in Serie. Beide beherrschen den tödlichen Schlag nicht, und so wurde mancher Ballwechsel bis zum mentalen Breakdown durchgespielt. Tennis, das wieder Seele hatte.

Das Publikum gab dem transtasmanischen Prestigeduell Kiwi gegen Aussie schreiend, mitleidend, hingerissen, brüllend und bisweilen keifend den entsprechenden akustischen Rahmen. Dabei zeigte die Mehrheit aus Oz nicht immer die tennisgemäße Zurückhaltung. Schafsgeblöke sollte Brett Steven aus der Ruhe bringen, ignorierend, daß Australien, rein rechnerisch, 80 Millionen Schafe mehr sein eigen nennen kann. Aber Klischee ist Klischee, immer gut, um alte Animositäten mit dem vermeintlich rückständigen Nachbarn von ganz down under zu schüren. Und Steven machte den frenetisch bejubelten Doppelfehler. Ihren Fromberg unterstützten die zunehmend von „Fosters Lager“ und „Victoria Bitter“ beeinflußten Massen mit affenhaftem Gegrunze, weil der 1,90-Meter-Riese, so erklärt einer, halt so ungeschlachte Bewegungen und etwas leicht Negroides an sich habe.

Es nutzte nichts. Fromberg, der sich in den Spielpausen des fünften Satzes nicht mehr setzte aus Angst vor Krämpfen, hatte genau um Mitternacht, wie abgestimmt zum Beginn des Nationalfeiertages „Australia Day“, zwei Matchbälle. Beide endeten an der Netzkante. Eine weitere halbe Stunde dauerte es, bis sich Steven zu seinem eigenen Erlösungsschlag durchgedroschen hatte. Sein zweiter Versuch saß. Eine Gruppe Maoris, extra herübergekommen, hüpfte herum, als gelte es, mit dem Haka, ihrem alten Kriegstanz, ganz Australien in Angst und Schrecken zu versetzen. „Go, Brett, go – Kia Ora, Kiwi.“

Die beiden Cracks, nicht eben gut Freund miteinander, wankten Arm in Arm vom Platz. Das Auditorium feierte sie gemeinsam, mit Standing ovations. Für einige Minuten war die transtasmanische Welt vereint. Und weil es so spät geworden war, durften alle zufrieden sein.

Die jüngsten, die Ballkinder (U10), weil sie so lange aufbleiben durften, und die älteren, die Spieler Ü45, die eigentlich noch zum Doppel antreten sollten. Der Stadionsprecher ließ die Altstars John Newcombe, Ken Rosewall und Co. zu Bett: „Mit Rücksicht auf das Alter der Spieler wird das angesetzte Doppel verschoben.“