Noch eine Tasse Tee?

„Selbst die Tapfersten werden irgendwann müde.“ Ein Interview mit P.D. Uys zum Boykott gegen Südafrika  ■ von Uta Ruge

1957 beschloß die britische Musikergewerkschaft für ihre Mitglieder ein Auftrittsverbot in Südafrika. Es war die erste Boykottmaßnahme gegen den Apartheidsstaat. 1964 unterzeichneten 106 Dramatiker einen Boykottaufruf, u.a. Sartre, Beckett und Weiss. Nach dem Schüleraufstand in Soweto 1976 wurde der Boykott formal auch von der UNO verhängt. Sie führte eine schwarze Liste von Künstlern und Sportlern ein, die in Südafrika auftraten. 1986 verhängte die EG Sanktionen gegen Südafrika, die nach der Freilassung Mandelas schrittweise aufgehoben wurden.

taz: Wann haben Sie das erste Mal von dem Kulturboykott gegen Ihr Land gehört?

Pieter Dirk Uys: Als Student an der Universität von Kapstadt. Meine erste Erfahrung damit war, als ich die Regie in einem Einakter von Tennessee Williams machen wollte. Wir probten schon, als plötzlich die Agentur von Williams anrief und uns die Aufführung verbot.

Wie haben Sie und die anderen Schauspielstudenten darauf reagiert?

Gar nicht. Wir sind einen trinken gegangen. Geredet haben wir darüber nicht.

Hat man Ihnen nicht gesagt, warum Sie die Aufführungsrechte nicht bekamen?

Hat man vermutlich. Aber wir haben nicht hingehört. Mich interessierte das alles sowieso nicht. Erst als ich 1968 nach London ging, wurde ich politisch. Erst da begriff ich, wie falsch zu Hause alles war.

Ihre Eltern waren Berufsmusiker. Da müßte der Kulturboykott, der mit den britischen Musikern angefangen hat, eigentlich zu Hause ein Thema gewesen sein.

War er aber nicht. Über Politik wurde grundsätzlich nicht gesprochen. Nie! Nicht in der Schule, nicht in der Kirche, nicht zu Hause.

Eine Sache gab es es da allerdings, an die ich mich gut erinnere. Mitte der fünfziger Jahre muß das gewesen sein, kurz vor Beginn des Musikerboykotts. Da wurde plötzlich in der Stadthalle von Kapstadt die Segregation eingeführt. Schwarze durften nur noch oben und in den letzten Reihen sitzen. Was gab das für einen Riesenkrach! Die Leute waren hell empört! Meine Mutter, eine der bekanntesten Künstlerinnen der Stadt, und ihre Freundin Molly marschierten mit geschwärzten Gesichtern zur Stadthalle. Ich kann Ihnen gar nicht beschreiben, was das für ein Drama in der Familie auslöste. Das ging fast bis zur Scheidung. Danach hat sie so etwas nie wieder gemacht.

Und dann kam der Boykott der britischen Musiker. In der Stadthalle ist einfach keiner mehr aufgetreten, bis auf den einen oder anderen durchreisenden Taiwanesen oder Rumänen... Wirklich gelitten unter dem Kulturboykott haben Leute, die bereit waren, sich die Gesichter zu schwärzen, zu protestieren. Isoliert verloren sie den Mut. Selbst die Tapfersten werden irgendwann müde und bleiben auf der Strecke. Ein Boykott ist nicht wählerisch, er sagt nicht: Dich will ich treffen, und dich nicht...

Als ich 1973 nach Südafrika zurückging, hatte ich kapiert, was eigentlich los ist. Und ich sprang mitten hinein in die Scheiße. Das Space-Theatre, für das ich dann schrieb, inszenierte und spielte, war praktisch Samisdat. Einer meiner Jobs war, die schwarzen Zuschauer zu verstecken, wenn die Polizei kam.

Es ist schwer, sich vorzustellen, daß so ein Katz- und Maus-Spiel möglich war.

Ja, natürlich war es das. Meine ganze Laufbahn gründet sich auf diese „offene Illegalität“. Ich brach ein Gesetz nach dem anderen und ließ durch eine meiner Bühnengestalten laut verkünden, daß das Gesetz gebrochen worden ist und daß wir immer noch nicht im Gefängnis saßen, weil die Gefängnisse nämlich voll waren mit anderen Menschen. Das brachte die Leute dazu, über ihre eigene Angst zu lachen. Denn das war es vor allem, was alles erstickt hat: die Angst derer, die ständig sagten: Du darfst dies nicht und jenes nicht.

