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Nachschlag

■ „Hot House Berlin“ in der Tanzfabrik

Das „warming up“ findet statt, während die Zuschauer ihre Plätze suchen. Drei Tänzerinnen stöhnen, trällern und dehnen ihre Körper, bis auch die Letzten ihre Karten gekauft und wegen des großen Andrangs auf dem Boden Platz genommen haben. Dann beginnt der Abend – nach persönlicher Begrüßung – eigentlich ganz „normal“: Klassische Musik wechselt mit Synthesizerklängen und verzerrtem Stimmengewirr. Die Tänzerinnen folgen den Geräuschen und finden in wechselnden Zweierkonstellationen zu synchronen Bewegungen. Aber: Die Ton- und Lichttechnik wird von den Tänzerinnen selbst bedient, und die drei sind sich nicht immer einig, ob und – wenn ja – welche Musik gespielt wird.

Geladen ist zu „Hot House Berlin“, einer öffentlichen Improvisation, bei der die Tänzerinnen (fast) ebensowenig wissen, was geschehen wird, wie die Zuschauer. In der New Yorker Tanzszene schon zur Institution geworden, begegnen sich nach dem ersten gelungenen „Hot House“-Experiment vom Herbst 92 drei einander kaum bekannte Tänzerinnen aus verschiedenen Städten: Christine Cole (New York), Ka Rustler (Berlin) und Lisa Schmidt (London).

Offensichtlich gutgelaunt und selbst nicht weniger erwartungsvoll als das Publikum, laufen sie durch den Raum, um kurz Impulse aufzugreifen und sich im nächsten Moment wieder zu verstreuen. Nach und nach tritt der Tanz in den Hintergrund, und mit beeindruckender Offenheit machen alle drei die zunehmende Desorientierung immer mehr zum Thema. Unsicherheiten werden nicht überspielt, sondern erforscht: Das erzeugt eine Spannung, die den ganzen Abend trägt. In einer „Contact Improvisation“ zwischen Ka Rustler und Christine Cole wechseln Momente des harmonischen Bewegungsflusses mit stolpernden Mißverständnissen, die aus der gegenseitigen Unvertrautheit entstehen. Einander balancierend sprechen die zwei von ihren Wahrnehmungen, ohne die Konzentration auf die Bewegung zu verlieren. Als Lisa Schmidt zwischendurch die Nase voll hat, verschwindet sie – in riesigen Filzpantoffeln – feixend auf die Toilette. „Wir haben uns gegenseitig aus der Balance geworfen“, erzählte Christine Cole bei der Begrüßung. „Wir finden es spannender, unsere Muster gegenseitig aufzubrechen, als das zu machen, was wir sowieso schon wissen.“ Die jeweiligen Rettungsversuche in die eigenen Bewegungsmuster sind sichtbar und gelingen tatsächlich nicht. Nur in wenigen Momenten finden die Tänzerinnen zueinander, aber das war auch nicht die Aufgabe, die sie sich gestellt hatten: Ihrer Ratlosigkeit, ihrem Suchen und Scheitern zu folgen, war – als singuläres Ereignis – von ganz eigener Faszination. Michaela Schlagenwerth

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