Konsens für neue AKW

■ Interview mit Klaus Piltz / Der Vorstandsvorsitzende der VEBA sucht einen Ausweg aus der energiepolitischen Konfrontation der letzten Jahrzehnte

Seit Dienstag tagt in Bonn das deutsche Atomforum – bislang eher eine Pflichtübung der Lobby: solche Konferenzen von Vertretern der Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung finden dreimal im Jahr statt und besitzen kaum Nachrichtenwert. Aber vertrauliche Gespräche, die der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder (SPD) mit den Chefs der Energieunternehmen REW und Veba, Friedhelm Gieske und Klaus Piltz, geführt hat, liefern diesmal Gesprächsstoff. Vor allem Klaus Piltz sorgte für Irritation: Der Veba-Vorstandsvorsitzende hatte den Chef der Atomkraft-Tochter „Preussen Elektra“ entlassen und in einem Brief an den Bundeskanzler Verhandlungen über ein „geordnetes Auslaufen der gegenwärtig bestehenden Atomkraftwerke“ angeboten. Kommt es zum „Energiekonsens“ mit den Atomkraftgegnern?

taz: Herr Piltz, wie jeder Kompromiß setzt auch ein energiepolitischer Konsens Geben und Nehmen auf allen Seiten voraus. Wo sind Sie bereit, den Atomkritikern entgegenzukommen?

Klaus Piltz:Zunächst ist es mein Ziel, von der starren Konfrontation zwischen Befürwortern und Gegnern der Kernenergie wegzukommen. Die Erfahrung der vergangenen Jahre hat gezeigt, daß das Austragen dieses Konflikts die Unternehmer und letztlich die Steuerzahler sehr viel Geld kostet. Die großen Parteien sollten sich so weit wie möglich auf eine gemeinsame Basis verständigen und dort, wo sie das noch nicht können, ein Verfahren vereinbaren, um mittelfristig mit dem gutem Willen beider Seiten zu einem Ergebnis zu kommen. Wir, die Industrie, haben uns dann nach diesen Rahmenbedingungen zu richten.

Der Stufenprozeß, den sie vorschlagen, zielt zunächst auf die Bestandssicherung der laufenden Atomkraftwerke und verweist die ausstiegswilligen Gegner der Kernenergie ansonsten auf die Zukunft. Glauben Sie, daß die Atomkritiker sich auf einen solchen Handel einlassen?

Die Diskussion um den Ausstieg geht insofern an den Sachgegebenheiten vorbei, als die Kernkraftwerke heute zur Sicherung der Stromversorgung der Bundesrepublik unverzichtbar sind. Jeder, der den Verzicht auf Kernenergie erwägt, muß sich ernsthaft mit der Frage befassen, was stattdessen kommen soll. Ansonsten ist das eine theoretische Debatte.

Nach Ihren Vorstellungen sollen alle derzeit betriebenen Kernkraftwerke bis zum Ende ihrer vorgesehenen technischen Lebenszeit weiterbetrieben werden.

Darauf läuft es hinaus, weil der Prozeß, den derzeitigen Kraftwerksbestand zu ersetzen, ohnedies einen entsprechend langen Zeitraum in Anspruch nehmen wird. Ich halte das auch für wünschenswert.

Dies allein bedeutet dann nur einen einzigen Ausstieg: den der SPD aus ihren Austiegsbeschlüßen von Nürnberg.

Es geht hier nur darum, realistische Zeitszenarien zu entwickeln.

Worin könnte denn aus Ihrer Sicht für die Gegner der Atomenergie die Attraktivität der neuen Debatte bestehen? Wo ist der Kompromiß?

Die Kernenergiegegner befürchten, daß mit ihrer Zustimmung eingerichtete Entsorgungseinrichtungen für jetzt laufende Anlagen als Freibrief verstanden werden könnten, dann ohne weitere Abstimmung neue Anlagen zu bauen. Deshalb könnte an diesem Punkt ein Kompromiß darin liegen, daß solche Einrichtungen in ihrer Betriebsgenehmigung auf Abfälle begrenzt bleiben, die aus den bestehenden Anlagen anfallen. Damit wird zunächst ausgeschlossen, daß aus neuen Kernkraftwerken, die es noch nicht gibt, eingelagert wird. Das würde dann der Zukunft und der Entscheidung, ob es neue Anlagen überhaupt geben soll, überlassen bleiben.

Nach der Diskussion im Dezember sah es so aus, als würden Sie auf die neue Siemens Fabrik für plutoniumhaltige MOX-Brennelemente in Hanau verzichten wollen. Nun schlagen Sie vor, das Projekt zu vollenden und die Anlage mindestens zehn Jahre zu betreiben.

Ob Hanau verzichtbar ist oder nicht, hat bei den bisherigen Vorüberlegungen weniger eine Rolle gespielt. Wichtig war aber die Frage: Was geschieht mit dem Plutonium, das bei der Wiederaufarbeitung bisher angefallen ist und das noch aufgrund geltender Verträge anfallen wird? Auch wer aus der Kernenergie aussteigen will, muß dieses Problem lösen. Nach meiner Kenntnis ist bisher der einzige Weg, das Plutonium wirklich loszuwerden, es in MOX-Brennelementen zu verarbeiten und dann in Kernkraftwerken zu verbrennen.

Es werden auch andere Verfahren diskutiert, das Plutonium einer möglichen militärischen Nutzung zu entziehen.

Ich bin kein Kernphysiker, aber ich weiß, daß der Prozeß, das Plutonium lagerfähig zu konditionieren, dem der MOX-Brennelementeherstellung ungewöhnlich ähnlich ist. Dann frage ich mich, ob es nicht besser ist, es gleich endgültig zu vernichten.