Das mußte man durchhauen, indem man sagte: Aber ich tue es doch schon! Und zwar von rechts und von links und im Fummel und mit Gossenwörtern und überhaupt: Vor wem haben wir eigentlich Angst?

Können Sie ein Beispiel für diese offene Illegalität erzählen?

Ja, das war 1982 in Kapstadt. Da kamen Leute vom Außenministerium mit amerikanischen Gästen, Kongreßabgeordneten, ins Theater. Ein wichtiger Teil unseres Jobs war immer zu wissen, wer heute abend im Publikum ist. Nach der Hälfte der Aufführung ging ich also vor den Vorhang und hielt eine kleine Rede: „Ich möchte sehr herzlich auch unsere Gäste aus Amerika und vom Außenministerium begrüßen. Ist das nicht herrlich! Bitte eine Extrarunde Applaus für sie!“ Und alles applaudierte. Und ich weiter: „Erzählen Sie doch bitte zu Hause in Amerika, was für ein wunderbares Land wir sind. Wie wir hier alle so schön beieinander sitzen, Schwarz und Weiß. Und das alles Ihnen zu Ehren. Denn sobald Sie abfahren, sperrt man uns ein, zieht uns den Knüppel über den Kopf oder bringt uns um.“ Viele lachten, aber es war ein verzweifeltes Lachen. Sehr peinlich für die Gäste! Sehr peinlich für die Gastgeber!

Auch mit den Zensoren muß man Katz' und Maus spielen. Die südafrikanische Zensur funktioniert nach dem Gesetz der anonymen Beschwerde. Also habe ich mich immer anonym über meine Stücke beschwert. Jedesmal schickte ich ihnen fünf verschiedene Beschwerdebriefe aus fünf verschiedenen Städten. Sie wußten das natürlich, aber sicher konnten sie sich auch nicht sein, welches nun meine Briefe waren. Also gingen sie der Beschwerde nicht nach, womit sie ihre eigenen Gesetze brachen. Denn es ist ihre Pflicht, den Beschwerden nachzugehen. Sie hatten Angst, daß ich sie verarschen wollte, und das wollte ich natürlich auch.

Dessen war ich mir in Südafrika immer bewußt: daß es auf der anderen Seite immer welche gab, die auf meiner Seite waren. Bis zum Polizisten, der mich anrief und warnte. Deshalb konnte ich nie sagen: Das ist der Feind, hundertprozentig. Sowieso glaube ich, daß ich mir selber der Feind bin! Ich bin das System, und deshalb muß ich mit mir selber anfangen, muß über meine Vorurteile und Ängste schreiben. Jetzt übrigens noch mehr als früher.

Wie wurde am Space-Theatre über Zensur oder Boykott diskutiert?

Gar nicht. Wir haben geprobt und gespielt. Manchmal hatten wir acht Vorstellungen täglich, vom Puppentheater vormittags bis zum großen Drama abends. Wir hatten gar keine Zeit. Außerdem gab es da nichts, was man hätte diskutieren können. Politik? Das war der Feind. Wir redeten nicht über Politik, Gottseidank...

Ich erinnere mich allzugut an meine Zeit an der Filmschule in London. Da hatte man den israelischen Regisseur und den palästinensischen Kameramann, und die hörten einfach nicht auf, sich anzuschreien. Und fertig wurde dabei gar nichts.

Wenn wir uns am Space- Theatre hinsetzten und über Politik redeten, dann ging das um Theaterfragen, darum, wie wir die Realität da draußen auf die Bühne und in eine Form bringen können: Eine weiße Frau und ein schwarzer Mann verlieben sich ineinander. Was machen wir damit? Wohin führt uns das, wohin wollen wir es führen?

Wie hat die politische Opposition, beispielsweise der ANC, auf Euch reagiert?

Keine Ahnung. In den Sechzigern und Siebzigern traf ich in Südafrika keinen, der im ANC war. Die ANC-Leute saßen alle im Ausland in Fünf-Sterne-Hotels, tranken Whiskey und überlegten, wie sie wieder nach Südafrika kommen könnten. Wir haben Theater gespielt, nicht immer Proteststücke, wir spielten auch Feydeau, und die Leute mochten ihn sehr. Natürlich gab es da immer eine Figur, die plötzlich schwarz war, heute abend diese und morgen die, ohne Ankündigung. Illegal war es sowieso. Dann war eben Monsieur Fertignan schwarz und Madame Fertignan weiß. „Oha“, sagten die Leute, „na so etwas, das ist ja interessant.“

Hat man dem Space-Theatre aufgrund des Kulturboykotts Stücke entzogen?

Nein, ich glaube, wir haben dank Athol Fugards Einsatz alles gekriegt. Er wurde damals international für die Bühne entdeckt. Das war die große Zeit des alternativen Theaters.

Wir hatten sogar mal einen Gastregisseur aus England, Donald Howarth hieß er. Er machte sein Stück „Scarborough“ mit uns. Tolles Stück, viel Sex drin. Die Zensur hatte es durchgelassen. Und dann verbot die Regierung die Aufführung nach der Premiere. Wunderbar! Da konnte jeder sehen, wieviel Angst die da oben vor jeder Art frischem Wind hatten. Das Tolle war, daß die Leute echt genervt waren von dem Verbot. „He, was ist denn jetzt los? Wir wollen das Stück sehen!“ – „Das könnt ihr aber nicht.“ – „Wie, was, warum denn nicht?“ Das war immer das Beste, wenn wieder Fragen gestellt wurden.

Ich habe hier einige Zitate mitgebracht von SchriftstellerInnen, die damals den Kulturboykott gegen Südafrika unterstützt haben. (Ich schiebe das Papier zu ihm herüber.) Hier sind ihre Begründungen.

Darling, um ehrlich zu sein, habe ich gar keine Lust, das zu lesen. Ich hatte noch nie das geringste Interesse an irgendjemandes Begründung für den Boykott. (Schiebt das Papier weg) Wenn jemand anfängt, über Boykott zu reden, gehe ich. Da schreibe ich in der Zeit lieber ein Stück. (Nimmt widerwillig das Papier) Also gut, was steht denn da? (Liest) Edward Bond: „Die Zeit für Worte ist vorbei.“ Quatsch, ist sie nie. So ein Unfug! „... muß man Solidarität mit den südafrikanischen Künstlern zeigen, die zensiert werden...“ Richtig! Ich warte bis heute darauf. Bei mir hat er sich nie gemeldet. Bernice Rubens: „... das Schweigen muß im Ausland verbreitet und in allen Medien laut werden...“ Wie bitte? (Liest noch einmal) Großartig! Wie verbreitet man lautes Schweigen? John Bowen: „... daß nicht vor segregiertem Publikum gespielt werden darf“. Natürlich, da hat er recht. Dennis Brutus: „... Apartheid wird nur unter Druck Risse kriegen...“ (Pause) Ja, vermutlich hat er damit recht.

Aber sehen Sie, Edward Bonds Stücke waren doch für die Vorster- und Botha-Regierungen ein absolut rotes Tuch! Bernice Rubens konnten sie schon deshalb nicht ausstehen, weil sie Jüdin ist. Mein Gott, und Dennis Brutus haßten sie, diesen black runaway. Die waren doch überglücklich, von denen nichts mehr zu hören. Begeistert waren sie. Und die Menschen in den Gefängnissen haben von dieser Art Solidarität nie etwas erfahren. Edward Bond hat uns auch nicht etwa heimlich Zettel zugesteckt, nach dem Motto: Bravo, macht weiter so.

Fortsetzung Seite 16

Fortsetzung

Boykottieren ist so einfach! Man sagt nein! Und dreht sich weg.

Sehr interessant, was die alle so zu sagen hatten.

Hier sind noch ein paar Zitate...

Na, toll. Was haben wir denn da: „... weil die schwarze Mehrheit Südafrikas sich durch Albert Luthulu und den ANC für einen kulturellen Boykott starkgemacht hat...“ Das stimmt doch auch nicht. Die schwarze Mehrheit Südafrikas, das sind 35 Millionen Menschen. Kaum einer von ihnen weiß überhaupt, was der Kulturboykott war. Die meisten sind damit beschäftigt, sich von morgens bis spät in die Nacht abzurackern, um zum Beispiel das Schulgeld für ihre Kinder zusammenzukratzen. Und dann müssen sie noch eine Schule finden, die nicht angezündet ist... Die können sich überhaupt nicht leisten, sich noch groß mit etwas anderem zu beschäftigen. So einfach ist das, und so traurig.

