Menschenfänger statt Grashalmpfleger

Der Groundsman der Australian Open ist ein „master of plastic“ mit recht vielfältigen Aufgaben/ Gespräch mit Glen Sharam (34), Platzwart im Flinders Park zu Melbourne  ■ Von Bernd Müllender

taz: Ihr Kollege in Wimbledon ist verantwortlich für den weltberühmten Rasen. Er erzählt von seiner schweren Aufgabe, das Gras notfalls mit der Nagelschere auf exakt 5/16 Inch (7,93 Millimeter) zu schneiden. Seine Künste sind Legende, die Intuition, wann er wie und warum mähen und rollen muß, alles absolut perfekt. Vergleichsweise muß Ihre Arbeit mit dem Kunststoffboden doch langweilig sein. Hier wächst nichts, hier lebt nichts. Der Chefgärtner von Wimbledon gilt als „master of grass“ – sind Sie ein „master of plastic?“

Glen Sharam: Im Prinzip, ja. Aber: Plastikmeister – welch ein Wort. Nein, das bin ich nicht wirklich. Ich bin froh, daß unsere Plätze leichter zu handhaben sind. Im wesentlichen müssen wir sie nur sauberhalten. Aber auch das dauert: drei Stunden pro Platz, jede Nacht. Ich habe 14 Tage lang jeweils einen 18-Stunden-Tag. Und die Vorbereitungen auf das Turnier, Personalauswahl, Organisation etc., fangen immer schon im Mai an.

Aber sind Sie nicht ein bißchen neidisch oder unterfordert? Würden Sie nicht tauschen wollen, auch ein Grasmeister werden?

Das wäre reizvoll, eine Herausforderung. Keine Frage. Aber hier ist eben kein Gras. Ich kann's nicht ändern.

In Wimbledon hat jeder einzelne Platz, sagt der dortige Groundsman, sein eigenes Klima, ja, er sagt sogar, seine eigene Persönlichkeit; ein Platz sei sogar magisch und charismatisch. Das kann man wohl von den Plätzen in Flinders Park nicht behaupten?

Doch, doch, das gibt es hier auch, selbst wenn alle Plätze genau gleich aussehen. Auf dem Centre Court sind auch andere Veranstaltungen, etwa Rock'n'Roll-Konzerte. Das kann man spüren. Court2 hat seinen eigenen Charakter, weil die Zuschauer so nah dran sind.

Das hat mit dem Boden zu tun?

Nicht direkt, der Belag ist gleich, aber die Außenplätze sind trotzdem etwas schneller. Die Spieler spüren das auch. Das liegt an der Atmosphäre, klimatisch gesehen. Dort ist, ohne die schützenden Tribünen, eine andere Luftbeschaffenheit, etwas feuchter manchmal, mehr Staub in der Luft oder mehr Sonneneinstrahlung, je nach genauer Lage und Tageszeit. Die Elemente beeinflussen den Platz schon, das müssen wir beachten. Und wenn, wie so oft in Melbourne, alle vier Jahreszeiten an einem Tag auftreten, dann haben wir ganz schön zu tun – erst Sonne, dann Regen, Temperatursturz und so weiter. Das macht die Arbeit schwer.

Wissen Sie denn genau, was im Rebound Ace-Belag drin ist?

Ja. Ganz unten eine Schicht Bitumen, dann eine spezielle Gummischicht von einem Zentimeter, Fiberglas, Füllmaterial und darüber zwei Oberschichten, der eigentliche Belag. Ich bin wohl mehr Chemiker als Gärtner.

Die oberste Schicht soll aus Altreifen gemacht sein?

Ja, das ist richtig.

Dann ist das hier – von wegen master of plastic und alles künstlich – eine Art Öko-Tennisplatz mit Recycling-Materialien?

Ja, so gesehen, helfen wir mit den Australian Open, den Treibhauseffekt zu verringern, ein kleines bißchen zumindest.

Doch das Image der Australian Open ist noch schwach. Wimbledon wird heilig genannt, geschichtsbeladen und geliebt wegen seiner Altertümlichkeit. Hier ist eine moderne anonyme High- Tech-Anlage...

Eine Tradition aufzubauen, das dauert. Vielleicht hundert Jahre; sechs haben wir ja schon.

Sie haben zwar kein Gras auf hundertstel Millimeter genau zu schneiden, aber dafür geht Ihr Einfluß weit über die eigentliche Anlage hinaus...

Ach, ich weiß, worauf Sie anspielen, auf Mr. Boris Becker. Vor zwei Jahren, nach seinem Finalsieg, ist er ja aus dem Stadion an den Yarra-River gelaufen. Alle dachten erst, er wäre nur zur Toilette, aber ich bin gleich hinterher. Er sah mich und hat gesagt, ich solle ihn allein lassen. Also bin ich auf Distanz geblieben, so daß er mich nicht sehen konnte. Zur Siegerehrung habe ich ihn dann wieder zurückgebracht. Das war auch für mich ein ganz außergewöhnlicher und verblüffender Moment.

Und letztes Jahr ist Jim Courier nach dem Matchball in den Fluß reingesprungen. Hätten Sie da nicht als Lebensretter hinterherspringen müssen?

Nein, der Fluß ist mir zu dreckig. Aber er ist auch nicht gefährlich, und Courier ist von selbst wiedergekommen.

Sind Sie denn auf das Finale 93 vorbereitet?

Schwere Frage. Hoffentlich klettert keiner aufs Dach. Brett Steven hätte sicher einen Bungy- Sprung daruntergemacht – einem Neuseeländer muß man alles zutrauen. Sampras würde wahrscheinlich gleich zum Flughafen laufen und nach Hause fliegen.

Und Meikel Stitsch?

Hat der nicht gerade geheiratet? Dann wird der flott mit seiner Frau irgendwohin verschwinden. Wer weiß? Ich bin mal gespannt.