Sie schlagen vor, auch im Ausland nach Alternativ-Standorten zum geplanten Endlager Gorleben zu suchen. Ein solcher Atommüll- Export ist — ausnahmesweise — auf beiden Seiten der Barrikade nicht sonderlich beliebt...

Es gibt Fragen, die man pragmatisch lösen sollte. Dazu gehört auch der Gedanke, nicht auf Gorleben als alleinige Lösung des Endlagerproblems zu beharren, sondern daneben einen internationalen, für mehrere Länder geeigneten Standort zu suchen. Das liegt nahe, denn mit diesem Problem haben sich eine ganze Reihe kernkraftbetreibender Staaten zu befassen. Die Abfallmengen sind — entgegen manchen Vorstellungen — nicht dramatisch. Der Endlagerbedarf kann durchaus für mehrere Länder an einem Ort gedeckt werden. Europa, die OECD und die Welt wachsen überall zusammen, warum also nicht auch auf diesem Feld.

Ist das Motiv für diese Überlegung lediglich die Frage der politischen Durchsetzbarkeit des Endlagers Gorleben oder gibt es auch Zweifel an der Eignung des dortigen Salzstocks?

Mit der Eignungsfrage habe ich mich nicht befaßt. Es gibt Aussagen, gerade aus dem Ausland, daß Salzstöcke besonders gut geeignet sind. Es bedarf bei jeder Standortentscheidung über ein Endlager der techischen Eignung und darüberhinaus der Akzeptanz. Ich habe Verständnis, wenn man bei einer pragmatischen Entscheidung auch lokale und regionale Aspekte der Verkraftbarkeit berücksichtigt. Die Lasten können nicht einem Bundesland allein aufgebürdet werden, sondern müssen entsprechend verteilt werden.

Sie wollen die Option auf die Kernenergie über die heute betriebenen Reaktoren hinaus offenhalten. Soll das in Form des derzeit entwickelten deutsch-französischen Druckwasserreaktors geschehen?

Vieles spricht dafür, daß die weiterentwickelten Reaktoren auf der Basis der jetzigen Generation von ihrer technischen Perfektion her einen Vorsprung haben werden vor Neuentwicklungen — wenn es denn im Rahmen des angestrebten Konsenses eine nächste Generation gibt. Darüberhinaus müssen die Fachleute entscheiden, ob man sich längerfristig, also für einen Zeitraum von Jahrzehnten, auch die Möglichkeit des Hochtemperaturreaktors sichern will oder nicht. Dies gehört zu den Anforderungen, die die Politik an die Stromversorger richten muß.

Schon 1995 sollen die ersten beiden Druckwasserreaktoren der neuen Generation dies- und jenseits des Rheins beantragt werden. Ist dieser Zeitplan mit der aktuellen Diskussion über das geordnete Auslaufen der jetzigen Meiler gestorben?

Die Diskussion fängt erst an. Bisher gibt es nur einen Anstoß, die Konfrontation aufzulösen in ein geordnetes Procedere. Wenn die Politik sich darauf einigt, auch künftig an der Kernenergie festzuhalten, dann sollte es in der Tat auch einen solchen Prototyp geben, allerdings erst gegen Ende des Jahrzehnts.

Bisher wurde die Konsensdebatte so geführt, daß es zunächst um den Auslaufbetrieb bestehender Anlagen und deren nicht-nuklearen Ersatz geht und danach über einen möglichen Wiedereinstieg entschieden wird. Der neue Druckwasserreaktor soll aber schon ab 1998 gebaut werden, wenn die meisten Altmeiler noch in Betrieb sind.

Wenn ein Kraftwerk im Jahr 2005 vom Netz geht, weil es alt und abgeschrieben ist, dann muß 1995 die Bauplanung für einen Ersatzbau beginnen. Der Prozeß der Weiterentwicklung stünde also am Beginn der Erneuerungswelle, die ohnedies fällig wird. Dabei ist noch offen, ob es ein Kernkraftwerk werden wird. Das ist auch eine Frage der Kosten und der Ökologie, also in erster Linie der C02- Problematik.

Aber diese Entscheidungstermine — Genehmigungantrag 1995, Baubeginn 1998 — waren schon vor der aktuellen Diskussion genauso vorgegeben. Was hat sich geändert?

Der Unterschied ist, daß jetzt in einer ersten Phase die Abwicklung des bestehenden Kernenergieengagements im Konsens geklärt werden soll, ohne daß eine Präjudizierung der zukünftigen Entwicklung vorweggenommen wird. Die Gegner müssen nicht befürchten, daß die Art der Abwicklung die Türen für Neues öffnet und die Befürworter nicht, daß der Ausstieg endgültig ist. Die zweite Phase wird ein langer Weg mit offenem Ende sein. Da wird entschieden, ob wir diese Technologie auch an kommende Generationen weitergeben wollen und wenn ja, mit welchen Reaktortypen. Aber solange kann man nicht die Hände in den Schoß legen, sondern muß die Technologie weiterentwickeln. Der gesamte Prozeß sollte darauf angelegt sein, daß man letztlich zu einer verantwortbaren Entscheidung kommt — und zwar unter Berücksichtigung des globalen Kontexts. Wenn das der Politik nicht gelingt, wird auch dieses für uns ein Signal sein: Mein Unternehmen hat deutlich gesagt, daß wir innerhalb einer Kernenergie-Kontroverse die wirtschaftlichen Risiken, die mit dem Bau neuer Anlagen verbunden sind, unseren Aktionären nicht zumuten können. Interview: Gerd Rosenkranz