BSE-Gefahr noch nicht gebannt

Britische Wissenschaftler vermuten, daß die Ende der achtziger Jahre in die Schlagzeilen geratene Rinderkrankheit BSE, der bereits 80.000 Rinder zum Op fer gefallen sind, auch auf Menschen übertragen werden kann. Zwar verhäng ten einige europäische Länder ein Im portverbot für britisches Rindfleisch. Doch durch eine holländische Hintertür gelangt das Fleisch von der Insel trotz dem auch auf den deutschen Tisch.  ■ Aus Newcastle Ralf Sotscheck

Ende der achtziger Jahre machte eine bis dahin unbekannte Seuche in Großbritannien Schlagzeilen, die den Verkauf von Rindfleisch in den Keller drückten: die „schwammförmige Rinder-Enzephalopathie“ oder bovine spongioforme Enzephalopathie (BSE), die im Volksmund „Verrückte- Kuh-Krankheit“ heißt, breitete sich in Windeseile im ganzen Land aus. Mehr als die Hälfte aller BritInnen verbannte Rindfleisch vom Mittagstisch, fast 2.000 Schulkantinen strichen „Beef“ vom Speiseplan. Seitdem ist es ruhig um BSE geworden. Ist die Gefahr vorbei?

Der indische Wissenschaftler Harash Narang arbeitet im nord- englischen Newcastle in einem staatlichen Gesundheitslabor. Er forschte jahrelang nach der DNS, dem genetischen Fingerabdruck des Erregers. Das ist die Voraussetzung dafür, um lebende Tiere auf BSE zu untersuchen. Die Krankheit befällt das Gehirn der infizierten Tiere und verwandelt es in eine „schwammförmige Masse“. Da die Kühe keine Antikörper bilden, kann die Krankheit bisher erst nach dem Tod der Tiere durch eine Hirnuntersuchung einwandfrei diagnostiziert werden. Klinische Symptome – Stolpern, Gleichgewichtsstörungen, unberechenbares Verhalten – treten erst zwei bis sieben Jahre nach der Ansteckung auf. Danach dauert es nur wenige Tage, bis das Tier stirbt.

Im vergangenen Herbst gelang Narang der Durchbruch. Im Gegensatz zu den meisten seiner KollegInnen, die ein Protein oder ein defektes Gen für BSE verantwortlich machen, ging er davon aus, daß es sich bei dem Erreger um eine Nukleinsäure handelt. Narangs Methode führte zum Erfolg: mit Hilfe der gereinigten Nukleinsäure konnte er innerhalb einer Stunde den Erreger in totem Tiergewebe nachweisen und stand kurz vor der Entwicklung des Tests am lebenden Tier. Doch dann wurde er über Nacht von seinem Arbeitgeber, der britischen Regierung, aus fadenscheinigen Gründen vom Dienst suspendiert. Der Fleisch- und Fischgroßhändler Ken Bell, der Narang bei seiner Arbeit finanziell unterstützt, sagt: „Das war reine Verzögerungstaktik, um seine Arbeit zu stoppen.“ Die britische Regierung zahlt den Bauern für jedes Rind, das an BSE stirbt, eine Entschädigung. Bis heute sind fast 80.000 Fälle bekannt, und die Zahlen steigen weiter. Aufgrund der langen Inkubationszeit ist die Dunkelziffer möglicherweise sehr hoch. Mit dem Test am lebenden Tier könnten infizierte Rinder identifiziert werden. Doch das würde den Staat Milliarden an Entschädigung kosten. Narang gewann im Dezember das Anhörungsverfahren und kann seitdem weiterforschen. Doch wertvolle Zeit ist verstrichen.

Die ersten Fälle von BSE traten 1985 auf. Inzwischen weiß man, daß die Krankheit durch die Fütterung von Schafabfällen auf die Rinder übertragen wurde. Bei Schafen tritt bereits seit 200 Jahren die BSE- verwandte Traberkrankheit oder „Scrapie“ auf. Das Geschäft mit Futtermitteln, denen tierische Proteine beigemischt werden, ist äußerst lukrativ. Um ihre Profite noch zu erhöhen, stellten britische Futtermittelfabrikanten Anfang der achtziger Jahre die Herstellungsmethode um: sie senkten die Verarbeitungstemperaturen bei den Schafabfällen und stellten die chemische Behandlung ein. Dadurch wurde der Scrapie-Erreger auf die Rinder übertragen. Seit Juli 1988 wird zwar kein Tiermehl mehr an Rinder verfüttert, doch auf Schweine- und Geflügelfarmen wird es weiter verwendet. Zwar sind dort noch keine Krankheitsfälle aufgetreten, doch das liegt wahrscheinlich daran, daß Schweine und Hühner geschlachtet werden, bevor die Krankheit ausbrechen kann.

