■ Die Genfer Bosnien-Konferenz ist gescheitert: Ein fragwürdiges Kalkül
Ginge es nicht um die Beendigung eines grausamen Krieges, könnten die taktischen Tricks und Winkelzüge der Teilnehmer der Genfer Bosnien-Konferenz richtiggehend Vergnügen bereiten. Als raffiniertester Taktiker erwies sich seit Kriegsbeginn im April 1992 immer wieder Serbenführer Radovan Karadžić. Das unterstrich er am Samstag einmal mehr mit seiner Unterschrift unter die Waffenstillstandsvereinbarung des dreiteiligen Abkommens, das die beiden Konferenzvorsitzenden Cyrus Vance und David Owen vorgelegt hatten. Vier Wochen lang hatte Karadžić dieses Dokument wegen der darin vorgesehenen Unterstellung der Panzer und schweren Artillerie unter UNO- „Kontrolle“ hartnäckig und konsequent abgelehnt – und damit bis zuletzt nicht nur alle Konferenzbeobachter, sondern auch die muslimische Seite getäuscht. Er habe das immerhin seit dem 4. Januar in unveränderter Form auf dem Genfer Tisch liegende Waffenstillstandspapier in der Nacht zum Samstag „neu interpretiert“, begründete der Serbenführer nun seine unerwartete Unterschrift.
Mit seiner Annahme der Verfassungsprinzipien wie des Waffenstillstandspapiers steht Karadžić, bislang der Hauptbuhmann unter den drei bosnischen Führern, damit zum erstenmal seit Verhandlungsbeginn in Genf vor fünf Monaten optisch relativ besser da als sein Gegenspieler, der bosnische Präsident Izetbegović, der am Samstag nur das Verfassungsdokument abzeichnete. Diesen Eindruck haben Vance und Owen ermöglicht und mit ihrer in letzter Minute veränderten Verhandlungsstrategie, die den drei bosnischen Führern ein Splitting ihrer Unterschriften erlaubte, offensichtlich auch bewußt herbeigeführt.
Tatsächlich, und darin liegt der Zynismus des Genfer Verhandlungsmarathons, hätten Vance und Owen dieses Ergebnis schon Ende Oktober haben können. Schon damals hatten alle drei Kriegsparteien ihre Vorstellung über künftige Provinzgrenzen auf den Tisch gelegt, von denen sie bis heute nicht einen Quadratzentimeter abgewichen sind. Auch die von Vance und Owen entwickelten Verfassungsprinzipien wurden damals in die Verhandlungen eingebracht. Und die von Satish Nambiar im Auftrag von Vance und Owen geschriebene Waffenstillstandsvereinbarung hätte der UNPROFOR-General in derselben Form auch schon vor drei Monaten entwerfen können.
Tatsächlich ist nicht auszuschließen, daß das Kalkül von Vance und Owen für die jetzt vom Genfer See an den New Yorker East River verlegten Verhandlungen zumindest teilweise aufgeht. Falls die Clinton- Administration sich gegen eine Aufhebung des Waffenembargos gegenüber Bosnien-Herzegowina ausspricht und der UNO-Sicherheitsrat Sanktionen androht, wird Izetbegović möglicherweise das Waffenstillstandspapier und vor allem die Karte mit den Provinzgrenzen für Bosnien-Herzegowina nämlich doch noch unterzeichnen. Zu Hause würde er dann erklären, er habe sich eben der vom obersten UNO-Gremium aufgezwungenen Lösung beugen müssen.
Ob diese Strategie Vance' und Owens aber auch gegenüber Karadžić zieht, darf bezweifelt werden. „Wir lassen uns keine Lösung von oben aufzwingen“, erklärte der vor Selbstbewußtsein strotzende Serbenführer, bevor er am Samstag von Genf in sein Hauptquartier Pale bei Sarajevo aufbrach. Karadžić wird sich ab Mittwoch in New York mit „neuen Friedensvorschlägen “ präsentieren und Izetbegović als den Verantwortlichen für die Fortsetzung des Krieges brandmarken. Das dürfte seine Wirkung zumindest auf Moskau und Peking nicht verfehlen. Damit wird ein Konsens im Sicherheitsrat über die Androhung militärischer Maßnahmen, die — wenn überhaupt — allein noch Eindruck in Belgrad und Pale machen könnte, noch unwahrscheinlicher als bisher. Ein Ende des Krieges ist also nicht abzusehen. Andreas Zumach, Genf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen