Sanssouci
: Vorschlag

■ Chinarockfestival im Haus der Kulturen der Welt

Bloß der Beat hat seinen Einzug in Peking oder Shanghai noch nicht gehalten, ansonsten ist musikalisch so ziemlich alles erlaubt – ein Volk im Vollpop: Cui Jian liebt Lennon, „1989“ mögen Madness und Clash, die Frauenband Cobra Patricia Kaas, und selbst die Metal-Combo Tang Dynastie könnte sich mühelos in die „New Wave of British Heavy Metal“ von 1980 einreihen.

Man kann jedoch die Gunst der Kopie gar nicht hoch genug einschätzen. Für die asiatische Gesellschaft stellt die Nachahmung nichts Negatives dar, Kreativität ist keine Frage des differenzierten Ausdrucks. Vielmehr erweist der Schüler – ganz im Sinne des Zen-Buddhismus – seinem Meister die höchste Reverenz, indem er seine Arbeit so nahe wie möglich dem Original annähert und im günstigsten Falle noch um das eine oder andere Ornament erweitert. Popmusik funktioniert ja bekanntlich so.

Bis zu Maos Aufräumungsarbeiten hatten sich populäre Musikeinflüsse aus dem Westen in der VR halten können. Swing gehörte zum Standardrepertoire chinesischer Tanzorchester, die in Hotels und Clubs hohe Parteikader bei der Pflege von Außenhandelsbeziehungen unterstützten. Mit der Kulturrevolution änderten sich die lockeren Gepflogenheiten bis hinauf in die E-Musik. Nach dem Abbruch der Beziehungen mit der Sowjetunion in den frühen Sechzigern waren dann nicht nur Kompositionen aus dem kapitalistischen Westen tabu, sondern auch alles, was aus der „revisionistischen“ UdSSR hinüberklang.

Erst im Laufe der achtziger Jahre begann die chinesische KP, die Hörgewohnheiten zu lockern. Man lud Wham! oder auch BAP zum vorsichtigen Kulturaustausch nach Peking ein, wo postwendend die erste Rockgeneration um 1985 mit Gruppen wie „Budaoweng“ („Stehaufmännchen“) ins Leben gerufen wurden. Der Staat schickte seine eigenen Bands im Wettkampf um die Jugend an den Start: Für das urbane Amüsement wurden obskure Discotruppen aus dem Boden gestampft, die entweder einen Lobgesang auf die Parteiführung anstimmten oder wie gehabt den Westsound als Dienstleistung kopierten. Von Bonnie Tyler bis Modern Talking wurde jeder Stimmungsmacher durch die Mangel des gegängelten Vergnügens gedreht. Eine Art von Staatskaraoke.

Die endgültige Pop-Emanzipation begann mit dem Aufstieg des Gitarristen und Sängers Cui Jian und seiner neuen Botschaft: „Rock auf dem neuen langen Marsch“. Was bis zu diesem Zeitpunkt in einer körperfeindlichen Kultur wie der chinesischen selbst gegenüber den Lockungen der westlichen Unterhaltungsmusik widerstanden hatte, brach mit Cui Jian hervor: Sex & Drugs & Rock 'n' Roll. Es fällt wahrscheinlich schwer, sich aus der Ferne vorzustellen, was für einen Kultstatus der Musiker in der VR erlangt hat. Schon 1988 brachte er die allererste Rockschallplatte Chinas heraus, war Gast auf Musikfestivals in Großbritannien oder Frankreich und erhielt 1991 bei den MTV-Awards den Preis des Publikums. Seit den Massakern vom Tiananmen-Platz im Juni 1989 hat er Auftrittsverbot, weil seine Musik zu viele Emotionen bei der Masse chinesischer Jugendlicher freisetzt. Mit westlichen Ohren hört sich der Revolutionär von Leib und Liebe nur mäßig verführerisch an, seine Lieder stimmen eher melancholisch. In einer rauhen Ballade kommen Rod Stewart, ein echtes „Dutch“-Akkordeon, Wandergitarre und eine sanft durchgepustete Trompete zusammen.

Bei „Tang Dynastie“ ist das Paradox der völkerübergreifenden Verständigung noch ungleich größer. Während per Video und Bühnenshow all die Mythen aus der Zeit alter Ming- und Mandschu-Herrlichkeit beschworen werden, bleibt die Musik im euroamerikanischen Boden verhaftet. Ganz im Einklang mit dem hiesigen Durchschnitts-Headbanger zeugt die Bandphilosophie von reichlich Schwertkämpferkult, dem genreüblichen Hang zu Gothic-Novel-Spuk und Fantasy. Daß die Band ausgerechnet bei Taiwan Records unterschrieben hat, wird wahrscheinlich die einzige List bleiben, mit der man das Parteiregime ärgert. Denn Rock und Pop verkaufen sich gerade im modernen China besser als Propaganda. Ansonsten gilt Tang Dynastie nur ein Motto für die Zukunft: apolitisch, aber professionell. Es mag an einer stillen Übereinkunft zwischen Heavy-Metal-Gezwitschere und den traditionellen Zweiklängen made in China liegen, daß die Dynasten-Rocker trotz des aufgerissenen Amps am authentischsten nach Fernost klingen.

Besonders zielstrebig stilprägend haben sich die Frauenband Cobra und die Ska-Kapelle „1989“ über den eigenen Kulturkreis hinausgebeugt. Es dauert einige Minuten, bis man in den chansonhaft vorgetragenen Liedern von Cobra die chinesische Sprache wiedererkennt. Erstaunlich nur, wie sich die klare Stimme scheinbar spielerisch durch opernhafte Arrangements schaukelt, während die Band doch recht gesetzt und verhalten im Bluestakt bleibt. Gerade wegen der nahezu perfekten Assimilierung an Anglizismen aus dem Post-Punk kann man der Gruppe 1989 noch weniger folgen. Bei minutenlangen Rap-Einlagen werden nur Eingeweihte den Sinn hinter der lautmalerischen Vokal- bzw. Konsonanten-Akrobatik finden. Beim restlichen Publikum werden sich eher Erinnerungen an die „Sandinista“-Trilogie der Clash oder den „One Step Beyond“ von Madness einstellen, den nun auch die VR China eingeholt hat.

Musikalisch scheint man in China weit von einem Fundamentalismus entfernt zu sein. Die Wurzeln sind gekappt, der Faden zur Peking-Oper ist ebenso gerissen wie der zur Vorstellung, die Mao tse-Tung in den „Yan'an-Reden“ 1942 formuliert hatte: Nach der Befreiung möge Musik einzig der Erziehung des Proletariats dienen. Statt dessen unterhält Popmusik im heutigen China dekadent und bürgernah wie unter dem Regiment des letzten Kaisers. Doch noch heute wird Polizei in Konzerte beordert, um das Aufflammen von Emotionen zu verhindern. Rock hat in China einen langen Marsch vor sich. Harald Fricke

Am 2.2. spielen Cobra und die Cui-Jian-Band; am 5.2. Wang Yong/Tang Dynastie und Zang-Tianshuo&1989; und am 6.2. spielen noch einmal alle Bands auf einer langen Chinarock- Nacht; jeweils ab 21Uhr im Haus der Kulturen der Welt.