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Wand und BodenErlebnisberichte aus Krisengebieten

■ Kunst in Berlin jetzt: Friedrich Seidenstücker, Manfred-Michael Sackmann, Gio di Séra, Dorothea Breit

Die Forderung nach einem idealen Verhältnis von Oberfläche und unbestimmter Tiefe wird auch Friedrich Seidenstücker noch aus der Romantik bis in die Neue Sachlichkeit verfolgt haben. Als ausgebildeter Ingenieur hat er sich dabei schon bald dem Raumkonflikt der verschiedenen Kunstströmungen entzogen und ist wieder zurück auf die Seite der Technik gewechselt. Seidenstücker wurde Fotograf, seinem Gegenstand blieb er indes treu. Über 30 Jahre beschäftigte er sich mit der Abbildung von Skulpturen. Dokumentaraufnahmen aus der Gießerei Noack zeigen den fließenden Übergang von erstarrter Materie zum nuancierten Reiterstandbild im letzten Schliff des Ziseleurs. Die „Verflüssigung der Linie“, nach der Seidenstücker als Plastiker strebte, bleibt den Exponaten in teilweise irrwitzig gedoppelten Situationen erhalten. So ist auf einem Foto eine niederkauernde Statue vor den heranrückenden Sowjettruppen eingemauert versteckt worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg sind die Fotos Seidenstückers weitaus befremdender mit der Geschichte verflochten. Im Tiergarten ist dann außer einem graezistischen Löwenbildnis nicht ein Baum stehengeblieben. Ein Tier im Freigehege des Neubeginns – Arkadien und Pompeji zugleich. Schon kurze Zeit später rückt der Fotograf das Geschichtsbild ironisch zurecht: „Liebespaar in der Siegesallee mit der Büste des Johann von Buch vom Denkmal Markgraf Ottos mit dem Pfeil“, 1947. Was vorher Teil einer monumentalen Szene war, blickt nun stumm auf den Fortgang der Geschichte.

Bis 14.3., Georg-Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25, Di-So 10 bis 17 Uhr

Manfred-Michael Sackmann warnt schon auf der Einladungskarte mit einem vollmundigen Renoir-Zitat: „Trau niemandem, den der Anblick einer schönen weiblichen Brust nicht aus der Fassung bringt. Wer sich so verstellen kann, könnte Dich auch sonst täuschen.“ Wo aber der impressionistische Maler gleichsam am Körper die Formkonventionen untergräbt, bleiben die Fotografien im Studio Bildende Kunst hoffnungslos an der Symbolik des weiblichen Körpers hängen. Wo Sackmann hinblickt, findet er Fragmente: eine rasierte Vulva, knapp gespreizte Schenkel, eine Brustwarze unter dem Rasiermesser der Apparatur. Vom koketten Anspielsreichtum Man Rays ist nur der Mief französischer Bettlaken geblieben: Seidenbestrumpfte Frauenbeine im Halblicht, deren Überschlag mit dem Lineal gerichtet wurde, das weibliche Geschlecht als männliches Konstrukt. Selbst von der kühlen Frivolität eines Newton trennt die Bilder noch der ungeduldige Blick des halbherzigen Voyeurs, der neugierig nur mal gucken will, und sich mit der Kamera das Recht dazu verschafft. Die Fotos suchen förmlich den Höhepunkt: Ein Dobermann schnuppert dann ziemlich geschmacklos an der Scham einer tätowierten Lady, deren Körperschmuck bis an die Schamlippen hinunterreicht.

Es scheint, als hätte Sackmann seinen Blick einzig auf Effekte trainiert. Eine der Fotoreportage angelehnte Serie von Transvestitenfotos serviert den entblößten Hermaphroditen mit Brust und Pimmel nur wie ein weiteres Skandalon auf einem silbernen Tablett. Einzig dem jungen Mädchen auf einer Reihe von Halbakte gelingt es, mißtrauisch auf das Treiben des Fotografen zurückzublicken, während sich dessen Fotolinse längst zwischen Nabel und Geschlecht vertieft hat. Immrehin ist dieser Blick auch einem Besucher aufgefallen, der sich ins Gästebuch eingetragen hat.

