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Vergraulen, bespringen, wegtragen

■ Was tun gegen die mörderischen Stinkeautos? Eine Ausstellung im Lilienthaler Rathaus

Vergraulen, bespringen, wegtragen

Was tun gegen die mörderischen Stinkeautos? Eine Ausstellung im Lilienthaler Rathaus

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Menschen im

Auto

Der längste Stau, den es je gab: 10 Tage lang von Til Mette künstlich provoziertFoto: Veit Mette

Ärger mit FalschparkerInnen? Die Radwege zuparken und FüßgängerInnen zum Slalom zwingen? Da läßt sich was machen: Rauf aufs Autodach, ein Hüpfer aufs nächste; so kann man seine Wege kurz halten und macht zugleich eine kleine Demo. Hat man Kumpels, kann man statt „Car- Walking“ die Blechkisten auch kurzerhand wegtragen. Oder wie wär's mit einem spontanen „Die- In“?

Was klingt wie die Tips aus einer illegalen Broschüre zum Straßenkampf für Autofeinde, kann man in Wirklichkeit im Lilienthaler

Rathaus bestaunen: Eine Ausstellung mit dem Titel „GegenVerkehr“ zeigt bis zum 4.Februar „Initiativen und Ideen für einen menschengerechten Verkehr“. Auf vierzig großen Tafeln werden „alternative Verkehrskonzepte“ vorgestellt, die bei weitem nicht alle (s.o.) im Konzept-Stadium hängengeblieben sind.

In Lilienthal dokumentieren der BUND und der ADFC Einsendungen, mit denen sich im letzten Jahr Initiativen für den Verkehrspreis des „Verbandes selbstverwalteter Fahrradläden“ beworben hatten. Lilienthal ist der rechte Platz fürs Thema. Zweimal täglich wälzen sich Blechlawinen durch das ansonsten bevorzugte butenbremer Wohndorf. Und wenn auch noch Eisesglätte, Stoßzeit und Winterschlußverkauf zusammenfallen, gibt es gar kein Ende der Stinkkisten mehr. Weil die Verhältnisse immer exakt vorhersagbar sind und die Menschen trotzdem fahren, wäre in Lilienthal womöglich eine „Suchtberatungsstelle Auto“ zu empfehlen, wie sie uns aus Berlin vorgestellt wird.

Augsburg faßt das Problem an

der anderen Seite an (Stichwort Vergraulung): Hier kämpfte man mutig gegen ein Parkhochhaus. Die Kunsthochschule Hamburg indes dachte positiv und konstruierte eine Fahrradgarage — 12 Räder auf 6 qm: Hängen machts möglich. Unglaubliche Wirkung hatte eine Dortmunder Initiative, die kurzerhand den Großparkplatz an der Uni sperrte. Da kochte AutofahrerInnenblut, und dabei war das Anliegen ehrenwert: Es sollte für ein Semesterticket der Stadtwerke geworben werden. Ein Vorbild für Bremen? Bremen kommt übrigens mehrfach vor: das „autofreie Wohnen“ im Hollerland, aber auch die ruhmreiche Ausstellung des Bremer Zeichners Til Mette auf der Schwachhauser Heerstraße sind beschrieben. Damals fand Bremens längster (in Tagen) Stau statt — zehn Tage belästigten zehn von Mette verzierte Schrottautos die BerufspendlerInnen.

Auch der Osten wacht auf, nachdem er vom Westblech überrollt wurde: In Leipzig fordert eine Gruppe „Ökolöwe“ nachhaltig und aktiv „Autos raus“; Halle hat ein „Fahrradies“, eine einzigartige Mischung aus SelbsthilfeWerkstatt und Kulturzentrum.

Eine Aussage der Lilienthaler Schau ist, daß viele Aktionen nicht das Resultat von Denkprozessen und politischem Kalkül sind — oft sind es die konkreten traurigen Anlässe, die Menschen in Bewegung setzen. Beispiel: Stresemannstraße in Hamburg, wo 1991 wieder einmal ein Kind überfahren worden war. Die juristischen Folgen der Straßensperrungen sind bis dato nicht ausgetragen.

Die Ausstellung bietet allerdings auch noch eine Möglichkeit, für die Umwelt aktiv zu sein: eine Spendendose des ADFC wartet einsam und leer. Vielleicht fließt das Geld ja jenen AktivistInnen zu, die hart am Abgrund des Rechtsstaats auf Autodächern spazieren. 150 Mark mußte der Münchener zahlen, als man ihn schnappte. Aber da hatte er auch schon 300 Dächer hinter sich. Bus

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