Sanssouci
: Nachschlag

■ Jörg Drews über Johann Gottfried Seume

Goethe nannte ihn einen „wackeren Wanderer“, das 19. Jahrhundert sah in dem Verfasser des „Spaziergang nach Syrakus“ einen Vorläufer des turnenden, deutschtümelnden Jahn. Die Linke entdeckte ihn erst zu Anfang des 20. Jahrhunderts wieder. Jetzt legt der Deutsche Klassiker Verlag eine umfassende Neuausgabe der Schriften Seumes vor. Jörg Drews, der Herausgeber, hielt am Freitag im Literaturhaus einen Vortrag über den so widersprüchlich rezipierten Schriftsteller. Unter dem Titel „Erst taktisch, dann prinzipienfest“ war eine „Teilrevision einer (linken) Legende“ angekündigt, die sich dann ihrerseits taktisch vorgehend hauptsächlich ans wohlbewährte Biographisch-Anekdotische hielt. Hinterfragt werden sollte die Legende vom aufrecht- unbescholtenen Streiter für die Republik, die diejenige vom wackeren Nationalisten ablöste; als ihr Exponent wurde unter anderem Walter Benjamin genannt, der Seume 1936 in der Briefsammlung „Deutsche Menschen“ einen „unbestechlichen Blick und revolutionäres Bewußtsein“ attestierte. Als politisch engagierter, die Prinzipien der Französischen Revolution verteidigender, vor-märzlicher Schriftsteller war Seume aber erst seit 1803 hervorgetreten; zunächst mit der eigenwilligen Reisebeschreibung „Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802“, dann mit „Mein Sommer 1805“. Reiseaufzeichnungen aus Rußland und den nordischen Ländern wurden sofort nach ihrem Erscheinen verboten. Die zeitkritischen Glossen der 1806/07 entstandenen „Apokryphen“ wollte zu Seumes Lebzeiten niemand verlegen.

Davor aber hatte der Schriftsteller, der sich selbst noch kurz vor seinem Tod als „literarisch-militärisches Amphibium“ bezeichnete, in der englischen, preußischen und russischen Armee gedient, nicht so unfreiwillig, wie er selbst und mit ihm die linke Legende es gern gewollt hätten. Schließlich war die militärische Karriere eine der wenigen, die dem mittellosen Seume offenstanden. Auch ein überzeugter Republikaner war er nicht; er forderte zwar eine Verfassung, wäre aber auch mit einer konstitutionellen Monarchie einverstanden gewesen. Trotzdem würdigte der Vortrag seine „republikanische Prosa“, und die lohnt tatsächlich die Lektüre. Iris Michaelis