Inzwischen gibt es deutliche Indizien dafür, daß die Krankheit von der Mutter auf das ungeborene Kalb übertragen wird. Darüber hinaus überspringt sie auch die Artenbarriere. Bei Laborversuchen konnte der Erreger mühelos auf die meisten Säugetierarten übertragen werden.

Kann die Krankheit auch auf Menschen übertragen werden? Narang, der 1972 den Scrapie-Erreger entdeckt hat, zeigt uns drei Mikroskop-Bilder: die Erreger von BSE, Scrapie und der bei Menschen auftretenden Form der Enzephalopathie, der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, sind fast identisch. Professor Richard Lacey von der Universität Leeds sagt: „Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß die Krankheit nicht auf Menschen übertragen werden kann.“ (siehe Interview)

Die Bundesrepublik, Frankreich und Italien verhängten am 1. Juni 1990 ein Importverbot für britisches Rindfleisch. Das hatte genau eine Woche Bestand. Aufgrund britischer Proteste einigte man sich auf einen Kompromiß. Seitdem darf britisches Rindfleisch importiert werden, wenn seit zwei Jahren kein BSE-Fall in der Herde aufgetreten ist. Fleisch von augenscheinlich gesunden Tieren aus verseuchten Beständen darf nur dann ausgeführt werden, wenn zuvor Knochen, Rückenmark, Gehirn, Innereien und das sichtbare Nerven- und Lymphgewebe entfernt worden ist. Aber ein Schlachthof ist kein Operationssaal. Es ist unmöglich, das Nervengewebe vollständig zu entfernen.

Der Kompromiß erlaubt außerdem die Ausfuhr von Kälbern bis zu einem Alter von sechs Monaten, wenn sie von gesunden Kühen stammen. 1992 importierten zum Beispiel die Niederlande 180.000 Kälber aus Großbritannien. Doch die Behörden in Den Haag trauen den britischen Versicherungen, daß die Krankheit unter Kontrolle sei, offenbar nicht. Die Kälber, die im Alter von acht bis zehn Tagen eingeführt werden, kommen in versiegelten Lastwagen auf eigens für sie reservierte Bauernhöfe, wo sie gemästet werden. C. C. Van Der Meijs vom Ministerium für Landbau sagt: „Wir tun das, um zu verhindern, daß die englischen Kälber mit den niederländischen Rindern in Berührung kommen und so unsere Kühe und Masttiere mit BSE infizieren.“

Im Schlachthof ist die Quarantäne jedoch aufgehoben. Die mit Ohrclips gekennzeichneten britischen Kälber kommen im Alter von sechs Monaten in dieselben Großschlachtereien, wie auch die holländischen Kälber. Die englische Neuropathologin Helen Grant sagt, daß beim Zerlegen der Kälber ein Fettfilm entstehe, der sich auf das Fleisch im Schlachtraum verteile. Durch die holländische Hintertür gelangt das britische Fleisch auch in die Bundesrepublik, die nach Italien zweitgrößter Abnehmer ist. Jeden Monat kommen tausend Tonnen Kalbfleisch aus Holland in die deutschen Supermärkte. Etwa ein Viertel davon ist britischen Ursprungs, doch dieses Fleisch läßt sich in den Kühltruhen der Supermärkte nicht mehr identifizieren.

Die Firma Tengelmann reagierte auf unsere Nachfrage umgehend. Tengelmann hatte bisher fünf Tonnen Kalbfleisch pro Woche von einer Schlachterei in Apeldoorn bezogen. „Nachdem wir gehört haben, daß diese Firma Kälber aus Großbritannien aufzieht und anschließend zum Schlachten verwendet, haben wir mit sofortiger Wirkung unsere Geschäftsbeziehungen zu diesem Lieferanten abgebrochen“, teilte uns die Geschäftsführerin Rosemarie Baumeister zwei Stunden nach unserem Telefongespräch mit.

Wo aber bleiben die übrigen 980 Tonnen Kalbfleisch, die pro Monat aus den Niederlanden importiert werden?