Bis 19.2., Baumschulenstraße 78, Mo-Fr 13 bis 18, So 14 bis 18 Uhr

Sehr viel sympathischer setzt sich Gio di Séra mit seinen Träumen vom Leben in Brooklyn und South Central auseinander. Er hat Fundstücke, Nippes und Souvenirs von seinen Amerikareisen zu setzkastenartigen Bühnenbildern montiert. Überall stechen bekannte Zeichen hervor: Dollarscheine, das Malcolm-X-Logo, die Nahkampfutensilien der Polizei von Los Angeles als Plastikspielzeug. Ein Erlebnisbericht aus dem Krisengebiet wie Rapmusik aneinandergereiht. Manchmal fließt die Distanz des Künstlers in das ansonsten von Unmittelbarkeit aufgeladene Szenario mit ein. Dann wird das Gruppenbild einer Kindergang per Folienkopie über den Berliner Stadtplan gelagert, wie ein tiefgefrorener Schnappschuß im Fernsehen. Die architektonischen Miniaturen sind mit Graffiti überzogen, die auch vor Ort die Häuserwände zieren: „Everywhere Anytime I don't shoot I rhyme.“ Die sprachliche Verknappung findet selbst in der Zusammensetzung der Reliefs ihren Niederschlag, der Aussage „I'm watching you brother“ steht vergegenständlicht ein abgebrannter Stab Blitzlichter zur Seite.

Am Ende kommt noch das Stückchen Mauerfake aus Pappe mit dem abgeschmackten Kitschpostkarten-Spruch „Art is not Crime“ dem frommen und doch so wesentlichen Künstlerwunsch nach Einklang von Kunst und Leben sehr viel näher als die melancholisch-ferne Passage durch die Geistesgeschichte, die Kosuth auf der Documenta errichtet hatte.

Ghettoblass, bis zum 30.2. in der Naunynritze, Naunynstraße 63, Di-Sa 14 bis 22 Uhr

Man kann sich dem Zusammenspiel von Kunst und Leben allerdings auch so uneingeschränkt aussetzen, wie Dorothea Breit es derzeit in der Ladenpassage Karl- Marx-Straße 131 praktiziert. Von 16 bis 19 Uhr sitzt sie dort den Gegensatz von Amüsiermeile und Galerieraum aus. Nur durch eine offene Fensterfront ist die Ausstellung (Bilder plus Künstlerin) von McDonald's und Guckkastenkinos getrennt. Für den Wettstreit der Bilder hat die Malerin zudem auch thematisch eine denkbar ungünstige Position bezogen: Bloß drei taschentuchgroße Quadrate hängen an den Wänden. Weiße Quadrate. Kann das bereits von Kasimir Malewitsch am Nullpunkt der Moderne konstruierte ästhetische Feld der ephemeren Bilderflut des Alltags standhalten? Bei längerer Betrachtung wird die Strenge und Präzision, mit der Dorothea Breit die weißen Bilder im Raum installiert hat, offenbar. Bei indirekter Beleuchtung werfen die weißen Leinwände das Licht wellenförmig so zurück, daß die Textur der pastos aufgetragenen Farbe räumlich wirkt. Die karge Inszenierung drängt dadurch von den Wänden weg und verdichtet sich im Mittelpunkt des selbst schon beinahe quadratischen Raums, als bestünde ein stilles Einverständnis in der Symmetrie der Bilder und der Geometrie des Ausstellungsortes: Form als Zustand, dessen Erfahrbarkeit die Bilder reflektieren. Man ist immer schon dazwischen, die Bilder sind Metaphern dieses Grenzwerts an der Schwelle von Innen/Außen, auch dem in und außerhalb der Galerie. Das schnellebige Treiben draußen auf der Straße wird aus dieser quasi metaphysischen Warte zur immergleichen Ordnung auf Zeit.

Bis zum 6.2., Do-Sa 16 bis 19 Uhr.

Harald Fricke

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