Ich habe auch damals in England – und der Boykott ging ja vor allem von England aus – die guten Leute gefragt: Wem schadet ihr? Ihre Antwort? „Ach, möchten Sie vielleicht noch eine Tasse Tee?“

Die Folgen eines Kulturboykotts sehen so aus: (Er nimmt das Papier mit den Fragen.) Vor mir liegt ein Blatt Papier, das ist mit Buchstaben bedeckt. Kulturboykott ist, wenn wir die Buchstaben auslöschen. Die Folge ist ein leeres Blatt Papier, der Boykott also die Herstellung einer Leere. Was soll dabei Gutes herauskommen?

Ich kenne eine ganze Meute verrückter junger Schriftsteller und Schauspieler in Südafrika, deren Grundproblem heute das Fehlen eines künstlerischen ABCs ist. Sie haben, bei Gott, mehr als genug Talent und Leidenschaft. Was ihnen fehlt, ist die Erfahrung mit gut geschriebenen, gut inszenierten Theaterstücken. Denn das ist letztlich immer der Ausgangspunkt für die eigene Arbeit. Bei uns gibt es kein Handwerk mehr und kein Handwerkszeug. Wir müssen alles mit bloßen Händen machen. Wir haben dazu auch gar keine Zeit. Jeder Tag, der ohne ABC vergeht, ist ein weiterer Kopf, der im Denkkoma landet. Das sind für mich die Folgen des kulturellen Boykotts.

Das einzige, was Sinn macht, ist zu sagen: nicht vor segregiertem Publikum. Schluß. Aber man kann nicht, wie etwa Vanessa Redgrave, einerseits dieses Credo groß verkünden, und dann laufen die Filme, in denen sie mitspielt, doch vor einem rein weißen Publikum. Natürlich, denn im Kino geht es um viel Geld, und die Produzenten lassen sich da nicht hineinreden. Im Theater macht man sowieso kein Geld.

Über welche Leute reden wir, wenn wir vom Boykott sprechen? Die haben uns mit ihrer Halbherzigkeit doch nur zusätzlich vor der Regierung blamiert. Aber einige waren auch konsequent. Woody Allen ließ seine Filme nicht in Südafrika spielen. Das hat uns natürlich mächtig gewurmt, aber es war auch ein leicht zu lösendes Problem. Wir kauften uns in London die Videos und brachten sie mit nach Hause. Auch Alice Walker verbot den Vertrieb ihres Filmes „Die Farbe Lila“ in Südafrika, was schade war. Denn die Schwarzen hätte die Story sehr inspiriert, und die Weißen wären womöglich schockiert gewesen über die Parallelen.

Also hätten Sie diesen Film auch vor getrenntem Publikum gutgeheißen?

Ja, ich glaube, das hätte ich. Meistens wurde aus Filmen vieles herauszensiert. Auch das hätte natürlich ein Grund zum Boykott sein können. Aber über den Filmvertrieb hatten die Künstler – als Schauspieler – nichts zu bestimmen, und außerdem ging es da um viel Geld. Also kamen die meisten Filme 'rein. Vorneweg natürlich „Rambo“-Zeug, „Terminator“ und Konsorten. Da wurde nichts boykottiert. Im Fernsehen gab es den „Dallas“-Kram. Nur von der britischen BBC bekamen wir nichts, und das war natürlich verheerend. Was uns da entging, war das beste Fernsehen der Welt: die Fernsehspiele, die Krimis, der Witz des britischen Fernsehens. Das ganze ABC eben... Jetzt haben wir keine Vokale mehr, nur noch Konsonanten.

Wie war das mit Opern und Konzerten?

Wir hatten alles. Aber die Qualität war mies. Für Qualität braucht man Erfahrung, Vergleich, Kritik. Und woher sollten wir das kriegen?

Ja, ich konnte natürlich reisen. Ich bin weiß und privilegiert, aber die anderen? Worüber ich mich in den letzten 15 Jahren immer wieder gewundert habe, ist, warum diese Boykott-Anhänger nicht lieber Geld in einen Topf getan haben, aus dem Reisen und Stipendien für junge schwarze Schriftsteller hätten bezahlt werden können. Wir haben solche Fonds angelegt, ständig Benefiz-Veranstaltungen gemacht. Und die Dramatiker, die uns am Space-Theatre ihre Stücke aufführen ließen, gaben ihre Tantiemen noch dazu. Aber sie waren die Ausnahme. Es hat zu wenig kulturelle Investitionen in die Zukunft gegeben. Und alle fragen jetzt, warum es sowenig Weisheit gibt in Südafrika und soviel Gewalt.